Interview: Jean-Pierre Darroussin über »Das Fest geht weiter«
Ariane Ascaride und Jean-Pierre Darroussin in »Das Fest geht weiter!« (2023). © Film Kino Text
Monsieur Darroussin, »Das Fest geht weiter!« ist bereits Ihr achtzehnter Film mit dem Regisseur Robert Guédiguian. Mit keinem anderen Filmemacher haben Sie so häufig zusammengearbeitet. Was zeichnet ihn aus?
Wir waren schon befreundet, bevor Robert überhaupt anfing, Filme zu machen. Dann entstand die Idee, eine Truppe zu formen. Er schreibt eben auch für mich. Er schreibt für Ariane, er schreibt für Gérard, mittlerweile auch für jüngere Schauspieler, die öfter mit ihm arbeiten. Wir haben immer die Idee gehabt, dass wir ein gemeinsames Werk schaffen. Als wir jung waren, haben wir noch nächtelang diskutiert, auch darüber, dass wir uns unsere eigenen Arbeitsmittel schaffen müssen und ich bin so etwas wie ein Arbeitsmittel für ihn geworden – er ist für mich ein Motor geworden, wenn er für mich schreibt.
Haben Sie ihn kennengelernt durch seine Ehefrau Ariane Ascaride, mit der Sie zusammen auf der Schauspielschule waren?
Ja, Ariane und Robert kamen 1976 von Marseille nach Paris, seine ersten Filme drehte er 1982/83, aber da war ich noch nicht dabei, weil ich ja nicht aus Marseille stammte. Aber irgendwann später brauchten sie wohl Verstärkung. (lacht)
Leben die beiden jetzt wieder in Marseille, wo ja fast all diese Filme spielen?
Sie leben in Paris, aber sie haben eine zweite Bleibe in Marseille, in der sie mittlerweile immer mehr Zeit verbringen. Wenn es nach Robert Guédiguian ginge, würde er da noch mehr Zeit verbringen. Bei mir ist es so, dass ich im Lauf der Zeit auch immer mehr Marseiller geworden bin.
Und wie ist das mit Gérard Meylan? Lebt der in Marseille? Ich kenne ihn nur aus Filmen von Robert Guédiguian...
Gérard ist ein alter Kindheitsfreund von Robert. Ich kannte ihn auch schon lange, bevor Robert anfing Filme zu machen. Gérard ist eigentlich kein Schauspieler, er arbeitet als Krankenpfleger. Wir haben nächtelang im Krankenhaus verbracht, wenn Gérard dort nachts arbeiten musste. Aber für seinen Freund Robert hat er dann auch Filme gemacht, die hat Robert ihm direkt auf den Leib geschrieben und in dem Moment ist er dann zum Schauspieler geworden. Ein paar Filme mit anderen Regisseuren hat er allerdings schon gemacht.
Roberts erste Filme hat er ausschließlich mit seinen Kindheitsfreunden gedreht, die spielten dort mit, Malek Hamzaoui war darüber hinaus Produktionsleiter seiner Filme, auch viele Techniker sind von Anfang an dabei, die Truppe besteht nicht nur aus Schauspielern – der Cutter Bernard Sasia, der auch aus Marseille kommt, ist seit dem ersten Film dabei. Irgendwann hat sich das geöffnet und Robert hat seine Pariser Freunde mit in die Truppe aufgenommen – auch meine Freunde: einer meiner Kindheitsfreunde lebt jetzt in Marseille in ihrer Nähe.
Sie haben gesagt, dass er die Rollen für die Schauspieler schreibt. Das heißt, es gab nie einen Fall, dass er gesagt hat: hier ist ein Drehbuch – welche Rolle möchtest Du spielen?
Doch. Bei »Marie-Jo et ses deux amours« sollte Gérard ursprünglich die Rolle spielen, die ich dann übernahm. Ich meinte damals, ich sei für diese Rolle besser geeignet – nach einer gewissen Zeit war Robert damit einverstanden.
Bei den ersten Filmen war es so, dass wir uns da noch miteingebracht haben, wir haben über das Drehbuch diskutiert und auch unsere Dialoge etwas umgeschrieben, aber seit zwölf Filmen ist das nicht mehr notwendig, weil Robert mittlerweile so eine Reife hat, eine Meisterschaft im Drehbuchschreiben – da fassen wir nichts mehr an.
Am Anfang war es wirklich so, dass Robert in erster Linie ein Drehbuchautor war, Regie hat ihn gar nicht so interessiert. Ihn interessierte das, was er zu sagen hatte. So langsam hat er sich dann auch mehr für Regie interessiert, für die Auflösung der Szenen – er hat mehr Geschmack daran gefunden. Und dann hat sich auch so langsam sein eigener Regiestil etabliert. Er ist eigentlich jemand, der uns Schauspieler nicht groß führt, er sagt höchstens mal 'mach mal hier ein bisschen mehr, mach mal hier ein bisschen weniger'. In letzter Zeit fängt er auch an, noch ein Schauspielregisseur zu werden. (lacht) Er ist einfach ein enger Freund; am Anfang wagte er es auch nicht, sich Regisseur zu nennen, er fand das arrogant und prätentiös, er hat die Dinge eher ein bisschen laufen lassen, ist auch nicht jemand, der anderen gerne seinen Willen aufzwingt, was man als Regisseur manchmal ja tun muss. Er ist sehr fein und gar nicht so bestimmend. Er will, dass sich alle ausdrücken, er will das Chaos, das dabei entstehen kann, er hat angefangen mit learning-by-doing, was heute so gar nicht mehr geht.
Gibt es bei diesem Film etwas, was nicht im Drehbuch stand, was Sie Ihrer Figur hinzugefügt haben? Etwa am Anfang, wo Sie erwähnen, Sie hätten Ihre Buchhandlung den Angestellten übergeben, was ja schon viel aussagt über diese Figur.
Bei »Das Fest geht weiter!« und auch bei dem Film, den wir danach zusammen gedreht haben, war es so, dass die Rollen sehr genau beschrieben waren. Hier ging es auch um die Frage, ob es nicht eine neue Art gäbe, Politik zu machen, auch durch Sprache. Hier wird viel über Sprache verhandelt, auch durch Poesie, Gefühle – die sich auch wieder über Sprache ausdrücken, das ist auch eine Hinterfragung der Rolle von Sprache.
Es geht ein bisschen darum, dass die Menschen das Interesse an Politik verlieren, Demokratie als etwas wahrnehmen, wo jeder Macht ausüben kann, wo Macht aber auch etwas sehr schnelllebiges ist. Dieser Film hinterfragt all das, fragt, woher das nachlassende Interesse an Politik kommt und ob es nicht neue Ausdrucksmittel gibt. Das ist eher ein Film, der sucht, als ein Film, der Lösungen anbietet.
Robert hat mittlerweile ja auch eine Produktionsfirma gegründet, Agat Films, und die ist wichtig geworden. Den Anstoß für diesen Film gab der Finanzdirektor von Agat, weil es Wahlen in Marseille gab. Er gab Robert den Tipp, er solle das aufgreifen. Es gab den realen Fall einer Frau in Marseille, die plötzlich aus dem Nichts auftauchte, die keiner auf dem Schirm hatte und die vor allem die Stimmen der Linken auf sich vereinte. Es ist ihr tatsächlich gelungen, die Wahlen für das Rathaus zu gewinnen. Aber sechs Monate später ist sie dann zurückgetreten und hat das Amt an ihren Stellvertreter von der sozialistischen Partei übergeben. Daraus entstand die Idee, Ariane eine solche Figur spielen zu lassen.
Und der Ko-Autor des Drehbuchs, mit dem Robert seit einigen Jahren zusammenarbeitet, Serge Valletti, ein Theaterautor, wurde wirklich gebeten, eine Rede für die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Häusereinsturzes zu verfassen. Die anschließende Wahl war es, die zum Sturz des Bürgermeisters von Marseille führte.
Sie selber kommen aus einem politischen Elternhaus, Ihr Vater war Kommunist, habe ich gelesen. Was war das Wichtigste, das er Ihnen vermittelt hat – und wie hat er es Ihnen vermittelt?
Mein Vater hat mir sehr viel mitgegeben, er hatte übrigens eine ähnliche Herkunft wie der Vater von Robert, der Hafenarbeiter war – meiner war Verzinner. Charakteristisch für diese Generation war, alles selbst zu machen. Er hatte wahnsinnig viele Gerätschaften in seiner Werkstatt, das war alles noch Handarbeit. In dieser Zeit gab es nur eine Partei, die sich der Anliegen der Arbeiter annahm, das war die Kommunistische Partei. Mein Vater hat Marx gelesen, aber ich würde nicht sagen, er war ein Super-Marxist – er war genauso gut ein Maoist. Wichtig war ihm nur, dass er etwas tun wollte für das Volk, gegen die Hochfinanz.
Kommt aus dem Interesse an der kommunistischen Idee der Solidarität auch Ihr Interesse an Familien im weiteren Sinne? Sie arbeiten ja nicht nur in der Filmfamilie von Robert Guédiguian, sondern auch in der von Agnes Jaoui und Jean-Pierre Bacri – und haben Filme zusammen mit Ihrer Partnerin Anna Novion gemacht.
Ich komme noch aus einer Generation, in der Erfolge immer Gruppenerfolge waren, wir reden von den Rolling Stones, den Beatles. Das Erstellen von Kunst ist für mich immer Resultat einer Gruppendynamik. Der individuelle Erfolg ist dabei nicht so wichtig, Erfolg definiert sich immer über eine Zusammenarbeit in einer größeren Gruppe. Das Treffen mit anderen war schon immer etwas, das ich sehr schätze – nur dadurch kann man sich verändern und neue Sachen ausprobieren.
Auch beim Theater ist man Teil einer Truppe, ich habe einmal auch eine mit Catherine Frot gegründet; Jaoui und Bacri gehören derselben Generation an, man ging in dieselben Stücke, frequentierte dieselben Cafés – das waren immer Freundschaften.
Sie haben in drei Filmen und einer Fernsehserie mitgewirkt, bei denen Ihre Partnerin Anna Novion als Regisseurin tätig war. Geht die Arbeit über das Spielen hinaus, also sagt sie zu Ihnen bei einer Drehbuchlektüre etwa: Ich habe mit der Stelle ein Problem, schau doch bitte mal drauf – wie würdest Du das machen? Oder besteht sie darauf, das alleine in den Griff zu bekommen?
Nein, dieser Austausch ist ganz alltäglich. Sie will immer meine Meinung hören – was nicht bedeutet, dass Sie auf mich hört.
Sie selber haben 2006 einen Spielfilm als Regisseur gemacht, der – soweit ich weiß – in Deutschland nie gezeigt wurde. Was war das für eine Erfahrung und warum ist es bei diesem einen geblieben? Ist es am Ende doch zu viel, gleichzeitig die Hauptrolle zu verkörpern und Regie zu führen? Oder gab es danach einfach nicht die Stoffe, bei denen Sie das Gefühl hatten, das muss ich machen?
Nein, die Erfahrung selber war großartig, der Film lief auf dem Festival von Venedig, bekam mehrere Preise, hatte gute Kritiken und gute Zuschauerzahlen. Aber ich habe zwei Jahre lang nicht gespielt – das war zu lange. Kurz darauf lernte ich dann Anna Novion kennen und habe gemerkt, sie ist jemand, der Regie führen muss, das ist ihre Notwendigkeit – meine ist es zu spielen. Ich bin gerne am Set, das ist eine Praxis, die ich brauche. Als Regisseur hatte ich zu wenig davon, weil zu viel mit dem Geld zusammenhängt.
Sie haben 2015 auch ein Buch veröffentlicht, über das ich nichts in Erfahrung bringen konnte.
Der Titel des Buches lautet übersetzt »Die Erinnerung, die ich im Herzen behalte«. Das ist eine Zeile aus einem Revolutionslied. Es geht darum, was mich ausmacht, Leute, die mir begegnet sind – etwas autobiografisch.
Die Vorfahren von Robert Guédiguian kommen aus Armenien, was in seinen Filmen häufiger auftaucht. Hier behauptet in dem Restaurant ein Mann, Marseille sei von Armeniern gegründet worden: Ist da etwas dran?
Nein, das ist ein Witz. Sein Vater kam aus Armenien, seine Mutter aus Deutschland. Lange Zeit hat er sich mehr für die deutsche Seite interessiert, sein Vater war für ihn einer aus Marseille. Aber es kamen immer wieder Menschen aus Armenien auf ihn zu, die ihn drängten, etwas von der armenischen Kultur zu erzählen.
Können Sie zum Abschluss noch etwas über den neuen Film sagen, den Sie mit Robert Guédiguian gedreht haben?
Er heißt »Die kleine Diebin« und basiert auf der Oper von Rossini. Im Mittelpunkt steht eine ältere Frau, die als Reinemachefrau bei älteren Menschen arbeitet, diese aber bestiehlt. Sie macht das aus einer Notwendigkeit heraus, sie will ihrem Enkel die Klavierstunden bezahlen, weil der sehr talentiert ist. Das ist der Ausgangspunkt für eine Intrige, die auch zu einer Polizeiintrige wird, dabei gibt es viele Figuren, von denen ich eine bin. Ich werde beklaut und will verstehen, was die Notwendigkeit hinter diesem Diebstahl ist. Ariane spielt die Hauptrolle, Gérard ihren Ehemann, der das Geld verspielt.
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