Kritik zu Wilhelm Tell
Friedrich Schiller als Schlachtgemälde auf der Kinoleinwand: Nick Hamm inszeniert mit Claes Bang in der Hauptrolle die Saga um den Schweizer Unabhängigkeitskämpfer
Friedrich Schillers Schweizer Volksheld Wilhelm Tell wandelt auf den (blutigen) Spuren des schottischen Freiheitskämpfers William Wallace. Beide erkämpften sich ihren legendären Ruf im 14. Jahrhundert. Claes Bang erscheint in Nick Hamms Film »Wilhelm Tell« als entfernter Verwandter von Mel Gibson, dem Regisseur und Hauptdarsteller des 1995 entstandenen Oscargewinners »Braveheart«. Das zumindest scheint der Plan des nordirischen Filmemachers Hamm gewesen zu sein. Er hat sich von Schillers 1804 erstmals aufgeführtem Tell-Drama inspirieren lassen und stellt seinem gut zweistündigen Werk ein Zitat aus der ersten Szene des zweiten Aufzugs voran: »Wenn wir unser Blut dransetzen sollen / So sei’s für uns – wohlfeiler kaufen wir / Die Freiheit als die Knechtschaft ein.«
Auch wenn Hamms »Tell« einen historisierend hohen Ton beibehält und dem Ganzen ein paar Shakespeare-hafte Sentenzen hinzufügt, gilt sein Hauptinteresse doch spektakulären Schauwerten. Tell wird eingeführt als Mann, der seinem Sohn Walter (hier Stiefsohn, denn Tell ist mit der von Golshifteh Farahani verkörperten Muslimin Suna verheiratet) mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf schießen muss. Der Kreuzzugveteran hatte sich eigentlich in eine Schweizer Landidylle zurückgezogen, aber nun – das Jahr ist 1307 – sinnt er auf Rache und Vergeltung. Die tyrannischen österreichischen Besetzer, allen voran Reichsvogt Hermann Gessler (Connor Swindells), werden Tells Kriegsexpertise zu spüren bekommen. Jamie Ramsays Kamera zeichnet das Leinwandgemetzel souverän auf.
Die Schwachpunkte des Films sind unübersehbar. Zunächst Titelheld Tell, den Bang nicht wie Shakespeares kriegstüchtigen Heinrich V. oder Gibsons »Braveheart« anlegt, sondern eher als brütenden, von Zweifeln gehemmten Hamlet. Die Entwicklung der anderen Charaktere vollzieht sich genauso vorhersehbar wie die immer wieder in Gewalt mündenden Wendungen der Handlung. Swindells als Gessler repräsentiert toxische Männlichkeit in aufreizend schwarzem Leder. Jake Dunn (Stüssi) steht ihm als blonder Todesengel zur Seite. Ben Kingsley trägt als König Albrecht eine albern-groteske Augenklappe und agiert weitgehend im Modus einer Monty-Python-Figur. So funktioniert in der Kunst das allen Ernst zersetzende Phänomen »Camp«. Durch die Diskrepanz zwischen wie aus Stein gemeißelten Sätzen und Figuren wie Tell, der pathosselig festhält: »Heute sind wir Schweizer!«, kann für einen Teil des Publikums ein vom Regisseur so nicht beabsichtigter Unterhaltungswert entstehen: unfreiwillige Komik.
Die Schlachten hingegen besitzen genregerechte Durchschlagskraft. Ihre Wucht verdanken sie nicht zuletzt extrem konfliktbereiten Frauen: Tells Suna, Gertrud (Emily Beecham) und Bertha (Ellie Bamber). Albrechts Tochter Agnes (Jess Douglas-Welsh) beantwortet die zum Schluss des Films an Gott adressierte Frage: »Wann wird dieses blutige Kriegsgeschäft enden?« Als personifizierte Kontinuität übernimmt sie nach dem Tod des Vaters den Thron. Ihre Soldaten skandieren: »Krieg!«
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