Interview: Leopold Grün über den Kongress »Vision Kino«
Schulkassen im Kino während der Schulkinowochen
Im Juni findet in Hamburg der Kongress »Vision Kino« statt. Die Initiative blickt auf 20 Jahre zurück, in denen sich die Schulkinowochen als Bestandteil der Filmbildung etabliert haben. Wo die Reise hingeht und wie »Vision Kino« in angespannten Zeiten zur Demokratisierung beitragen kann, erläutert Geschäftsführer Leopold Grün im Gespräch mit Katrin Hoffmann
Ins Leben gerufen wurde »Vision Kino« 2005 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), der Filmförderungsanstalt (FFA), der Stiftung Deutsche Kinemathek und der »Kino macht Schule« GbR, die gemeinsam als Gesellschafter fungieren. Da Film- und Medienbildung immer noch kein fester Bestandteil in den Curricula der Schulen ist, kommt »Vision Kino« eine wichtige Rolle in der Filmvermittlung zu. Ein Kernbestandteil sind die Schulkinowochen als »Lernort Kino«, die einmal im Jahr in den 16 Bundesländern von Projektbüros vor Ort durchgeführt werden. Schulklassen können – je nach Bundesland – innerhalb einer oder mehrerer Wochen zu günstigen Preisen ins Kino gehen. In Bayern etwa beteiligten sich in zehn Tagen Anfang April 130 Kinos in 117 Städten an den Schulkinowochen. Die angebotenen Filme liefern nicht nur Anknüpfungspunkte für den gesellschaftspolitischen Unterricht – wie Sieger sein von Soleen Yusef oder Wolfgang Beckers Good Bye, Lenin! –, sondern bieten auch »Kino pur« wie »Alles steht Kopf«. 2024 haben mehr als eine Million Schüler solche Vorführungen besucht, die in Gesprächen und durch Unterrichtsmaterialien vertieft werden.
Ein Leuchtturmprojekt ist der »Kindertiger«, bei dem das beste Kinderfilm-Drehbuch des Jahres von Kindern aus verschiedenen FBW-Jugendfilmjurys ausgezeichnet wird. Demokratiebildend bleibt das inzwischen abgeschlossene Projekt »Film Macht Mut«, das Anleitung zu antisemitismus- und rassismuskritischer Filmbildung gibt. Leopold Grün, der seit fünf Jahren Geschäftsführer ist und dessen Vertrag gerade verlängert wurde, macht mit der Berufung von Farnaz Sassanzadeh in die Leitungsebene auch nach außen die inklusive Haltung deutlich. Mitte Juni findet in Hamburg der alle zwei Jahre durchgeführte Kongress »»Vision Kino«« statt, diesmal unter dem Titel »Film verbindet –
Netzwerke für die Filmbildung«.
»Vision Kino« wird 20 Jahre alt. Was sind die größten Erfolge seit 2005?
Leopold Grün: Das ist natürlich das Projekt der Schulkinowochen: die Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen, der Diskurs, den man im Kino erlangen kann, filmbildnerische Maßnahmen zu einer Normalität werden zu lassen. Das ist das Schöne, dass es immer eine Weiterentwicklung gibt, sowohl quantitativ als auch kreativ. Natürlich brauchte es zunächst Impulse, die ja einerseits aus der Filmwirtschaft und aus der Kultur heraus kamen, so eine Einrichtung zu gründen. Das musste alles erst etabliert werden. Und das will ich als zweiten Aspekt in den Mittelpunkt rücken: Neben der Tatsache, junge Menschen als stabile Kinogänger zu gewinnen, ist es gelungen, eine wirkliche Auseinandersetzung mit Inhalt und Form zu gewähren und das in einem schulischen Kontext anzusiedeln.
Die Schulkinowochen sollen zur Demokratiebildung beitragen. Werden sie überall gleich angenommen? Also in der Stadt, auf dem Land, in den verschiedenen Bundesländern?
Wir stehen da natürlich nicht außerhalb einer allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung, sprich: Wir haben insgesamt eine Verschiebung in den städtischen Raum. Wir mussten mit der früheren Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, schon besondere Projekte auf den Weg bringen wie das »Mobile Kino«, das eben explizit auch den ländlichen Raum mit aktiviert, wo auch die Aula oder die Kirche den Ort der Zusammenkunft gewährleisten. Das hat sich seit einigen Jahren mit dem sogenannten Mobilen Schulkino entwickelt.
Wir haben aber auch, was die Bundesländer betrifft, quantitativ große Unterschiede. In Bayern sind mit über 200 000 Schülerinnen und Schülern die Schulkinowochen gerade zu Ende gegangen. Aber man freut sich eben auch über eine Steigerung wie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern. Wenn da mittlerweile 30 000 Kinder und Jugendliche beteiligt sind, ist das als größtenteils ländlicher Raum zu begreifen und eine sehr gute Entwicklung.
Dass manche Bundesländer insgesamt erfolgreicher sind, hängt manchmal auch mit der Struktur zusammen. Jedes Projektbüro agiert eigenständig mit eigenen kuratorischen Qualitäten. Und qualitative Veranstaltungen wie Fortbildungen und vertiefende Workshops sind mit einem größeren Aufwand verbunden.
2021 hatte die Staatsministerin für Kultur und Medien »Vision Kino« drei Millionen Euro für Maßnahmen gegen rechts zur Verfügung gestellt. Diese Unterstützung ist nun ausgelaufen. Wie geht es mit dem daraus entstandenen Projekt »Film Macht Mut« weiter?
Das war ein sehr erfolgreiches Projekt mit über 600 Workshops in allen Bundesländern. Aber es war auch sehr herausfordernd. Wir haben es geschafft, eine bundesweite Struktur aufzubauen und uns vor allem an die Grundschulen gewandt, um dort wirklich Basics über Begrifflichkeiten, was Diskriminierungssensibilität betrifft, zu etablieren. Die Möglichkeiten, diese Workshops durchzuführen, sind transparent. Die Materialien können auch weiterhin genutzt werden und liegen auf unserer Website zum Download. Ich weiß zum Beispiel von Sachsen, wo sie neue finanzielle Partnerschaften gefunden haben. Insofern wird das auch von uns vorangetrieben. Unsere eigene Sensibilisierung und dieser Prozess – das läuft eben weiter, auch von Persons of Color mit motiviert.
Mitte Juni findet in Hamburg der Kongress von »Vision Kino« statt unter dem Motto »Film verbindet –Netzwerke für die Filmbildung«. Welche Erwartungen haben Sie an den Kongress?
Wir haben gemerkt, dass wir in den letzten Jahren immer wieder mit unterschiedlichsten Netzwerken konfrontiert wurden. Wir selbst tragen das ja ebenfalls im Namen und können das nicht immer im ausreichenden Maße erfüllen. Netzwerken erfordert Kapazität, Wissen über die anderen Akteur*innen und vor allen Dingen auch Raum für Auseinandersetzungen und die Wahrnehmung von Privilegien. Aber inwieweit begreifen sich auch alle anderen, die mit uns zusammenarbeiten, als ein Netzwerk?
Die Erwartung ist, dass wir dort mit verschiedensten Akteur*innen wirklich ins Gespräch kommen und dort neben dieser Selbstreflexion neue Bündnisse schließen. Wir haben einige Impulse, die animieren, ins Gespräch zu kommen. Diese Möglichkeit wird es von der ersten Minute an geben, ebenso die Gelegenheit, vorbildhafte Projekte aufzuzeigen. Zum Beispiel, wo das Netzwerk mit einer Form des Ökosystems gleichgesetzt wird, wie man letztendlich auch ein Netzwerk begreifen kann. Wir versuchen ja, mit dem Kongress sehr viele Akteur*innen der Filmbildung der ganzen Bundesrepublik, aber auch international zusammenzubringen.
Gibt es Hürden zwischen den verschiedenen Akteuren innerhalb der Medienbildung?
Wir haben immer wieder Situationen, dass Leute das Gefühl haben, wir werden überschüttet mit Fördergeldern. Was gar nicht der Fall ist, weil wir wirklich 50 Prozent unserer Mittel in die Schulkinowochen investieren. Ich kämpfe die ganze Zeit darum, dass unsere Projektbüros als Netzwerkakteur*innen der Filmbildung das ganze Jahr über arbeiten können. Wenn die sich mit anderen Playern der Filmbildung vernetzen, dann könnten sie Ansprechpartner für Kino, Veranstaltungen, Schulen und Freizeiteinrichtungen sein. Das können sie aber meistens nicht, weil sie eben nicht das ganze Jahr zur Verfügung stehen. Zudem engagieren wir uns gerade, um langfristig frühkindliche Filmbildungsangebote sichtbarer zu machen und ausbauen zu können.
Wo wir gerade beim Geld sind: Aus Spar–zwang wird in diesem Jahr der »Kindertiger« ausgesetzt. Das ist eine Kooperation zwischen »Vision Kino«, Kika und FBW Jugend Filmjury. Ein Projekt, in dem wirklich junge Menschen beteiligt werden, die das beste Drehbuch eines Kinderfilms prämieren. Was wird daraus?
Es ist einfach so, dass wir dieses Jahr den Kongress haben, mit erhöhten Kosten konfrontiert sind und uns schlicht finanzielle Mittel fehlen. Da es sich in der Summe beim »Kindertiger« vor allem um Preisgelder handelt, haben wir so entschieden. Aber es schmerzt, denn es ist ein großartiges, partizipativ aufgestelltes Projekt und wir werden alles tun, um im nächsten Jahr dieses filmbildnerisch so wichtige Projekt wieder aufzunehmen –
und vielleicht auch mit neuen Partnerschaften in eine noch besser aufgestellte Zukunft zu führen.
Was sind denn die größten Herausforderungen in der nahen Zukunft für »Vision Kino«?
Die größten Herausforderungen stehen im Bereich Stärkung unserer eigenen Grundstruktur an, dort sind wir zu schlecht aufgestellt. Wenn hier eine Person fehlt, kommen wir sofort an unsere Grenzen, das finde ich für eine Einrichtung, die bundesweit Ausstrahlung besitzt und unter anderem das größte Filmbildungsangebot des Landes ermöglicht, nicht mehr zeitgemäß. Das andere ist die Strukturentwicklung der Ganzjährigkeit der Projektbüros in den Ländern, die regelmäßig Angebote und Kooperationen jenseits der Schulkinowochen ermöglichen sollen. Dazu brauchen wir eine größere Unterstützung aus Mitteln des Bundes, der Länder und von der Filmförderungsanstalt. In diesem gesamten politischen Klima bin ich gar nicht so pessimistisch, weil bereits erkannt wurde, dass man erst mal investieren muss, um gesellschaftlichen Zusammenhalt und Auseinandersetzung herzustellen. Wenn sich das auch auf die Kulturarbeit überträgt, dann ist mir gar nicht so bange.
Der 10. Kongress »Vision Kino« findet vom 16.-18. Juni in Hamburg statt.
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