Kritik zu Grüße vom Mars
Sarah Winkenstette verfilmt das gleichnamige Buch von Sebastian Grusnick und Thomas Möller über einen Jungen mit Autismus. Ein Familienfilm über das Anderssein und den Mut zu Veränderungen
Tom mag feste Regeln. Gar nicht gehen die Farbe Rot, Berührungen und zu schrille Töne. Tom ist Autist, ein begabter Matheschüler und leidenschaftlicher Astrophysiker. Am liebsten trägt er einen Astronautenanzug. Wenn ihm die Welt zu viel wird, setzt er auch noch den Helm auf und schließt das Visier. Mit seiner Mutter und seinen Geschwistern Nina und Elmar lebt er ein durchstrukturiertes Leben in Hamburg. Doch die Ordnung droht durcheinanderzugeraten, als die drei für vier Wochen zu den Großeltern nach Lunau sollen. Ihre Mutter muss beruflich nach China und ermutigt Tom: »Wenn du es bei Oma und Opa schaffst, schaffst du es auch zum Mars«. Denn das ist Toms größter Traum.
Sarah Winkenstette hat mit »Grüße vom Mars« das gleichnamige Buch von Sebastian Grusnick und Thomas Möller als einen berührenden, klugen und oft sehr witzigen Familienfilm inszeniert.
Es ist der Horror für Tom (Theo Kretschmer), aus seiner gewohnten Routine gerissen zu werden, und nicht nur für ihn. Denn Lunau liegt nicht nur in der Pampa, sondern auch für Nina (Lilli Lacher) und Elmar (Anton Noltensmeier) in einer anderen Welt: kein Internet, keine Regeln und das Haus der Großeltern ein buntes Chaos. Oma Hanna (Hedi Kriegeskotte) leitet einen morgendlichen Sportkurs, den sie die »Dickengruppe« nennt, und Opa Horst (Michael Wittenborn) springt schon mal nackt in den See und lässt den 13-jährigen Elmar auf einem Feldweg das in die Jahre gekommene Wohnmobil fahren. Es herrscht die pure Anarchie, und doch wachsen alle auf ihre Art über sich hinaus. Tom, indem er sich auf dem Dachboden eine Art Observatorium einrichtet, Nina, die ohne Handyempfang einen klareren Blick für ihre Freundschaften erlangt, und Elmar, der plötzlich Spaß an Mathe findet, weil er mit seinem Opa eine Rampe für sein BMX-Rad konstruiert. Und auch Oma und Opa entdecken Seiten an sich, die lange verschüttet lagen.
Mit Flashback-Sequenzen von roten Fingernägeln und der roten Tür der Großeltern macht Winkenstette die Empfindungen von Tom erlebbar, wechselt die Tonspur, um auch seine auditive Wahrnehmung zu vermitteln. Zugleich fügt sie animierte Zeichnungen von Tom zu Sternenkonstellationen ein oder legt sie über reale Bilder, um so sichtbar zu machen, wie Tom aus Alltagsbewegung Planetenbewegungen berechnet.
Ihre Figuren beschreibt sie mit liebevollem Blick, ohne zu beschönigen. Toms Geschwister behandeln ihn mit verantwortungsbewusster Selbstverständlichkeit und rasten doch auch mal aus. Oma Hanna, sonst pragmatisch-robust, wird ganz weich, wenn sie an ihren verstorbenen Sohn, den Vater von Tom, Nina und Elmar, erinnert wird. Trotz ländlicher Idylle verfällt Winkenstette niemals dem Heile-Welt-Kitsch. Und dann ist da noch Theo Kretschmer, der den zehnjährigen Tom sehr überzeugend gibt, in all der liebenswerten Ernsthaftigkeit, mit der er dem Leben begegnet. »Grüße vom Mars« ist ein wohltuend ehrlicher, manchmal schriller, manchmal ganz leiser Film über Zusammenhalt und Anderssein.
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