Interview: Mary Alice Drumm über »Elio«

Mrs. Drumm, Außenseiter, die versuchen, sich durchzusetzen, sind uns aus vielen Pixar-Filmen vertraut, deshalb hat mich bei der Präsentation von Ausschnitten aus dem Film heute Morgen am meisten die Gemeinschaft der Aliens fasziniert, für die der Film den schönen Namen »Kommuniversum« gefunden hat. Können Sie mehr darüber verraten? Was für eine Idee steckt dahinter – und wie genau funktioniert es?

Wir haben uns das als eine Art weiterentwickelte UNO für die verschiedenen Alien-Arten vorgestellt. Das hat sich aus vielen Gesprächen entwickelt. Die Aliens teilen sich die Ressourcen und vermitteln den anderen Arten ihre spezifischen Fähigkeiten. Diese neuerworbenen Kenntnisse können dann die Vertreter auf ihrem Planeten an die Bevölkerung weitergeben. Im Film sehen wir aber auch eine Herrscherfigur, die auf diese friedliebenden Aliens stößt, selber aber alles andere als friedliebend ist und dieser Gemeinschaft ihren Willen aufzwingen will. 

Das kommt einem aus der aktuellen weltpolitischen Lage nicht unbekannt vor. Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass ein Animationsfilm, dessen Herstellung ja im Durchschnitt vier bis fünf Jahre dauert, in die Kinos kommt und wie ein Kommentar zur aktuellen Weltlage wirkt. Derzeit gibt es ja einige Staatenlenker, die auf die UNO nichts geben und am liebsten alles allein entscheiden wollen. Ist das ein seltsamer Zufall oder aber denken Sie bei der Planung eines Films in die Zukunft voraus: was könnte passieren?

Kreativität ist solch ein Rätsel, da fließt oft der Zeitgeist mit ein. Hier geht es um die Beziehungen unterschiedlichster Figuren, auch ganzer Rassen – wie kommt man miteinander klar? Wir haben oft mit mit Fachleuten gesprochen: wie es ist, wenn man hinaus ins All blickt und sich dabei ganz klein vorkommt, andererseits auch begreift, dass man selber Teil eines Größeren ist. Das verleiht dir Bodenhaftung und man fühlt sich mehr verbunden – »wir sind alle Erdenbürger«.

Pixar-Filme haben Ihren Ausgangspunkt oft in persönlichen Erfahrungen ihrer Regisseure. Wie war das hier?

Mit Adrian Molina hatte ich bereits bei »Coco« zusammengearbeitet. Eine der Ideen, für die er einen Pitch machte, war diese: was passiert, wenn der verrückteste Elfjährige, den es auf der Welt gibt, eines Tages tatsächlich von Aliens entführt wird, die ihn für den obersten Herrscher der Welt halten?
Darüber sprachen wir. Einige Elemente der Figur von Elio sprachen sowohl Adrian als auch Madeline und Domee an, wenn sie sich an ihre frühesten künstlerischen Arbeiten zurückerinnerten und sich damals ein wenig verloren fühlten. Schließlich kamen sie alle zu einem Studium an die CalArts, wo sie Gleichgesinnte trafen, die dieselben Erfahrungen gemacht hatten. Das verlieh ihnen Selbstbewusstsein und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Adrian wurde zudem auf einem Luftwaffenstützpunkt geboren, wo sein Vater als Militärzahnarzt arbeitete. Dieser Bezugspunkt stammt also von ihm.

Sehr faszinierend fand ich das Design des Alien-'Kommuniversums'. Gab es da unterschiedliche Ansätze? Wie kamen Sie schließlich zu diesen originellen Figuren und dem sehr farbenfrohen Look? 

Da haben wir viele alte Science-Fiction-Filme angesehen. Aber da damals die Zeit begrenzt ist, die eine Person in einem Alien-Anzug verbringen konnte, fragten wir uns: was, wenn sich diese Aliens anders bewegen, was, wenn sie etwa eine Atmosphäre zum Atmen benötigen? Andere Regissure im Studio, wie Lee Unkrich, wiesen darauf hin, dass sich doch vieles wiederhole in den bekannten Science-Fiction-Filmen – das ermunterte uns, in andere Richtungen zu denken.

Am Anfang der Arbeit an einem Pixar-Film steht normalerweise eine Exkursion. Wohin führte Ihre Sie?

Die Arbeit begann vor fünf Jahren, damals hatten wir die Pandemie, das schränkte unsere Möglichkeiten ein. Wir waren auf mehreren Militärbasen, auch auf der, wo Adrian geboren wurde, schliesslich auf einer, von wo auch Raketen gestartet wurden, die wurde unser zentraler Referenzpunkt. Zum anderen hatten wir zwei Astronauten, die uns berieten, sowie Fachleute für außerirdische Lebensformen. 

Haben Sie Sich für die Aliens auch Unterwasserkreaturen aus der Tiefsee angeschaut?

Oh ja. Das war faszinierend.

Sie haben heute Morgen erwähnt, dass der Film von Adrian Molina als Regisseur begonnen wurde, er aber dann das Projekt verließ um »Coco 2« zu inszenieren. Bedeutet das, dass »Coco 2« schon für einen festen Starttermin eingeplant war oder aber dass die Arbeiten an »Elio« länger dauerten als geplant?

Bei Pixar jonglieren wir ständig mit mehreren parallelen Projekten. Adrian hatte frühzeitig gesagt, dass er nach »Elio« dann »Coco 2« machen wollte. »Elio« wurde durch den Streik der Drehbuchautoren und der Schauspieler ein Stück weit verzögert. Wir wollten schnell mit »Coco 2« beginnen, deshalb war die Frage an Adrian als dessen Drehbuchautor, ob er die Regie übernehmen würde. Er hatte eine sehr gute Beziehung zu Madeline Sharafian und Domee Shi. Mit Maddie hatte er bei »Coco« zusammengearbeitet. »Elio« ist ein Film, bei dem alle drei ihre Fingerabdrücke hinterlassen haben. Maddie hatte die Idee, dass Elio schon immer in den Weltraum hinaus wollte, das gab der Figur eine bessere Grundlage, insofern es die Geschichte zu einer Wunscherfüllung für sie machte.

An welchem Punkt in der Arbeit fand die Stabübergabe statt?

Das war nicht allzulange nach dem Streik, als klar wurde, dass der Zeitplan sich verlängern würde und sich Adrian deshalb zwischen den beiden Projekten entscheiden musste. 

Das klingt so, als hätte »Elio« von dem Regiewechsel profitiert, weil die beiden neuen Regisseurinnen noch etwas Neues miteingebracht haben...

Das stimmt. Wenn Sie den Film ansehen, werden Sie auch Bezüge zu »Rot« herstellen können, den Domee 2022 inszeniert hat. Jeder der drei hat dem Film seinen Stempel aufgedrückt, es ist wie ein Puzzle, bei dem sich am Ende alles harmonisch zusammenfügt. 

Hat der Wechsel von einem Regisseur zu zwei Regisseurinnen größere Änderungen mit sich gebracht?

Adrian wurde, wie gesagt, auf einer Miltärbasis geboren und hatte deshalb eine sehr persönliche Bezieung zu der Figur von Elio; die beiden Regisseurinnen sahen Elios Problem allgemeiner als das von jungen Künstlern, die sich behaupten müssen. Beide haben keine Kinder, so schlug unsere Autorin Julia Cho vor, dass Elios Erziehungsberechtigte nicht seine Mutter wäre, sondern seine Tante. Zu der konnten Domee und Madeline leichter eine Beziehung aufbauen.

Als Mitproduzentin haben Sie einen Wechsel in der Regie bereits 2015 bei »Arlo & Spot« erlebt...

Und schon drei Jahre davor bei »Merida – Legende der Highlands«. Das passiert bei Pixar öfter, hier war es mit weniger Problemen behaftet, weil Adrian wusste, er hatte viele Gemeinsamkeiten mit Madeline und Domee.

Eine letzte Frage: Pixar und Disney zeigen in ihren Filmen seit mehreren Jahren, dass für einen emotionalen Zusammenhalt nicht nur die traditionelle Kleinfamilie aus Mann, Frau und Kind stehen kann. Es gab ein lesbisches Paar in Pixars »Lightyear«, ein schwules in Disneys »Strange World«. Von der jetzigen US-Regierung wird so etwas bekämpft. Kommen Sie im Studio zusammen und sprechen darüber, wie Sie sich dazu verhalten sollen?

Ich bin stolz darauf, bei Pixar zu arbeiten wegen des authentischen Geschichtenerzählens – Geschichten, die die Welt in ihren unterschiedlichsten Facetten repräsentieren. Die Filme sollen für sich selber sprechen, das authentische Geschichtenerzählen soll fortgeführt werden.

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