06/2025
»Die Menschheit hat fertig« – Die Filme des Regisseurs und Autors Alex Garland sind düster und brutal. Kaum ein Werk passt so gut in unsere Zeit. Ein Überblick +++
»Virtuos in Bewegung« – Lange Kamerafahrt, kein Schnitt: die Plansequenz – wie sie technisch möglich wurde und wie sie wirkt +++
»Condon, Kerry Condon« – Bisher gefiel sie eher in der zweiten oder dritten Reihe. Sichert sie sich mit »F1« eine Poleposition in Hollywood? +++
Im Kino: Typisch Wes Anderson: Der phönizische Meisterstreich | One to One: John & Yoko | Saint-Exupéry | The Ugly Stepsister | The Wedding Banquet | On Swift Horses | Zikaden +++
Streaming: Die Comicadaption Eternauta | Warum ich? von David Schalko | Guy Ritchies MobLand +++
In diesem Heft
Tipp
Zum Geburtstag viel Pech: Mit »Warum ich?« versucht sich die ARD glücklos an einer TV-Anthologie.
Der britische Thriller »MobLand« stellt eine Londoner Mafiafamilie ins Zentrum, aber in Wahrheit duellieren sich hier die Schauspielstars Pierce Brosnan, Helen Mirren und Tom Hardy.
In »Murderbot« spielt Alexander Skarsgard eine KI, die sich selbst gehackt hat und durch Bingewatching zum Menschenfreund wird.
Der Sechsteiler »Eternauta« nach einem argentinischen Kultcomic wurde zum Überraschungshit auf Netflix. Er entwirft ein etwas anderes Untergangsszenario als die üblichen Apokalypsenfilme.
Tina Feys Serien-Remake von Alan Aldas »The Four Seasons« ringt dem Midlifekrisen-Thema trotz breiter Comedy auch größere Tiefe ab.
Mit »Étoile« erweist Serienschöpferin Amy Sherman-Palladino ein weiteres Mal der Welt des Balletts Referenz. Die Serie spielt unter Weltstars aus Paris und New York und bleibt doch fest dem Sherman-Palladino-Land verhaftet.
In »Überkompensation« stolpert der überangepasste Collegestudent Benny durch die Turbulenzen des Campuslebens und natürlich immer wieder über die eigenen verdrängten Gefühle.
Am 15.6. spricht Burhan Qurbani im Kino des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums mit epd-film Autor Ulrich Sonnenschein »Kein Tier. So Wild.«.
Ein fast zärtlich beobachtender Dokumentarfilm, der in der Tradition von »Herr Bachmann und seine Klasse« für die Kraft verantwortungsvoller Pädagogik plädiert.
Trauer ist das Thema, und selten hat es ein Film so durchdacht und subtil, so wohlkomponiert und lyrisch umgesetzt wie der vierte Film des Isländers Rúnar Rúnarsson.
Thema
Ist die Geschichte mit der Menschheit fertig? Könnte man meinen, wenn man die Filme des Autors und Regisseurs Alex Garland betrachtet. Sascha Westphal über ein Werk, das wie kaum ein anderes in unsere Zeit passt.
Die Plansequenz sei eines der »virtuosesten Stil- und Erzählmittel des Films«, heißt es zur neuen Ausstellung des Filmmuseums in Frankfurt. Jannek Suhr erzählt, wie das Filmen in langen Einstellungen technisch möglich wurde, und liefert aktuelle Beispiele.
Meldung
Ina Weisse, Jahrgang 1968, ist Schauspielerin und Regisseurin. Sie hat Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule in München studiert und Filmregie an der Hamburg Media School. 2012 erhielt sie für »Das Ende einer Nacht« den Deutschen Fernsehpreis und den Grimme-Preis als beste Schauspielerin. »Der Architekt« (2008) war ihr Regiedebüt. 2019 erschien »Das Vorspiel«. Ihr neuer Film »Zikaden« startet am 19. Juni.
Im Juni findet in Hamburg der Kongress »Vision Kino« statt. Die Initiative blickt auf 20 Jahre zurück, in denen sich die Schulkinowochen als Bestandteil der Filmbildung etabliert haben. Wo die Reise hingeht und wie »Vision Kino« in angespannten Zeiten zur Demokratisierung beitragen kann, erläutert Geschäftsführer Leopold Grün im Gespräch mit Katrin Hoffmann.
Marcus Stiglegger im Gespräch mit Michael Kinzer, dem Kurator der Ausstellung »Entfesselte Bilder«.
Das Lichter Filmfest bot nicht nur ein buntes Filmprogramm, sondern war mit dem Kongress Zukunft Deutscher Film auch wieder Schauplatz hochaktueller Debatten.
Filmkritik
Die Frage ist inzwischen weniger, welcher 80er-Kinohit noch zurückkehrt, sondern eher, welcher bereits zum wiederholten Male wiederbelebt wird. »Karate Kid: Legends« vereint Elemente und Personal aus gleich mehreren Abschnitten der Franchise-Geschichte und mit Ralph Macchio und Jackie Chan ein Mentoren-Doppelpack.
Pietro Castellitto spielt Riccardo Schicchi, der als Inhaber einer Castingagentur den italienischen Erotikmarkt befeuerte, mit Stars wie Cicciolina und Moana Pozzi. Gutmütiger Blick auf die Pornobranche in einer Zeit vor den Hardcore-Exzessen des Internets.
Kevin McDonald verbindet in seinem Dokumentarfilm die 18 Monate, in denen John Lennon und Yoko Ono 1971–1972 im Greenwich Village wohnten, mit dem politisch-kulturellen Kontext dieser Zeit. Das nachgebaute Apartment, in dem sie endlos vor dem Fernseher saßen, erweist sich als gelungener Kunstgriff, die polarisierte Ära als Bilderflut erfahrbar zu machen.
Nehir Tunas Langfilmdebüt ist eine Coming-of-Age-Geschichte. Eingekeilt zwischen islamischem Wohnheim und republikanischer Schule, sehnt der 14-jährige Ahmet sich nach mehr. Durch die steifen Schwarz-Weiß-Bilder pocht das blühende Leben hindurch.
Mit dieser furiosen Dokumentation erinnern Rachel Ramsay und James Erskine an ein Megaevent des Frauenfußballs, das aus den Geschichtsbüchern ausradiert wurde.
Sigurjón Kjartansson vereint in seinem Film Künstlerkomödie, Beziehungskammerspiel und MeToo-Drama. Das funktioniert dank eines Ensembles, das den richtigen Ton trifft.
Aus diesem Film hätte mehr werden können: Silvio Soldini beschreibt aus der Perspektive von sieben Frauen, die Hitlers vegetarisches Essen vorkosten müssen, den Vorhof der NS-Macht, verheddert sich aber in Stereotypen und Kolportage.
32 Jahre nach Ang Lee gelingt Andrew Ahn ein zeitgemäßes Update, das die größere gesellschaftliche Akzeptanz für queere Menschen in den USA für ganz neue Komplikationen zu nutzen weiß.
Migrations- und Fluchtbewegungen mal nicht in Richtung Westen und nicht aus ökonomischer oder kriegsbedingter Not. In der Emanzipationsgeschichte einer jungen Afrikanerin träumt Abderrahmane Sissako von versöhnlicher Begegnung und kulturellem Austausch.
Ein fast zärtlich beobachtender Dokumentarfilm, der in der Tradition von »Herr Bachmann und seine Klasse« für die Kraft verantwortungsvoller Pädagogik plädiert.
Elektrisierendes, aber nicht immer fesselndes Musical-Drama um eine junge Marokkanerin, die als traditionelle Sheikha-Künstlerin in Casablanca ihren Traum verfolgt.
Gewalt als Lösung für alle problematischen Lebenslagen propagiert dieser uninspiriert in Szene gesetzte Killerfilm.
Die Chance, Emil Steinberger für ein jüngeres Publikum interessant zu machen, nutzt die Dokumentation leider nicht, sie verlässt sich auf Emils ikonischen Status und rollt dessen Karriere chronologisch auf. Das kann man sich gut ansehen, weil Emil so sympathisch herüberkommt.
Kinderfilmkomödie: wie das Äffchen Akiko seine Artgenossen aus dem Zoo befreit. Veit Helmer inszenierte mit vielen Einfällen eine ungewöhnliche Heldenreise, die Kinder auch überfordern könnte.
Das Drama über den Maler Bonnard und seine Muse Marthe konzentriert sich auf die mysteriöse Frau und ist trotz thesenhafter Momente ein buchstäblich malerischer Film.
Spielerische Fingerübung nach dem Riesenprojekt »Captain Marvel«: Anna Boden und Ryan Fleck reihen vier unterschiedliche Geschichten aneinander, die erst zum Finale miteinander verknüpft werden und insgesamt eine durchaus blutige Mischung aus Action und Komödie ergeben. Das macht durch ein prominentes Ensemble und vielen 80er-Jahre-Referenzen durchaus Spaß.
Ein zwielichtiger Geschäftsmann will sein Lebensprojekt vollenden – Wes Anderson entwirft eine kurzweilige Fabel über Moral und mischt in seinen verspielten Humor eine ungewohnt makabre Note.
Daniel Minahans Film erzählt in stimmigem Fifties-Flair die feinen Schwingungen einer Emanzipationsgeschichte, die sich in kleinen Fluchten raus aus der Enge entwickelt.
Behutsames, stilvolles Porträt von zwei Frauen aus sehr unterschiedlichen Lebenswelten in der brandenburgischen Provinz mit einer gewohnt fantastischen Nina Hoss und einer ebenso überzeugenden Saskia Rosendahl in den zwei Hauptrollen.
Robert Guédiguian versammelt seine vertraute Filmfamilie, um mit ihr seine bewährten Themen zu verhandeln: die armenischen Wurzeln, Solidarität, Engagement. Erstaunlich, dass dies noch immer ohne Schleifspuren der Routine gelingt!
Liebenswürdiger Film für Kinder und Begleitpersonal, der auf Märchenmuster rekurriert, um seine Mut machende Botschaft zu verbreiten: Selbst wer auf den ersten Blick nicht wie ein Held aussieht, kann die böse Hexe besiegen und vertreiben.
Um die Geschichte seines Vaters, des Kabarettisten Rainer Pause, zu erzählen, wird Aljoscha Pause nicht nur entwaffnend persönlich, sondern blättert auch die Geschichte des linken Widerstands in der jungen BRD auf.
Friedrich Schillers Drama »Wilhelm Tell« hat Nick Hamm zu einem Film inspiriert, der als Schlachtengemälde funktioniert. Die Charaktere hingegen entwickeln sich so vorhersehbar wie die immer wieder in Gewalt mündende Handlung.
Ungewöhnliches Gesellschaftsdrama über eine Frau, die sich dem Lärm der Gesellschaft entzieht. Nicht restlos überzeugend und doch sinnlich fesselnd.
Kerstin Polte spürt universelle Themen wie Liebe, Familie, Krieg und Trauma in den kleinen, zwischenmenschlichen Dramen auf. Ihr Ensemblefilm glänzt mit starker Bildgestaltung sowie einer diversen und gelungenen Besetzung.
Arthur Francks Doku über die KSZE-Schlusskonferenz 1975 ist ein Meisterwerk der unkonventionell-unterhaltsamen Vermittlung politischer und historischer Zusammenhänge.
Subversiv verlagert der norwegische Film die Perspektive vom edlen Aschenbrödel auf die »hässliche Stiefschwester« und verwandelt das Märchen vom Aschenbrödel in einen feministischen Body-Horror-Trip.
Statt der gewünschten ukrainischen Flüchtlingsfamilie kommt eine syrische in ein bretonisches Dorf, was Konflikte nach sich zieht, die leider arg konstruiert wirken: In ihrer satirischen Komödie über Fremdenfeindlichkeit verstolpert sich Julie Delpy zwischen Komik und Drama.
Mit ruhigem Blick gefilmte Momentaufnahmen weiblicher Solidarität in einer von Konflikten gebeutelten Weltregion.
Das neue Werk von Scott McGehee und David Siegel ist ein stark gespielter, bittersüßer Film über Trauer, Freundschaft und mehr.
Der Film konzentriert sich auf eine heroische Anekdote, in der der Schriftsteller als Postflieger einen in den Anden verschollenen Freund retten will. Die verbürgte Episode wird märchenhaft ausgemalt, die naiven digitalen Effekte jedoch korrumpieren die Glaubhaftigkeit der Erzählung nachhaltig.
Im vierten Teil ihrer über dreißig Jahre sich erstreckenden Langzeitbeobachtung, zeigt Aysun Bademsoy, dass die Töchter der Fußballerinnen mit der erkämpften Freiheit der Mütter offenbar nichts anzufangen wissen.
Der letzte Film der Agentenserie gerät durch Rückblenden und Erklärungen anfangs umständlich, feiert aber in haarsträubenden Actionszenen erneut die analoge Körperlichkeit ihres Helden – und ist mit ihrem Drive und Einfallsreichtum insgesamt ein würdiger Abschluss der vielleicht erfolgreichsten Actionserie aller Zeiten.
Faszinierender Dokumentarfilm über das Naturhistorische Museum in Wien, dessen Bestand mehr als 30 Millionen Objekte umfasst. Die Besonderheit der Institution bringt der Filmtitel zum Ausdruck, die Grundlagenerforschung der Vergangenheit bietet Hinweise für die Zukunft von Lebewesen und Natur. Demgegenüber wird Problematisches der Vergangenheit wie rassistische Schädelvermessungen und geraubte Objekte nur angerissen.