Mubi: »Grand Tour«

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Verspielter Bilderstrudel

»Grand Tour«, der neue Film des portugiesischen Filmemachers Miguel Gomes, ist eine Entdeckungsreise nach ganz eigenen Regeln. Zu dieser filmischen Exkursion in unvertraute Gefilde gehört es, mit Neugier auf die Welt zu blicken, offen für Zufälle und Unerwartetes zu sein und sich auch mal mit Gusto zu verlaufen. Das gilt für die Filmfiguren ebenso wie für den Regisseur und das Publikum. Der Titel bezieht sich auf die sogenannte »Asian Grand Tour«, einer vor allem bei der britischen Oberklasse beliebten Reiseroute zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die in einer Großstadt des Empire im alten Burma oder Indien begann und meist in China oder Japan endete. Der Schriftsteller William Somerset Maugham verewigte seine Erfahrungen damit im 1930 erschienenen Buch »The Gentleman in the Parlour«, das Gomes inspirierte.

Davon ausgehend erzählt Gomes, wie ein Kolonialbeamter namens Edward (Gonçalo Waddington) vor seiner Verlobten Molly (Crista Alfaiate) durch einen Teil Asiens flieht, während sie ihn verfolgt, um ihn zu heiraten. Die 1918 einsetzende Handlung stellt Gomes in einem Studio nach und inszeniert sie im Stil eines exotischen Hollywoodfilms der Dreißiger Jahre. Edward irrt von Mandalay nach Bangkok und Shanghai bis Osaka, seine hartnäckige Braut dicht auf den Fersen. Das ist oft komisch bis zum Slapstick, dann wieder melodramatisch überhöht. Gomes verbindet diese Momente mit dokumentarischen Aufnahmen, die er mit kleiner Crew und Kameramann Sayombhu Mukdeeprom vorab auf einer Recherchetour auf 16mm gedreht hat, in Birma, Thailand, Vietnam und Japan. Nur in China war Gomes nicht selbst vor Ort, wegen des Lockdowns 2020 filmte ein lokales Team unter seiner virtuellen Anleitung aus seiner Heimatstadt Lissabon. Dieses Material, das oft lokale Erzähltraditionen wie Theater- und Tanzdarbietungen, Puppenshows und Volkslieder zeigt, entstand noch vor dem Schreiben des Drehbuchs. Sie stimulieren die späteren, artifiziell aufgeladenen Schauspielszenen. Aus dem Verweben dieser Gegensätze, Fiktion und ethnographisches Dokumentarmaterial, Studio und Außenwelt, Vergangenheit und Gegenwart, entsteht ein verspielter Bilderstrudel, der zu immer neuen Assoziationen führt, die keinem festen Prinzip folgen und deren Sinn sich nicht immer erschließt.

Um eine politische Botschaft, etwa eine postkoloniale Kritik, geht es Gomes jedenfalls nicht. Er setzt eher auf ein emotionales Staunen über den immer wieder überraschenden Reichtum der vorgefundenen Realität und macht zugleich das Konstruierte des Kinos selbst sichtbar. Verstärkt wird das Fragmentarische dieser Collage durch eine Vielzahl an Sprachen, die je nach Region wechseln. All das erfordert eine Form des Sehens, das sich zugewandt auf diese Reise durch Zeiten und Welten einlässt, mit all den Widersprüchen und Diskontinuitäten, und sich seinen ganz eigenen Reim auf die Bilder macht.

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