07/2023

»Last Minute Rescue« – In einer Welt der Krisen ist er die sichere Bank. Jedenfalls fürs große Kino, das er als »Maverick« aus der Pandemie gesteuert hat. Tom Cruise, jetzt in »Mission: Impossible – Dead Reckoning«, porträtiert von Marion Löhndorf +++ 

» Ken ist nur ein Accessoire« – Mattels »Barbie« in ihrer ganzen kitschigen Pracht als Filmheldin – musste das sein? Tatsächlich ist sie nicht allein: Der Trend geht zur Umwertung weiblicher Pop-Ikonen +++ 

»Ein anderes Kino war möglich« – Sie hat die Entwicklung des Spielfilms eingeleitet, mit Ton experimentiert und eine Produktionsfirma gegründet: Alice Guy. Georg Seeßlen zum 150. Geburtstag der Pionierin, deren subversives Erbe lange übersehen wurde +++ 

FILME DES MONATS: Asteroid City | Die Purpursegel | Mit Liebe und Entschlossenheit | Mein fabelhaftes Verbrechen | 20.000 Arten von Bienen | Rodeo

In diesem Heft

Tipp

Marburg, 20.–23.7. – Das Open-Air-Kurzfilm-Festival zeigt auch in diesem Jahr wieder neue nationale und internationale Kurzfilme, bei denen das Publikum in insgesamt fünf Kategorien über die Preisträger abstimmen kann. Der Schwerpunkt lautet in diesem Jahr »Transition«.
Frankfurt, 19.–23.7. – Zum neunten Mal gibt es im Kino des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums das Festival des italienischen Genrefilms zu sehen. Im Fokus steht das populäre italienische Kino der 1950er bis 1980er Jahre mit seinen künstlerischen Handschriften. Ein »internationaler Tag« weitet zum Abschluss den Blick auf das internationale Kino und die gegenseitigen Einflüsse. Highlight ist zudem am Eröffnungsabend der Besuch des Regisseurs Dario Argento, dem das Kino im Juli eine Hommage widmet.
Das NaturVision Filmfestival widmet sich dem vielfältigen Spektrum des Natur- und Umweltfilms. Für den Umwelt- und Nachhaltigkeitsfilmpreis ist unter anderem der Dokumentarfilm »Die Autobahn – Kampf um die A49« nominiert, der den Kampf von Aktivisten gegen geplante Waldrodungen thematisiert. Highlights beim Newcomerfilmpreis sind zudem Filme wie »Black Mambas« und »Solastalgia«.
In der zweiten Staffel von »Single Drunk Female« geht es vor allem um die Frauen, die Samanthas Leben prägen, und um die Beziehungen, die sie ausloten und hinterfragen muss.
Die Geschichte von Jason Sudeikis' Figur Ted Lasso mag mit der dritten Staffel ihr Ende gefunden haben. »Ted Lasso«, die Serie, besitzt viele Möglichkeiten, das Projekt fortzusetzen.
Lucy Beaumont belebt ihre Serie »Hullraisers« mit volkseigenem Humor und der natürlichen Komik gewöhnlichen Familienlebens.
Die Comedyserie »Our Flag Means Death« gewinnt den verbrauchten Piratenmotiven völlig neue, queere Seiten ab.
»The Crowded Room« erzählt nach einem Drehbuch von Akiva Goldsman die Geschichte einer multiplen Persönlichkeit.
»Paris Police 1905« ist bereits die zweite Staffel der atmosphärischen französischen Kriminalserie.
Unter sich: In »Schlafende Hunde« muss sich Max Riemelt die Rückkehr aus dem gesellschaftlichen Aus ermitteln.
Geschichten über Afrika gab es schon einige, nun stellt arte mit »Country Queen« in seinem Programm erstmals eine kenianische Dramaserie vor.
In Staffel sechs seiner viel gelobten Anthologie-Serie »Black Mirror« richtet Autor und Serienschöpfer Charlie Brooker den Blick statt in die nahe Zukunft eher zurück in eine Retro-Vergangenheit.
Die französische Serie »About Sasha« stellt eine 17-jährige intersexuelle Person in den Mittelpunkt, die nach Jahren des Bullying in der Provinz einen Neuanfang sucht.
Echte Cowboys tragen Leder: Howard Hawks' Klassiker »Red River« erscheint als Mediabook.
Den Blick auch mal umkehren: Der Regisseur Thomas Arslan im Werkstattgespräch.
Mit großer Spannung erwartet und von problematischen Nachrichten während der Produktion geplagt, erweist sich »The Idol« dem eigenen Hype nicht ganz gewachsen.
Alle für einen und einer für alle: Die beiden »Musketiere«-Filme von Richard Lester in einer DVD-Box.
Das Recht der Gefangenen : »Prison 77« von Alberto Rodríguez (»La Isla Mínima«) auf DVD/Blu-ray.
Am 30.7. spricht Sonja Heiss im Kino des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums mit Ulrich Sonnenschein über ihren Film »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war«.
Art-Horror: das inspirierte Genrekino von Ari Aster und Robert Eggers.
Eine fabelhafte Satire im Stil einer Theaterkomödie der 1930er Jahre, die auf ganz aktuelle Missstände der Geschlechtergerechtigkeit hinweist. In der Überzeichnung der Bilder steckt nachvollziehbar ein drängendes Problem.
Zwischen Male Gaze und Feminismus: Capelight veröffentlicht »Bilitis«, einen Erotikfilm des umstrittenen Fotografen David Hamilton, als Mediabook. Eine kluge Entscheidung.
Apples Thrillerserie »Hijack« schildert eine Flugzeugentführung quasi in Echtzeit – sieben Stunden Flugzeit von Dubai bis London – und trumpft mit Idris Elba als verhandlungsbegabtem Passagier auf.

Thema

Mattels »Barbie« in ihrer ganzen kitschigen Pracht als Filmheldin – musste das sein? Tatsächlich ist sie nicht allein: Der Trend geht zur Umwertung weiblicher Pop-Ikonen.
Sie hat die Entwicklung des Spielfilms eingeleitet, mit Ton experimentiert und eine Produktionsfirma gegründet: Alice Guy. Georg Seeßlen zum 150. Geburtstag der Pionierin, deren subversives Erbe lange übersehen wurde.
Pointiert, selbstironisch, hinreißend direkt: Die von Phoebe Waller-Bridge nach ihrer eigenen ­Bühnenshow kreierte Serie »Fleabag« gehört zu den besten Fernsehproduktionen des letzten Jahrzehnts. Und machte Waller-Bridge zur Power Playerin, um die sich alle reißen, als Autorin und Schauspielerin.
In einer Welt der Krisen ist er die sichere Bank. Jedenfalls fürs große Kino, das er als »Maverick« aus der Pandemie gesteuert hat. Tom Cruise, jetzt in »Mission: Impossible – Dead Reckoning«.

Meldung

Nippon Connection präsentierte zum 23. Mal in vollen Kinos – neuer Publikumsrekord – einen Querschnitt durch das aktuelle japanische Kino. Und zeigt sich wieder ­erfrischend anders.
Maysoon Pachachi 75, Regisseurin, Editorin und Produzentin, stammt aus dem Irak und lebt in Großbritannien. Sie hat Dokumentarfilme in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens gedreht und ist Mitgründerin des Independent Film & Television College in Bagdad, eines gemeinnützigen Ausbildungscenters. Ihr neuer Film »Unser Fluss... Unser Himmel« bekam den Ökume­nischen Filmpreis beim Kirchlichen Filmfestival Recklinghausen.

Filmkritik

Eine passive Heldin, bei der sich viel hinter der Fassade abspielt: Kamila Andini erzählt indonesische Geschichte im Spiegel privater Gefühle mit einem Touch von Wong Kar-wei.
Corinna Belz (»Gerhard Richter Painting«) überzeugt und erfreut uns mit einem weiteren erhellenden Künstlerporträt ganz ohne Kommentar oder Talking Heads.
Eine fabelhafte Satire im Stil der Theaterkomödie der 1930er Jahre, die auf ganz aktuelle Missstände der Geschlechtergerechtigkeit hinweist. In der Überzeichnung der Bilder steckt nachvollziehbar ein drängendes Problem.
Das baskischen Regiedebüt über ein achtjähriges Kind, das sich im falschen Körper fühlt und den Reaktionen der Familie, erzählt auf mehreren Ebenen und sehr berührend von Herkunft, Transformation und der Suche nach Identität.
Mit liebevoller Distanz und einem angenehm ironischen Blick erzählt Philippe Weibel von einer ungewöhnlichen Freundschaft zweier Menschen, die Sex Toys zusammenführen, ohne dass sie je Sex miteinander hatten.
Emad Aleebrahim Dehkordis entwirft das Porträt zweier unterschiedlicher, innig verbundener Brüder, die auf ihre je eigene Weise mit dem Tod der Mutter umgehen. Das Debüt erzählt von neureichen jungen Erwachsenen Teherans, von Drogen, Liebe und dem Umgang mit Trauer.
Vieles funktioniert erstaunlich gut in diesem Revival einer alten Idee, aber auch wenn Harrison Ford sich noch so gut gehalten hat, führt die Nostalgie am Ende eher dazu, dass man sich nach dem Zauber der Ursprungs­trilogie zurücksehnt.
Zwei Freunde wollen heraus aus der äthiopischen Provinz: Der eine wird ein erfolgreicher Langstreckenläufer, der andere scheitert mit seinen Ambitionen als Fotograf und wird Mitglied einer Diebesbande. Ihre Wiederbegegnung in der Hauptstadt gibt den Lebenswegen eine neue Richtung. Jan Philipp Weyls Erstling gefällt weniger wegen seiner konventionellen Dramaturgie. Einprägsamer sind seine Bilder und der vitale Soundtrack, die an ein im Aufbruch begriffenes Land erinnern, das nun erneut in einem verheerenden Bürgerkrieg unterzugehen droht.
Porträt einer Nachbarschaft in Bagdad mit Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft im Winter 2006. Es ist die Zeit nach Saddam Hussein, eine Zeit des Umbruchs aber ohne klare Perspektive.
In hübschen und oft rasanten Bildern und sehr authentisch erzählt Lea Becker vom Erwachsenwerden und dem Lebensgefühl von vier Mädchen, bevor sie nach der Schule ihre eigenen Wege einschlagen. Eingebettet in eine Empowerment-Geschichte rund ums Skaten.
Erwachsenwerden und dem Lebensgefühl von vier Mädchen, bevor sie nach der Schule ihre eigenen Wege einschlagen. Eingebettet in eine Empowerment-Geschichte rund ums Skaten.
An der Entschlossenheit, die der deutsche Verleihtitel verspricht (im französischen Original ist von Hartnäckigkeit, ja Verbissenheit die Rede), gebricht es der Radiomoderatorin Sara zusehends. Vielmehr ist sie zerrissen, als ihre Jugendliebe Francois plötzlich wieder auftaucht und sich zwischen sie und ihren Lebensgefährten Jean drängt. Claire Denis' einfühlsame Autopsie eines Glücks beschreitet dramaturgisch ungewohnte Wege und entdeckt neue Saiten an ihren Stammschauspielern Juliette Binoche, Vincent Lindon und Grégoire Colin.
Ein angemessen turbulent in Szene gesetztes Kostüm-Liebes-Künstlerdrama über die Amour fou zwischen Alma Mahler und Oskar Kokoschka, zwei bedeutenden Persönlichkeiten der Wiener Kunstszene, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufeinander trafen. Gewaltig stoben die Funken und lange wollte das Feuer der Leidenschaft sich nicht beruhigen – obwohl, oder vielleicht gerade weil die eigensinnige Frau und der eifersüchtige Mann keinesfalls zu einander passten.
Pietro Marcello ist ein Regisseur, der sich gern selbst überrascht. Das Publikum schließt er dabei nicht aus. Nach »Martin Eden« erzählt er erneut vom Abenteuer der Entdeckung und Erkenntnis. Für seine erste französischsprachige Produktion bürstet er ein sowjetisches Märchen gegen den Strich und verwandelt sie in eine musikalische Komödie voller Abgründe. Dank seiner Hauptdarsteller Juliette Jouan und Raphael Thiéry übrigens auch einer der schönsten Hände-Filme schlechthin.
Heisenbergs Unschärferelation angewendet auf die Liebe, die sich nicht planen lässt, zwischen einer ewig quasselnden Schulsekretärin und einem eigenbrötlerischeren Metzger. Lars Kraume bereitet Caroline Peters und Burkart Klaußner, die das Stück schon auf dem Düsseldorfer Schauspielhaus gespielt haben, eine ganze Stadt als Kulisse, und kann die Bühnenhaftigkeit des Stoffes dennoch nicht ganz abschütteln.
Mit kleinem Team gedreht, konzentriert sich der Film ausschließlich auf die Betroffenen selbst, wodurch ein respektvoller Einblick in das Thema psychische Erkrankungen gelingt, das zwar in den letzten Jahren enttabuisiert wurde, aber noch immer gesellschaftlich stigmatisiert ist.
Immer wieder Menschen und Landschaften: Im über sechzigsten Film von Altmeister Koepp sind es der Autor Uwe Johnson und das Land Mecklenburg, die unter dem Eindruck des neuen Krieges gemeinsam erkundet werden.
Die junge Julia gerät in den Dunstkreis illegaler Motorradrennen am Rande von Bordeaux und schließt sich einer lokalen Gang an, die im großen Stil Motorräder stiehlt. Bald gerät sie in Konflikt mit dem Kopf der Bande. Ein beeindruckender Debütfilm, der sein Milieu zugleich authentisch und stylisch in Szene setzt.
Eine 32-Jährige soll einen 19-Jährigen »aus seinem Schneckenhaus« holen, im Auftrag seiner Eltern. Leider entwickelt die Komödie von Gene Stupnitsky (»Bad Teacher«) so wenig Empathie für ihre eigenen Figuren, dass man als Zuschauer das Unwohlsein mit der Prämisse nie ganz überwinden kann.
Vom Spider-Punk über Mumbaihattan-Spider-Man bis zur schwangeren Spider-Motorradbraut mit Afro: »Across the Spider-Verse« erweitert die Prämisse von »Into the Spider-Verse« von 2018 noch einmal. Sowohl in der Anzahl der Parallelwelten als auch der stilistischen Ideen und vor allem beim Spiel mit der Metaebene der Comic-Book-Geschichte. Ziemlich viel und ziemlich überwältigend.
Barry Allen alias The Flash versucht per Zeitreise die Vergangenheit zu ändern und erschafft dabei eine neue Zeitlinie. Vor der Neuauflage des DC-Universums unter James Gunn gelingt noch einmal eine kreative und humorvolle Abhandlung über das »alte« Multiversum, bei der auch die emotionalen Anteile glaubhaft zur Geltung kommen.
Die Pixar-Romantikomödie über ein Feuermädchen und einen Wasserjungen gegen alle Widerstände ist mitreißend in seiner fantastisch animierten Welt und liebevoll entwickelter Charaktere, erzählt aber trotz überbordender Ideen eine recht formelhafte Geschichte.
Wes Anderson ist bei seinem neuen Werk in Hochform, was allerdings auch heißt, dass er vor lauter Meta-Ebenen und stilistischer Perfektion stellenweise am Rande des narrativen und ästhetischen Overkills operiert. Trotzdem glänzt sein starbesetztes Wüsten-Diorama aus den 1950ern samt Atomtests und Alienbesuch.

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