Kritik zu The Ugly Stepsister

© Capelight Pictures

Die norwegische Filmemacherin Emilie Blichfeldt verändert die Perspektive und verwandelt das Märchen vom Aschenbrödel in einen feministischen Body-Horror-Trip

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»Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende«: Klassische Märchen enden in der Regel damit, dass eine junge Schöne vom Prinzen in eine (angeblich) glückliche Zukunft getragen wird. Dieses Trugbild unterzieht Emilie Blichfeldt in ihrem Spielfilmdebüt einem gründlichen Reality-Check, einem Abgleich des altertümlichen Märchens mit den unerbittlichen Realitäten des 21. Jahrhunderts. Statt über den Traum zu sprechen, rückt sie die fürchterlichen Strapazen ins Zentrum, denen sich junge Frauen für dieses inzwischen als durchaus fragwürdig geltende Ziel unterziehen, verbunden mit der berechtigten Frage, was es den Frauen nutzt, sich derartig zu verbiegen und zu verstümmeln, herunterzuhungern und zu quälen, wenn der Prinz, der zum Schaulaufen auf dem Ball einlädt, dann womöglich noch – so wie hier – ein schnöseliger Sexist ist.

Der weichgezeichnet-wolkenweiße Traum, in dem Elvira vom Prinzen auf einen Schimmel gezogen wird, um mit ihm davonzureiten, zerplatzt beim jähen Erwachen wie eine Seifenblase. »Schau doch mal in den Spiegel«, höhnt ihre hübsche Stiefschwester, Tochter des noch am Hochzeitstag verstorbenen Gatten. Unverblümt deutlich spricht Elviras Mutter, aus, dass sie »als Witwe mit zwei schlaffen Brüsten« für die Sicherung der Existenz der nun männerlosen Familie nicht mehr infrage kommt, und macht sich da­ran, ihre älteste Tochter einem martialischen Make-over zu unterziehen: Ohne Narkose – wir sind im 18. Jahrhundert – wird ihre Nase mit Hammer und Meißel korrigiert und anschließend in einer Schiene aus Metall und Leder fixiert, die mit mauvefarbenem Samtband an Ohren und Stirn befestigt ist. In einem qualvollen Prozess werden kleine Wimpernbüschel mit Nadel und Faden an ihrem Lid befestigt, eine Prozedur, die den Zuschauer ähnlich trifft wie einst Buñuels Rasiermesserschnitt ins Auge. Schließlich schluckt sie noch als »Wunderpille« zum Abnehmen ein Bandwurmei, was dazu führt, dass das in ihrem Körper heranwachsende Tier sie in ein von Heißhungerattacken gebeuteltes Schlingmonster verwandelt, ganz schlecht zu vereinbaren mit der höflichen Etikette. Unterdessen vollzieht sich an der Leiche des Gatten ein unappetitlicher Verwesungsprozess, denn angesichts kostspieliger Schönheitsoperationen fehlen für eine Beerdigung die Mittel. Man könnte es als feministischen Racheakt lesen . . .

Eine ganze Reihe von Regisseurinnen wie Julia Ducournau oder Coralie Fargeat unterzieht derzeit mit Filmen wie »Titane« oder »The Substance« die Auswüchse von Schönheits- und Jugendwahn einer satirisch übersteigerten Revision und lenkt damit den Blick auch auf eine weibliche Körperwahrnehmung, die von Männern definiert wird. In diesem Umfeld hat die norwegische Filmemacherin Emilie Blichfeldt schon eine Reihe von Kurzfilmen gedreht, zu denen eine filmische Skizze für ihr Spielfilmdebüt gehört. So hat sie sich das Märchen von Aschenbrödel vorgenommen und in einen feministischen Body-Horror-Trip verwandelt. Im Unterschied zu Disneys eher lahm geratenen aktuellen »Schneewittchen« liefert sie ein zeitgemäßes Update des klassischen Märchens, in dem sich der Weg zum Märchentraumprinzen als fürchterlicher Alptraum erweist, in dem die junge Frau Blut und Wasser schwitzt, ihre Knochen splittern und sich ihre Eingeweide von innen nach außen stülpen. Dabei dreht Blichfeldt die Spirale der Selbstoptimierung, wie man sie aus dem Heidi-Klum-Universum von »Germany's Next Topmodel« kennt, noch ein paar Umdrehungen weiter: Der Leitsatz »Wer schön sein will, muss leiden« wird hier mal ganz wortwörtlich in seinen Extremen durchexerziert. Dabei löst Blichfeldt die märchenhaft klare Trennung von Gut und Böse auf: Im atmosphärisch dichten Universum von »The Ugly Stepsister« sind im Grunde alle Opfer der gesellschaftlichen Umstände.

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