Sky: »The Narrow Road to the Deep North«
© Curio Pictures / Pty Ltd. / Screen Australia / Sony Pictures Television
Auch wenn die Miniserie »The Narrow Road to the Deep North« ihren erzählerischen Mittelpunkt während des Zweiten Weltkriegs hat, steht sie doch jenseits aller Konventionen des Kriegsfilmgenres. Keine Schützengräben. Keine Feuergefechte. Keine Momente der Bewährung. Im Zentrum steht das Leiden.
Der junge australische Sanitätsoffizier Dorrigo Evans wurde auf dem pazifischen Kriegsschauplatz von den Japanern gefangen genommen. Wie Vieh werden die Gefangenen in Güterzugwaggons nach Thailand transportiert, wo sie an der Bahnlinie arbeiten müssen, die einmal Thailand und Burma verbinden soll, um den Nachschub der Kaiserlich Japanischen Armee sicherzustellen. Von Ferne sehen sie Kriegsgefangene, die schon länger im heißen, schwülen Dschungel arbeiten, abgezehrte, fast nackte Gestalten – und sie wissen, wie sie einmal enden werden. Die Weltkriegsepisode ist ein Abstieg in die Hölle, so wie auch Justin Kurzels »Macbeth«-Verfilmung (2014) schon so etwas wie eine Höllenvision war.
Es ist nicht leicht, die grausame Behandlung der Soldaten durch die Japaner mitanzusehen, und Kurzel erspart einem da nichts, sei es die Amputation eines von Wundbrand befallenen Beins ohne Betäubung oder die Enthauptung eines australischen Kriegsgefangenen durch einen sadistischen japanischen Offizier. Der Bau der über 400 km langen Bahnstrecke, die »Death Railway« genannt wurde, durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter stellt eines der schwersten der vielen Kriegsverbrechen der japanischen Armee dar, wahrscheinlich sind 100 000 Menschen dabei gestorben. Und der Bau der Eisenbahn kam schon oft im Film vor, etwa in »Die Brücke am Kwai« – aber die Schmissigkeit dieses Films ist der Serie vollkommen fremd.
Immer wieder verlässt die Erzählung zeitlich das Gefangenenlager. Vor seiner Einberufung, 1940, lernt Dorrigo Ella kennen, seine spätere Verlobte und Ehefrau, hat aber eine kurze, wie wir annehmen müssen: ihn prägende Affäre mit Amy (Odessa Young), der Frau seines Onkels (Simon Baker). Im Jahr 1989 ist Dorrigo dann ein angesehener und reicher Chirurg, der mit Ella in einem modernen Palast aus Glas und Beton an der australischen Küste lebt; wie eingesperrt wirkt er dort mitunter. Und auch in dieser Zeitebene pflegt Dorrigo eine Affäre: mit der Frau eines Kollegen. Den jungen Dorrigo spielt Jacob Elordi (»Euphoria«, »Priscilla«) als einen Gedichte liebenden, eher in sich gekehrten jungen Mann, vielleicht etwas zu soft für einen Mann dieser Zeit, den älteren verkörpert Ciarán Hinds mit seiner gewohnt markanten Art.
Aber die Rücksprünge in den Dschungel und in die Zeit vor dem Krieg zeigen, wie die Vergangenheit noch in Dorrigo arbeitet, ohne dass Kurzel irgendetwas, etwa seine Affären, monokausal ableiten würde. Überhaupt sind die drei Zeitebenen (eigentlich sind es sogar vier, eine führt in der fünften Episode kurz noch in das Jahr 1946), äußerst geschickt ineinander montiert; die Episoden haben Zeit, sich zu entfalten, da wird nichts nur angespielt.
Mit »The Narrow Road to the Deep North« hat Kurzel den gleichnamigen Roman des australischen Schriftstellers Richard Flanagan adaptiert. Er erschien 2013 und bescherte dem Autor ein Jahr später den Booker Prize. Kurzel hat das Werk in fünf dreiviertelstündige Episoden verwandelt, die man auch mit Gewinn wie einen kontinuierlichen Film hintereinander sehen kann – ein Epos über das Leiden im Krieg und die Kraft der Liebe. Flanagans Vater war als australischer Kriegsgefangener beim Bau der »Death Railway« eingesetzt.
Die Miniserie, deren erste zwei Folgen in diesem Jahr Premiere auf der Berlinale hatten, ist ein Ereignis in Sachen physisches Kino, auch wenn das etwas widersprüchlich wirkt. Die meisten Szenen hat der hervorragende Kameramann Sam Chiplin in einem vagen Dunkel gehalten, nicht nur in Thailand. Im dichten Dschungel fällt kaum ein Licht auf den Boden, und die schlafenden Männer verschwimmen wie zu einem einzigen Körper, dessen Dreck und Schweiß man förmlich spüren kann. Aber Kurzel versteht es auch, die Liebe zwischen Amy und Dorrigo zu inszenieren, mit einer an Terrence Malick erinnernden Leichtigkeit und einer impressionistischen Beiläufigkeit. Man sollte sparsam mit dem Wort Meisterwerk umgehen, aber diese Serie ist ein eindringlicher kinematographischer Meilenstein.
OV-Trailer
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