DOK.fest München 2025

Postfaktisches Denken
»Silent Observers« (2024)

»Silent Observers« (2024)

Das DOK.fest München, größtes ausschließlich dem Dokumentarfilm gewidmetes Filmfestival Deutschlands, beging seine 40. Ausgabe mit einem ­Programm von politischer Brisanz

Es war in mehrfacher Hinsicht eine denkwürdige Festivalausgabe: Sie markierte nicht nur den 40-jährigen Geburtstag des DOK.fests, sie war auch die letzte unter der Leitung von ­Daniel Sponsel, der als Präsident zur Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) wechselt. Seine Nachfolge tritt die bisherige Stellvertreterin Adele Kohout an, neue Stellvertreterin wird Maya Reichert, langjährige Leiterin der Bildungsplattform DOK.education. Mit einer Referenzförderung von 50 000 Punkten für jede deutsche Produktion im internationalen Wettbewerb ist zudem die Bedeutung des Festivals in der Branche weiter gewachsen. Einen neuen Preis gibt es mit dem »all inclusive Award«: für Produktionen, an denen maßgeblich Filmschaffende mit Behinderung beteiligt waren.

Auch kuratorisch wurden die Weichen neu gestellt: Ein Reihenkonzept – in diesem Jahr 16 thematische Reihen von »African Encounters« über »Nie wieder ist jetzt« bis »Stranger Than Fiction« – löst das Programmschema nach Wettbewerben ab; die Hauptpreise gehen nun reihenübergreifend an vornominierte zehn bis zwölf Filme.

Konnte beim Blick ins Programm zunächst der Eindruck entstehen, Reihenthemen und die jeweilige Filmauswahl stünden überwiegend im Zeichen gesellschaftlichen und politischen Engagements und weniger der künstlerisch-formalen Meisterschaft, so hielt das Festival doch zahlreiche Entdeckungen in Sachen Filmkunst bereit. »Silent Observers« von Eliza Petkova etwa, internationaler Hauptgewinner, war eines der herausragenden Werke: eine fast meditative Hybridform, in der die Tiere eines bulgarischen Dorfs zu Protagonisten werden, während die Menschen Randfiguren bleiben. Mit eigensinniger Poesie lässt der Film aus der Perspektive von Katze, Esel oder Hund eine magische Welt erstehen.

Unter den Filmen, die sich mit den Krisenherden der Welt auseinandersetzten, wurde einer der berührendsten mit dem DOK.horizonte-Preis ausgezeichnet: »Rashid, l'enfant de Sinjar« von Rasna Krajinovic erzählt vom Erwachsenwerden eines jesidischen Jungen, der eine lange Gefangenschaft in den Händen des IS überlebte und im instabilen Nordirak um ein Stückchen Normalität und eine Zukunft ringt – während er mit seiner Familie um die kleine Schwester bangt, die immer noch Geisel des IS ist.

Ein weiteres Werk mit starker eigener Handschrift war »Fiume O Morte«, eine Reise ins Jahr 1919 und die Stadt Fiume, das heutige Rijeka in Kroatien, wo sich eine farcenhafte Episode europäischer Geschichte abspielte, als der Dichter und Faschist Gabriele D'Annunzio dort für kurze Zeit ein autoritäres Regime errichtete und die Stadt ins Chaos stürzte. Regisseur Igor Bezinović inszeniert das in verspielten, ironisch gebrochenen Reenactments mit wechselnden D'Annunzio-Darstellern und dekonstruiert damit clever die gängige Praxis von Geschichts-Dokus. Einen nicht minder beeindruckenden Weg in die Geschichte wählt Robin Hunzinger in »Ice Grave«: Er erzählt von einer tragischen Nordpolexpedition per Wasserstoffballon im Jahr 1897 anhand von mehr als drei Jahrzehnten später gefundenen, erstaunlich gut erhaltenen Fotografien und Tagebüchern. Ein faszinierendes Abenteuer mit überraschend romantischem Ende.

Doch der Schwerpunkt des Festivals lag in der Gegenwart und ihren Verwerfungen, die in einigen Filmen eindrucksvoll und bestürzend hervortraten. Etwa in »The Last Republican«, einem Porträt von Adam Kinzinger, ehemaliger Abgeordneter der Republikaner aus Illinois. Nach dem Sturm auf das Kapitol stimmte er für eine Amtsenthebung Trumps, mit drastischen Konsequenzen: Ausgrenzung, Todesdrohungen, schließlich Rauswurf aus der eigenen Partei. In teils flapsigen Dialogen zwischen dem linken Regisseur Steve Pink und dem – im ehrenwerten Sinn des Wortes – wertkonservativen Kinzinger wird aber noch etwas anderes sichtbar: die Möglichkeit einer Verständigung über politische Gegensätze hinweg.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt