Nachruf: Marcel Ophüls

Marcel Ophüls

Marcel Ophüls

1. 11. 1927 – 24. 5. 2025

Seine Filme hatten den Vorzug, taktlos zu sein. Sie nahmen keine Rücksicht und schonten niemanden, wenn sie nationale Lebenslügen entlarvten. So war es schon 1969 in »Das Haus nebenan«, dem Marcel Ophüls seinen Weltruhm verdankte. Hartnäckig zerschmetterte der Film das behagliche Selbstverständnis, letztlich sei jeder Franzose in der Résistance gewesen. De Gaulle intervenierte bei dem Sender, der ihn in Auftrag gegeben hatte; er wurde erst 1981 ausgestrahlt. Louis Malle brachte ihn kurzerhand in einem Pariser Kino he­raus, das monatelang ausverkauft war. 

Auch mit seinem zweiten Hauptwerk, »The Memory of Justice« (1976) über die Nürnberger Prozesse, löste Ophüls erbitterte Kon­troversen aus, weil er den Fokus nicht nur auf die Verbrechen der Nazis legte, sondern ihn um eine Anklage des Algerien- und des Vietnamkriegs erweiterte. Ophüls erhob es zur schönen Kunst, das Publikum auf dem falschen Fuß zu erwischen. Seine Dokumentarfilme fingen nie so an, wie es sich gehörte. Was hatte etwa der Schauspieler Phillipe Noiret in »Veillées d’armes« zu suchen, einem Film über Kriegsberichterstatter in Ex-Jugoslawien? Er näherte sich seinen Themen auf Umwegen, sprunghaft und assoziativ. Vom Überlebenskampf der Journalisten, die im sturmreif geschossenen Holiday Inn in Sarajevo wohnten, schnitt er auf das gleichnamige Hollywoodmusical mit Bing Crosby oder zitierte die Marx ­Brothers, die in Duck Soup munter den Balkan verwüsten. Dieser Unernst baute keine Brücken der Kurzweil, sondern legte Stolpersteine aus. 

Er war das unruhige Gewissen der beiden Heimatländer seines Vaters Max, Deutschland und Frankreich. Dessen große Melodramen bezeugten ein wehmütiges Einverständnis mit dem Leben – die Triebfeder der Filme seines Sohnes war die Empörung. In Wien gezeugt und in Frankfurt geboren, führte er ein bewegt kosmopolitisches Leben. Zeitweilig war er als GI in Japan stationiert. Er brach sein Philosophiestudium ab, absolvierte eine Ausbildung als Fernsehjournalist, um dann gegen den väterlichen Rat ins Filmgeschäft zu gehen. Nach Regieassistenzen bei John Huston, Julien Duvivier und seinem Vater drehte er selbst zwei leichtfüßige Komödien. Deren Misserfolg war eine Kränkung, die tief saß. Nun kultivierte er das Image eines verhinderten Lubitsch. Er haderte mit dem Genre, in das es ihn fortan verschlug, schützte eine Söldnermentalität vor: Seine weltweit gefeierten Dokumentarfilme seien nur Auftragsarbeiten. Das war mehr als verdrießliche Koketterie. Hotel Terminus (für den er 1989 den Oscar erhielt) über Klaus Barbie, den Gestapochef von Lyon, verabscheute er angeblich so sehr, dass er einen Selbstmordversuch unternahm. Er überwarf sich mit all seinen Produzenten; auch denen, die keine Dummköpfe waren. Wie geistreich und amüsant diese Zerrissenheit sein konnte, erfährt man in der großartigen Textsammlung »Widerreden und andere Liebeserklärungen«. 

Die eigene Selbstverkennung mochte nicht darüber hinwegtäuschen, mit welch aufklärerischem Furor er zu Werke ging. Seine Arbeiten stellten, schon dank ihrer episch ausgreifenden Länge, unerhörte Ansprüche an ihn, seine Auftraggeber und das Publikum. Seine filmischen Ermittlungen im Spannungsfeld zwischen Geschichtsschreibung und Verdrängung führte er wie ein unbestechlicher Staatsanwalt, der nach Dienstschluss gern Musikkomödien sieht. Er verzichtete auf Offkommentare; in Interviewpassagen agierte die Kamera neutral, nicht rechthaberisch. Ambivalenzen und Widersprüche durften unaufgelöst bleiben. Wenn seine Gesprächspartner jedoch Vergessen oder Unwissenheit vortäuschten, legte die Montage Widerspruch ein: Unerbittlich argumentierte sie mit der Evidenz von Wochenschau- und Archivaufnahmen. 

Er entlockte Kriegsverbrechern und ihren Helfern unverhoffte Bekenntnisse. Wie schaffte er es nur, dass sie sich so freimütig vor der Kamera entlarvten? Ophüls besaß ein einzigartiges Talent, Menschen zu öffnen. Er ließ ihnen, so oder so, ihre Aura. Der Moralist war zugleich ein unnachgiebiger Charmeur, der mit listiger Jovialität nachhakte. Wenn er selbst vor der Kamera Position bezog, dann mitunter in verblüffend gewährendem Ton. In »November Days« (1990) erinnerte er daran, dass der Mauerfall immerhin eine friedliche Revolution gewesen sei. Wie er später indes die Selbstgewissheit des Dirigenten Kurt Masur untergrub, war ein Kabinettstück seiner Angriffslust.

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