Kritik zu Blindgänger

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Der Ensemblefilm glänzt mit ­gelungener Besetzung, starken Bildern und ist ganz selbstverständlich divers, auch wenn einige Handlungsstränge etwas zu vage bleiben

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Als Kerstin Poltes Kinodebüt »Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?« 2018 Premiere feierte, sprach sie schon von ihrem nächsten Film, der »so wie Iñárritus »Babel«, nur mit mehr Humor« werden sollte. Die Regisseurin hat Wort gehalten: »Blindgänger« ist ein Ensemblefilm mit trockenem Humor und skurrilen Figuren, deren Geschichten sich rund um die Entschärfung einer Weltkriegsbombe im Hamburger Schanzenviertel kreuzen. 

Im Zentrum steht Lane (Anne Ratte-Polle), Teil des Bombenentschärfungsteams der Hamburger Feuerwehr. Ein Job, der Besonnenheit, Nerven wie Stahlseile und innere Ruhe erfordert. Qualitäten, die Lane vielleicht mal hatte, die ihr aber irgendwo zwischen zwei Panikattacken abhandengekommen sind. Die neue Psychologin Ava (Haley Louise Jones) erkennt das und will sie für dienstuntauglich erklären. Dumm nur, dass Lanes versierter Kollege Otto (Bernhard Schütz) am Tag der Entschärfung spontan blau macht, nachdem seine Frau ihm eine Affäre mit einem jüngeren Kollegen offenbart hat, und Lane trotzdem ranmuss. Lanes Mutter Margit (Barbara Nüsse), die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat, wohnt in der akuten Gefahrenzone. Ihr Haus hat sie seit Jahren nicht verlassen. Sie entzieht sich heimlich mit Junis, dem afghanischen Schützling ihres Nachbarn (Karl Markovics), dem eine Abschiebung in die Türkei droht, den Evakuierungsmaßnahmen der Polizei. Ottos Frau Hanne (Claudia Michelsen) nutzt das allgemeine Chaos, um die Stadt zu verlassen, und gabelt unterwegs ihren Schüler William (Lukas von Horbatschewsky) auf. Außerdem zieht ein Tornado Richtung Norddeutschland . . .

Für Bewohner*innen deutscher Großstädte gehören solche Bombenfunde samt temporären Evakuierungen zum Alltag. Die Absurdität, dass wir 80 Jahre nach Kriegsende noch immer Sprengsätze ausbuddeln und gleichzeitig überall auf der Welt, auch aktuell in Europa, neue Bomben geworfen werden, bringt »Blindgänger« schon zu Beginn auf den Punkt, wenn historische Aufnahmen eines Bombenabwurfs mit dem Herzschmerz-Song »The End of the World« unterlegt werden. Die Figuren Margit und Junis stehen dabei für verschiedene Generationen von Kriegstraumata, die den Film politisch machen, auch wenn diese Ausnahmesituation vor allem als Folie dient, vor der die kleinen und großen zwischenmenschlichen Dramen verhandelt werden. 

Das Ensemble ist dabei ganz unangestrengt divers zusammengesetzt, bis in die kleinsten Nebenrollen: eine Ärztin im Rollstuhl (Kübra Sekin), queere, Trans- und Schwarze Charaktere, Frauen und Männer verschiedener sexueller Orientierung und verschiedenen Alters kombiniert Polte, ohne dass sich diese Figuren über diese Merkmale allein definieren oder ihre Geschichten darüber erzählt würden. Narrativ kommen einige Konstellationen und Handlungsstränge etwas kurz, aber der knackige Soundtrack und Katharina Bühlers starke und einer Kinoleinwand würdige Bildgestaltung machen »Blindgänger« zu einem gelungenen Beitrag eines modernen deutschen Kinos.

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