Crossing Europe Film Festival: Frühlingsglück mit Niveau
»Anul nou care n-a fost« (The New Year That Never Came, 2025). © Crossing Europe
Zum zweiundzwanzigsten Mal Zuversicht in Linz
Alle Jahre wieder führt ein kleines feines Filmfestival im oberösterreichischen Linz an der schönen blauen Donau den Nachweis, dass noch nicht aller Tage Abend ist. Zwar mag die globale Lage zahlreiche Wünsche offen lassen und die EU als geopolitischer Zusammenhang seitens allerorten gedeihender Autokratien unter wachsendem Druck stehen. Darüber aber die Hoffnung zu verlieren, verbietet sich, wie Crossing Europe auch in seiner nunmehr 22. Ausgabe eindrücklich bewies. Für ein paar Tage im Frühling lebt hier die Idee der Gemeinsamkeit, kommen Filmliebende aus den großen und kleinen Ländern Europas zusammen und demonstrieren die Möglichkeit von Austausch und Verständigung über Differenzen und Grenzen hinweg.
Freilich spiegelt sich in den ausgewählten Filmen mit viel Wirklichkeit auch viel Elend. Beispielsweise dokumentieren Rémi Pons und Baptiste Janon in »Les vies d'Andrès« (The Multiple Lives of Andres) das atemlose Leben französischer LKW-Fahrer, die mit dem Warenverkehr das kapitalistische System im Inneren des Schengenraumes am Laufen halten. An den Außengrenzen hingegen steht das Leben still, wie Lara Miléna Brose in »Echoes from Borderland« am Beispiel einer Afghanin zeigt, die in Bosnien-Herzegowina festsitzt. Die Wunden der Jugoslawienkriege sind dort noch nicht verheilt, Schicht auf Schicht türmt sich historisches Erbe, muss abgetragen und verarbeitet werden – und wälzt dabei die Gegenwart um. Zum Thema machen dies auch »Dobra djeca« (Good Children) von Filip Peruzović aus Kroatien sowie »Bezvetrije« (Windless) von Pavel G. Vesnakov aus Bulgarien: Erbschaftsgeschichten zwischen Widerwille und Melancholie, in denen eine rigide äußere Bescheidung – Normalformat, lange statische Einstellungen, karge Dialoge – dem emotionalen Tumult im Inneren der Protagonist*innen korrespondiert.
Traditionellerweise stark sind in Linz, in der Sektion »Local Artists«, auch die heimischen Filmgewächse vertreten. Hier stellte denn auch Norbert Pfaffenbichler mit »2551.03 – The End« den fulminanten Abschluss seiner 2020 begonnenen, bahnbrechenden Experimentalfilm-Trilogie über den Affenmaskenmann im Untergrund-Inferno vor. Beim anschließenden Publikumsgespräch wird der filmemacherische Prozess als kollektives, lustvolles Unterfangen gefeiert. Pfaffenbichler und sein Kameramann Martin Putz, beide Jahrgang 1967, rahmen ein kreatives Team im Studierenden-Alter; zwischen Einfallsreichtum und Erfahrungsreichtum fliegen die Funken, Resultat ist ein Feuerwerk aus formaler Schönheit und Erkenntnistiefe. Und ein schönes Beispiel für die ungebrochene Kraft des österreichischen Experimentalfilms.
Als Bester Film in der Sektion »Competition Fiction« wurde »Anul nou care n-a fost« (The New Year That Never Came) von Bogdan Mureșanu ausgezeichnet. In seinem nach eigenem Drehbuch beeindruckend sicher inszenierten Langfilmdebüt nimmt der rumänische Filmemacher ein halbes Dutzend Vertreter*innen unterschiedlicher Generationen und sozialer Zugehörigkeit im Dezember 1989 unmittelbar vor der Revolution in den Blick. Aus ihrem Hader mit der alltäglichen diktatorischen Zumutung entwickelt er, kunstvoll die Handlungsstränge verflechtend, ein Stimmungsbild mit Handlungsimpuls. Man muss die Zeichen nur lesen können.
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