Kritik zu Zikaden

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In ihrem dritten, stilvoll inszenierten Spielfilm über zwei unterschiedliche Frauen lässt Ina Weisse viele Leerstellen – gut so

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Die Schwüle des brandenburgischen Sommers legt sich in matten Farben über die kompletten gut eineinhalb Stunden: wenn die junge Frau im schlabbrigen T-Shirt mit panischer Stimme nach ihrer kleinen Tochter am Waldesrand sucht, wenn die nicht mehr ganz so junge Frau in stiller Konzentration in der Nüchternheit des Architektenhauses die toten Fliegen von der Fensterbank saugt, wenn die eine im miefigen Bowlingcenter Desinfektionsmittel in die Leihschuhe sprüht, die andere mit einem Alurollkoffer durch den klimatisierten Berliner Flughafen geht. Stets begleitet die beiden Frauen etwas Suchendes, Verlorenes, Unentschlossenes. 

In ihrem dritten Spielfilm erzählt Ina Weisse von zwei Frauen aus verschiedenen Welten. Und doch verbindet sie etwas. Sie sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Viele Leerstellen lässt Weisse, die Raum für unterschiedliche Interpretationen geben. Das ist faszinierend und manchmal auch ein wenig frustrierend.

Irritierend ist »Zikaden« gleich von Beginn an: Die etwas plumpe, alleinerziehende Anja (Saskia Rosendahl) findet ihre kleine, wilde Tochter, wie sie im Wald in einem Tierkadaver herumstochert. Anja hält sich mit prekären Jobs über Wasser, lebt schon ihr ganzes Leben in dem Dorf. Ganz im Gegensatz dazu steht die stilsichere, weltgewandte Isabell (Nina Hoss), die mit richtiger Entourage vor dem Bungalow vorfährt – mit ihren pflegebedürftigen Eltern samt polnischem Pfleger, Transporthelfern, einem Rollstuhl und Möbel- und Gepäckstücken. Generalstabsmäßig wirkt das, auch wenn Unsicherheit mitschwingt. 

Das Haus in der Provinz ist der Ferienbungalow ihrer Eltern, entworfen vom Vater und ähnlich stilvoll eingerichtet wie Isabells mit Bauhausmöbeln bestückte Wohnung in Berlin. Isabells Vater hatte einen Schlaganfall, die Mutter schafft den Alltag nicht mehr allein. Den Bungalow will insbesondere der dominante Vater nicht aufgeben. Isabell kümmert sich um die Pflege, um die Finanzen, um das Haus. Zwischendurch arbeitet sie als Maklerin für Luxusimmobilien. Weil sie es als Architektin nicht geschafft hat? Weil das Leben irgendwie anders gespielt hat? Auch das ist eine dieser Leerstellen. Ebenso wie ihre kriselnde Ehe mit dem Franzosen Philipp (Vincent Macaigne). Gegenseitig machen sie sich Vorwürfe. Er wortreich, dass sie stets das gemeinsame Leben bestimmt hat und ihrem Vater gefallen will. Sie verfällt in anklagendes Schweigen, hadert mit ihrer Kinderlosigkeit, der Beziehung, ihrem Leben.

Recht forsch dringt Anja in Isabells Leben ein. Es herrscht ein seltsames Unbehagen zwischen den Frauen und doch eine gewisse, vielleicht auch erotische Anziehung. Was sie jeweils in der anderen sehen? Schwer greifbar. Es sind die Themen, die Menschen jenseits der Lebensmitte beschäftigen. Ina Weisse, die auch das Drehbuch geschrieben hat, wird in diesem Juni 57. Sie hat ihre eigenen Eltern als Eltern von Isabell besetzt: Ihr Vater ist der renommierte Architekt Rolf D. Weisse, der in den 60ern mit Mies van der Rohe zusammengearbeitet hat und nun sichtlich von einem Schlaganfall gezeichnet ist. Weisses Mutter Inge war Lehrerin an der Französischen Schule in Berlin. Fast selbsttherapeutisch mutet der Film vor diesem Hintergrund an. Nina Hoss, die schon in Weisses »Das Vorspiel« die Hauptrolle spielte, erscheint gewohnt intensiv als kühle, beherrschte und dabei doch verunsicherte Frau, die sich zwischen den Erwartungen und Bedürfnissen ihrer Eltern und den eigenen verliert. Saskia Rosendahl tritt auf als etwas derbe Provinzlerin, die nie ganz ehrlich ist; sie bleibt ebenso wie Isabell rätselhaft.

Erneut kann sich Weisse in ihrer behutsamen Erzählweise auf ihre Kamerafrau, die fantastische Judith Kaufmann, verlassen, die mit ihren Bildern auf Details, den Figuren, der Landschaft oft minutenlang verharrt. Es ist ein zurückhaltendes, beobachtendes Eintauchen in die Lebenswelten von Isabell und Anja. Nicht alles ist logisch, manche Wendung schlicht behauptet. Genau das macht »Zikaden« aus, denn so ist auch das Leben: voller Brüche und Widersprüche.

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