Nahaufnahme von Phoebe Waller-Bridge

Selfmade Woman
Phoebe Waller-Bridge im aktuellen Film »Indiana Jones und das Rad des Schicksals« (2023). © Lucasfilm Ltd.

Phoebe Waller-Bridge im aktuellen Film »Indiana Jones und das Rad des Schicksals« (2023). © Lucasfilm Ltd.

Pointiert, selbstironisch, hinreißend direkt: Die von Phoebe Waller-Bridge nach ihrer eigenen ­Bühnenshow kreierte Serie »Fleabag« gehört zu den besten Fernsehproduktionen des letzten Jahrzehnts. Und machte Waller-Bridge zur Power Playerin, um die sich alle reißen, als Autorin und Schauspielerin

Am Ende des Musikvideos zu Harry Styles »Treat People With Kindness« ist wieder so ein Phoebe-Waller-Bridge-Moment. Drei Minuten lang hat sie gerade als Managerin eines edel-nostalgischen Salon-Clubs Gäste begrüßt und Cocktails geschlürft, bevor sie zu dem britischen Popstar auf die Bühne steigt, wo sie in Unisex-Partnerkostümen – weiße Schlaghose, Rüschenhemd und Glitzerkaropullunder – als Duo eine hinreißende Choreographie tanzen. Und mit dem Schlussakkord hält Waller-Bridge, in der klassisch männlichen Pose, den zu Boden sinkenden Sänger mit dem linken Arm, den rechten streckt sie weit von sich in die Höhe und schaut dabei, den Kopf seitlich gedreht, direkt in die Kamera, ein Grinsen umspielt ihren Mund. Here's looking at you, kid!

Der ironische, sich mit dem Publikum verständigende Blick, das Durchbrechen der Vierten Wand, war zu diesem Zeitpunkt – der Clip stammt aus dem Jahr 2021 und wurde allein auf YouTube über 14 Millionen Mal aufgerufen – längst zu ihrem signature move geworden, zur charakteristischen Geste der britischen Schauspielerin und Autorin. Perfektioniert und populär gemacht hat sie ihn in der BBC-Serie »Fleabag«, die sie in zwei Staffeln 2016 und 2019 zuerst zum Kult und dann weltberühmt machte. Darin spielt sie eine namenlose Endzwanzigerin, die sich durch die Peinlichkeiten des Lebens navigiert, den falschen Männern hinterherläuft und irgendwie noch mit dem Ableben ihrer Mutter und ihrer besten Freundin fertig werden muss. All das kommentiert sie – provokant, sarkastisch, schmerzfrei und mit einem Hang zur emotionalen Ambivalenz. Und richtet sich damit immer wieder direkt an uns, das Publikum. Damit wurde »Fleabag« zum Phänomen, zuerst auf der Bühne, dann im Fernsehen. Und Waller-Bridge wurde mit Preisen überhäuft, als Autorin und als Hauptdarstellerin. Die Serie gehört zweifellos zum Besten, was das Fernsehen in den vergangenen zehn Jahren an seriellen Formaten hervorgebracht hat. Selbst beim wiederholten Sehen (»Fleabag« ist aktuell auf Amazon Prime) verliert sie nichts von ihrem subversiven Charme, selbst das ehemals Unvorhergesehene bewahrt seinen Cringe. Herrlich!

Dabei ließ sich Waller-Bridge von Anfang an nicht festlegen, wollte nie nur Schauspielerin sein, schrieb schon früh ihr eigenes Material und produzierte. Bis heute bewegt sie sich souverän zwischen Bühne, Serie und Film. Geboren 1985 in London, ist sie als mittleres von drei Kindern im Ortsteil Ealing im Westen der Stadt aufgewachsen. Ihre ein Jahr ältere Schwester Isobel ist Komponistin und hat unter anderem die Musik zu »Fleabag« beigesteuert. 

Sie sei schon als Kind eine »grenzwertige Rampensau« gewesen, beschrieb Phoebe Waller-Bridge sich einmal mit der ätzenden Selbstironie, die zu ihrem Markenzeichen wurde. Nach der Schule studierte sie an der Royal Academy of Dramatic Art. 2007 gründete sie zusammen mit Vicky Jones die DryWrite Theatre Company, deren künstlerische Co-Leiterin sie nach wie vor ist. Mit 25 debütierte sie mit dem selbst geschriebenen Theaterstück »Roaring Trade« am Soho Theatre. Gemeinsam mit Jones produzierte sie die Bühnenurfassung von »Fleabag«, die Ende 2012 Premiere hatte, sowie die siebenteilige US-Comedyserie »Run« (2020).

Im Kino zählten zu ihren frühen Nebenrollen die als Adlige im Historiendrama »Albert Nobbs« (2011) und als Margaret Thatchers Sekretärin im Biopic »Die Eiserne Lady« (2011). 2015 folgte die Krimiserie »Broadchurch«, wo sie in der zweiten Staffel die junge Rechtsanwältin Abby Thompson spielte. Eine erste selbst geschriebene Comedyserie, »Crashing« (2016), über eine chaotische Mittzwanziger-WG, wurde nach einer Staffel eingestellt. Parallel entwickelte sie aus der One-Woman-Show »Fleabag« eine sechsteilige Serie für die BBC, die in Großbritannien von Kritik und Publikum gefeiert wurde. Als Drehbuchautorin und Ausführende Produzentin war sie für eine weitere Serie mitverantwortlich, die vier Staffeln lang (2018 – 2022) für Furore sorgte, nicht zuletzt wegen ihrer verstörenden Frauenfiguren: »Killing Eve« über das Katz-und-Maus-Spiel der Auftragsmörderin Oksana Astankova/Villanelle (Jodie Comer) und der MI6-Agentin Eve Polastri (Sandra Oh), die eine immer perfidere Obsession füreinander entwickeln. Bei der Emmy-Verleihung 2019 räumte Waller-Bridge für beide Serien insgesamt sieben Preise ab und wurde spätestens damit endgültig zur Power Playerin, um die sie sich Sender und Streamer rissen. Für Schlagzeilen sorgte schließlich ihr exklusiver Deal mit Amazon. 20 Millionen Dollar pro Jahr. Das Ziel: neue Serienformate zu entwickeln. Seitdem warten wir Fleabaggers auf neuen Stoff. Bislang vergeblich, doch dazu später. Ihr erster großer Auftrag war jedenfalls kein eigenes neues Material, sondern bestand darin, einem der langlebigsten Männerhelden des Kinos einen zeitgemäßen Schliff zu verpassen: James Bond. Phoebe Waller-Bridge wurde als Co-Autorin für das Drehbuch zu »Keine Zeit zu sterben« (2021) angeheuert. Wie groß ihr Einfluss am Ende genau war, darüber herrscht 007-typisches Schweigen.

Nun ist sie wieder als Schauspielerin zu sehen, in »Indiana Jones und das Rad des Schicksals«, der im Mai auf dem Filmfest in Cannes Weltpremiere feierte. Sie spielt darin als Helena Shaw die größte Frauenrolle. Bei der Gala gab es für den Film stehende Ovationen, in der Reihe hinter den Stars des Films standen deren Ehepartner und Lebensgefährten, auch der von Waller-Bridge: Regisseur und Autor Martin McDonagh, mit dem sie seit 2018 liiert ist. An diesem Abend stieß der dank »The Banshees of Inisherin« und »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« selbst nicht ganz Unbekannte im Hintergrund ein sichtlich stolzes »Woohoo« aus und applaudierte seiner Partnerin.

»Ich liebte die Kampf- und Actionszenen, die Stunts«, sagte Waller-Bridge in Cannes über die Dreharbeiten. »Mir war bis dahin nicht klar, wie befreiend es sein kann, sich nicht immer den Kopf zu zermartern, sondern einfach mal aus einem fahrenden Tuk-Tuk zu springen. Eine sehr nützliche Übung für mich als Schauspielerin.« Und womöglich gab sie damit auch ein bisschen davon preis, was es heißt, als Autorin abliefern zu müssen. Denn so sehr sie globalen Franchises wie »James Bond« oder »Indiana Jones« Würze verleiht, warten Phoebe-Fans doch gespannt auf ihren nächsten eigenen großen Wurf. 

Einen Aufguss von »Fleabag« wird es nicht geben, das hat Waller-Bridge selbst mehrfach ausgeschlossen. Sie lässt sich Zeit, untätig ist sie dabei keineswegs. Probiert aus, entwickelt Stoffe, verwirft sie wieder. Als Teil des Amazon-Deals geplant sind oder waren unter anderem eine Neuauflage von »Tomb Raider«, eine Adaption des Romans »Sign Here« von Claudia Lux sowie eine Mysteryserie. Bereits in Postproduktion ist eine ­Serienadaption der Actionkomödie »Mr. & Mrs. Smith«, wo sie ursprünglich neben Donald Glover eine der Hauptrollen übernehmen sollte (im Original Angelina Jolie und Brad Pitt). Das Spionage-Ehepaar spielen nun Glover und Maya Erskine (»PEN15«), Waller-Bridge ist weiterhin als Ausführende Produzentin mit an Bord. Abgedreht hat sie außerdem den neuen Film von John Krasinski (»A Quiet Place«). In dem hochkarätig besetzten »Imaginary Friends« über ein junges Mädchen, das die unsichtbaren Freunde anderer Menschen sehen kann, ist sie neben Matt Damon, Ryan Reynolds und Emily Blunt zu sehen. Nur mit dem nächsten PWB-Projekt, bei dem sie alle Zügel vor und hinter der Kamera in der Hand hält, lässt sie uns weiter ausharren. Bis dahin trösten wir uns mit ihrem Auftritt in »Indiana Jones«. Und hin und wieder einer Folge »Fleabag«. Auch wenn wir sie längst auswendig mitsprechen können.

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