Kritik zu Der Helsinki Effekt
In seinem unterhaltsamen Dokumentarfilm lässt der finnische Regisseur Arthur Franck die Ereignisse rund um die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte Revue passieren, deren Menschenrechtspassus ungeahnte Folgen hatte
Genau 672 Verhandlungstage dauerte das, was als »Helsinki-Prozess« am 3. Juli 1973 in der finnischen Hauptstadt begann und dort am 1. August 1975 mit der Unterzeichnung der »Schlussakte von Helsinki« zum Abschluss kam. Ziel der Verhandlungen war es, einen Rahmen für die »Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« zu verabschieden. Auf Betreiben der westlichen Staaten fand auch ein Passus zur Achtung der Grund- und Menschenrechte Eingang in das Dokument.
»Dieser Mann ist gerade im Begriff, einen großen Fehler zu machen«, sagt eine Stimme aus dem Off, als Leonid Breschnew unterzeichnet. Denn das Dokument, das von der Sowjetunion hauptsächlich als Festschreibung ihrer Einflusssphäre in Osteuropa gedacht war, erwies sich wenige Jahre später als Bumerang, als mit der polnischen Solidarność-Gewerkschaft, der tschechoslowakischen Charta 77 sowie anderen Initiativen im Ostblock Gruppen entstanden, die sich ausdrücklich auf den Menschenrechtsteil der Schlussakte beriefen. Der »Helsinki-Effekt« war eine Art List der Vernunft, die letztlich die Auflösung des Ostblocks und den Zusammenbruch des Sowjetimperiums mit einläutete.
Diese Dynamik ist das Thema von Arthur Francks ungewöhnlicher und auf erfrischende Weise radikal subjektiver Dokumentation »Der Helsinki Effekt«. Franck bedient sich dabei inzwischen öffentlich zugänglichen Protokollen von Gesprächen zwischen dem US-Außenminister Henry Kissinger, dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromyko und Leonid Breschnew. Mittels Voice-AI lässt er deren Stimmen lebendig werden.
Der Film macht erst gar nicht den Versuch, das zähe Konferenzgeschehen historisch exakt zu rekonstruieren. Vielmehr montiert er den »faszinierenden und bizarren Austausch« der »politischen Superstars« anhand historischer Aufnahmen zu einem munteren Panoptikum, bei dem immer wieder mal im Schnelldurchlauf vor- und zurückgespult wird. So sieht man Helmut Schmidt und Erich Honecker bei der Unterzeichnung einträchtig nebeneinandersitzen. Andere Teilnehmer werden von Müdigkeit übermannt, wenn besonders redselige Staatschefs am Mikrofon stehen. Unübertroffen der Rumäne Nicolae Ceaușescu, der auf der Konferenz den Rekord mit einer 35-minütigen Ansprache hielt.
Francks Kommentare, die die Bilderflut zusammenhalten, sind mit leichter Ironie vorgetragen, bisweilen tritt der Sprecher in einen Dialog mit seinen Protagonisten, etwa mit Kissinger, den er auf seine anfängliche Fehleinschätzung der Konferenz (»die Materie langweilt mich zu Tode«) aufmerksam macht, die dieser später in seinen Memoiren aber korrigiert (»bedeutende diplomatische Leistung des Westens«).
Francks schwungvolles politisches Lehrstück – ein Muss für den Politikunterricht – mag am Ende leicht pädagogisch klingen. Sein Fazit darf aber angesichts des Zynismus und des Irrsinns, die derzeit die politische Agenda beherrschen, einmal ausgesprochen werden: All die langen Verhandlungsrunden, die Berge von Papier, die ausufernden Reden – »all das ist immer besser als die Alternative«.
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