05/2025

»Mon dieu!« – Die französische Schauspielerin Noémie Merlant lässt in »Balconettes« drei Frauen von der Leine. Im Heft: Porträt und Kritik +++

»Ethan Hunt is back« – Zum letzten Mal löst Tom Cruise eine scheinbar unmögliche Mission – eine Hymne zum Abschied +++  

»Kino in der Gemeinde« – Ein Blick auf die nichtgewerbliche Filmarbeit der Kirchen und ihre lange Tradition +++ 

»Dreieinigkeit« – Im Arthouse-Kino hat sich die lose zusammenhängende Trilogie etabliert. Über die Faszination einer magischen Zahl +++ 

Im Kino: Burhan Qurbani: Kein Tier. So wild. | Jia Zhang-ke: Caught by the Tides | Steven Soderbergh: Black Bag | Jan-Ole Gerster: Islands +++

Streaming: Andor Staffel 2 | Grand Tour | Black Mirror Staffel 7 | Your Friends and Neighbors + Interview mit Jon Hamm | Daredevil: Born Again +++

In diesem Heft

Tipp

Aus der Vorbildfunktion der legendären »Golden Girls« macht die neue Sitcom »Mid-Century Modern« kein Geheimnis. An sie heranzukommen, hat diese erste Staffel trotz starker Besetzung noch etwas Mühe.
Mit »Grand Tour« war Miguel Gomes im vergangenen Jahr zum ersten Mal im Wettbewerb von Cannes vertreten und erhielt prompt den Regiepreis.
Sensibel und ohne Fingerzeig: Der britische Vierteiler »Adolescence« über einen Teenager, der eine Mitschülerin umgebracht hat, ist das Serienphänomen der Stunde.
Disney+ setzt mit »Daredevil: Born Again« die frühere Netflix-Serie um den blinden Rechtsanwalt und seinen Kampf gegen den Schurken Fisk fort, wieder mit Charlie Cox und Vincent D'Onofrio.
Auch in der siebten Staffel bleibt die von Charlie Brooker kreierte Tech-Noir-Serie »Black Mirror« ein interessantes und sehenswertes Science-Fiction-Spektakel.
Scheitern auf hohem Niveau: In »Your Friends and Neighbors« spielt Jon Hamm zum ersten Mal seit »Mad Men« wieder eine Serienhauptrolle.
Am 3.5. sprechen Urs Spörri und Sabine Horst im Filmmuseum mit Julia Jentsch über ihre Rolle in »Was Marielle weiß«.
Sex über den Wolken: Das Remake des 70er-Jahre-Erotikfilms »Emmanuelle« mit Noémie Merlant in der Hauptrolle.
Die zweite Staffel der »Star Wars«-Serie »Andor« bringt die Rebellion gegen das Imperium in Stellung und ist politischer denn je – zulasten der Leichtigkeit.

Thema

Kino in der Gemeinde? Ist ein Erlebnis. Und es gibt dafür eine ausgezeichnete Infrastruktur – vom Label »Film des Monats« bis zum Verleih Matthias-Film. Rudolf Worschech über die nicht gewerbliche Film­arbeit der Kirchen.
Antonioni und Bergman haben es getan, Kieslowski und Link­later. Die Nouvelle Vague war geradezu besessen davon. Und aktuell gibt es einen großen Drang, Filme miteinander zu verbinden: zur Trilogie, wie Dag Johan Haugeruds »Oslo«-Filme, deren zweiter und dritter Teil jetzt ins Kino kommen.

Meldung

Mit der Serie »Mad Men« gelang ihm 2007 der große Durchbruch. Sieben Staffeln lang spielte Hamm den Werbe- und Lebemann Don Draper, wofür er mit dem Emmy und dem Golden Globe ausgezeichnet wurde. Nach Nebenrollen in Filmen wie »The Town«, »Baby Driver« oder »Top Gun: Maverick« konzentriert sich der 54-Jährige zuletzt wieder mehr auf Serien und trat in »The Morning Show«, »Fargo« und »Landman« als Charakterdarsteller auf. In »Your Friends and Neighbors« spielt er einen Hedgefondsmanager, der beginnt, seine Nachbarn auszurauben.

Filmkritik

Michail Lockshin macht in seiner Bulgakow-Adaption deutlich, dass es um Zensur, die Natur von Gut und Böse, die Macht von Liebe und Kunst sowie um die Feigheit der Intellektuellen in einem totalitären Regime geht. Das ist alles ein bisschen viel, entzieht sich aber auf angenehme Weise der einfachen Aktualisierung und Erklärung.
In eindrücklichen Bildern erzählt dieses berührende Familiendrama von einer Frau, die für den Kampf für Menschen- und Frauenrechte ein iranisches Gefängnis dem sicheren Exil in Deutschland mit ihren Kindern vorzieht.
Jia Zhang-kes neuer Film erzählt von einer unglücklichen Liebe, die sich von Anfang der 2000er Jahre bis in die Jetztzeit zieht – und damit von der Entwicklung Chinas in diesen Jahrzehnten. Ein eigenwilliges, sehr poetisches Werk über das Verrinnen der Zeit.
Ein Mädchen – »Systemsprengerin« Helena Zengel – entkommt der väterlichen Fuchtel, indem es in den Wald flüchtet und mit einer sagenumwobenen Kreatur Freundschaft schließt: ein metaphernüberladenes handgemachtes Märchen, im Ganzen leider weniger als die Summe seiner kreativen Teile.
Annähernd 2000 Häftlinge warten in einem Abschiebegefängnis im US-Bundesstaat Georgia auf ihren Prozess. In ihrem Film geben Ole Elfenkaemper und Kathrin Seward Einblicke in die Arbeit des Menschenrechtsanwalts Marty Rosenbluth, der Betroffene bei ihrem Kampf gegen die Ausweisung unterstützt.
Burhan Qurbanis Adaption von Shakespeares »Richard III.« ist eine wagemutige, hoch stilisierte Mischung aus klassischem und modernem Stoff, Theater und Film. Überbordend an ästhetischen Mitteln und beeindruckend gespielt.
Albert Serras erster Dokumentarfilm geht mit einigen namenlosen Stieren und einem berühmten Torero fast immersiv in die Arenen diskursiv scharf umkämpften Terrains.
Aus der Formel »Feiert nicht Hochzeiten, sondern Trennungen« entwickelt Jonás Trueba eine trotz dialogischer Längen funktionierende Geschichte mit komödiantischen Effekten und emotionalen Akzenten.
Ohne Kitsch erzählt Sarah Winkenstette von dem autistischen Tom, der gemeinsam mit seinen Geschwistern in einem Sommerurlaub bei den Großeltern über sich hinauswächst. Berührend, witzig und wohltuend unsentimental.
Ohne rechte Ecken und Kanten erzählt das Regieduo Mehdi Idir und Grand Corps Malade das märchenhafte Leben des Chansonniers Charles Aznavour nach. Hübsch anzusehen, dabei wohlwollend erzählt und konventionell inszeniert.
Während eines Gipfeltreffens der G7-Staaten sehen sich die Politiker in der Umgebung eines deutschen Schlosses plötzlich alleingelassen und mit mysteriösen Geschehnissen konfrontiert. Der neue Film von Guy Maddin vermag den Zuschauer auf heilsame Weise zu irritieren.
Eine komplexe historische Familienrecherche zur NS-Zeit, die auch von der Entwicklung einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung erzählt.
Eindringlich, mit wachem Blick für Zeitkolorit und die soziale Atmosphäre der kalabrischen Provinz schildert das Regiegespann Daniela Porto/Cristiano Bortone den Kampf einer alleinerziehenden Mutter für Selbstbestimmung. In der empfindsamen Adaption von Portos Roman steht ganz Italien vor dem Aufbruch in eine freiere Zukunft, als bei der Wahl 1946 zum ersten Mal auch Frauen ihre Stimme abgeben können.
Ein Schornsteinfeger wird von einem Traum verfolgt, in dem David Bowie ihn wie eine Frau anschaut, sein Kollege und Freund hatte erstmals Sex mit einem Mann. Mit zärtlichem Blick und tragikomischem Ton arbeitet sich Dag Johan Haugerud am Begriff der (sexuellen) Freiheit in unseren von Konventionen orchestrierten Gesellschaften ab.
In Steven Soderberghs Film befinden sich intensives Beziehungskammerspiel, spannender Geheimagenten-Plot und Schauspielkunst in perfekter Balance. So sieht Kino-Haute-Couture aus.
In der Spielfilmversion seiner Dokumentation liefert Alex Parkinson faszinierende Einblicke in einen der gefährlichsten Jobs der Welt, verbunden mit der Spannung eines Survival-Thrillers in den unwirtlichen Tiefen der Nordsee.
Der Mittelteil der »Oslo Stories«-Trilogie erzählt in radikaler Subjektivität von der Liebe einer 16-Jährigen zu ihrer Lehrerin. Die Aufzeichnungen des Mädchens sind gleichzeitig filmische Erzählform und Stein des Anstoßes. Dass auch große Gefühle in kleinen Alltagen stattfinden müssen, begreift Regisseur Haugerud als Chance, um uns glückende Kommunikation zu zeigen.
Trauer ist das Thema, und selten hat es ein Film so durchdacht und subtil, so wohlkomponiert und lyrisch umgesetzt wie der vierte Film des Isländers Rúnar Rúnarsson.
Der Dokumentarfilm wirft einen behutsamen Blick auf die aussterbende Tradition der Burrneshas im ruralen Albanien und offenbart, dass Geschlechterrollen kein Naturgesetz sind, sondern schon immer veränderlich waren.
Ein britischer Hotel-Tennislehrer hilft einer Touristin bei der Suche nach ihrem verschwundenen Mann. »Islands« spielt geschickt mit Film-noir-Motiven, aus denen er die subtile Geschichte einer Sinnsuche entwickelt. Das ist manchmal etwas ermüdend, bleibt aber immer atmosphärisch und vor allem großartig gespielt.
Jan Henrik Stahlbergs Film überwältigt das Publikum mit einem wilden Stilmix, um die missionarische Mission eines Mannes im Kampf gegen den Neoliberalismus zu bebildern. Das gestaltet sich mal mit effektvoll inszenierter Komik, mal mit zäher thesenhafter Rhetorik.
Pia Marais' Postkolonialwestern über eine junge Wunderheilerin im brasilianischen Regenwald ist atmosphärisch faszinierend, aber thematisch überfrachtet.
Relotius lässt grüßen, aber die spannend inszenierte und kammerspielartige Charakterstudie im südostasiatischen Setting verrät ebenso wenig über moralische Dilemmata des Journalismus wie über die Psyche des unnahbaren Protagonisten.
Die Regierung mag während der Hitzewelle davor warnen, ins Freie zu gehen. Aber der wahre Schrecken lauert hinter den Fassaden. Noémie Merlants zweite Regiearbeit ist ein halluzinierender Formwandler von einem Film, vermischt gewitzt die Genres, bricht rabiat mit Sehkonventionen und feiert, prächtig besetzt, die weibliche Selbstermächtigung. Nur: Wie bringt man einen Geist dazu, die Wahrheit zu gestehen?
Der autistische Buchhalter ist endlich wieder im Einsatz. Gemeinsam mit dem entfremdeten Bruder und einer Vertreterin der Staatsgewalt kommt er Menschenhändlern auf die Spur und schiebt den Bösewichtern den Riegel vor. Für einen Actionfilm ein bemerkenswert sentimentales Unterfangen, dank Ben Affleck und Jon Bernthal in den Hauptrollen geht diese Rechnung aber auf.
In seinem ersten komplett selbst geschriebenen Film seit seinem Debüt »Fruitvale Station« erzählt Ryan Coogler von einem Zwillingspaar (Michael B. Jordan), das im Mississippi der 1930er Jahre einen Nachtclub für die Schwarze Community eröffnet. Was als Historiendrama über die Segregation und nicht zuletzt Verneigung vor der Wirkungsmacht des Blues und den Traditionen der afroamerikanischen Kultur beginnt, wird schließlich zu einer wilden Mischung aus Vampir-Horror und blutiger Action. So unerwartet, wild und kraftvoll, aber auch in Kameraarbeit, Soundtrack oder Schauspiel exzellent umgesetzt ist Mainstream-Unterhaltung lange nicht gewesen.
Mit der Kinoversion des Computerspiels »Minecraft« schuf Jared Hess eine filmische Tapete, die einen skurrilen Charme versprüht.
Basierend auf dem Spionagethriller »Sein oder Nichtsein« von Robert Littel kreuzt der Brite James Hawes das brachiale »Ein Mann sieht rot«-Genre mit dem Agententhriller. Anfangs kommt der Film mit papierdünnen Charakteren nur holprig in Gang, doch je mehr er sich auf die strategischen Fähigkeiten seines Amateur-Agenten (Rami Malik) konzentriert, desto vergnüglicher wird der Film.
Inhaltlich gibt das Remake dem Märchen und der Figur ein weitgehend erfrischendes Update, doch die ästhetische Gestaltung vermag es nicht wirklich, eine magische Fantasiewelt zu kreieren, die sich harmonisch zusammenfügt.

Film