Sky: »Paris Police 1905«

»Paris Police 1905« (Serie, 2022). © Tetra Media Fiction/Canal+/Rémy Grandroques

© Tetra Media Fiction/Canal+/Rémy Grandroques

Von wegen »Belle Époque«

Wir schreiben das Jahr 1904, kurz vor Weihnachten. Während in bürgerlichen Stuben Familienfestessen angerichtet werden, muss die Pariser Polizei auf den letzten Drücker eine öffentlichkeitswirksame Säuberung der Straßen veranstalten. Bei der Razzia der »Sitte« gegen Prostituierte wird eine Frau verhaftet, auf die zu Hause ein Säugling wartet. Im Bois de Boulogne muss die Polizei außerdem eine aufgefundene Leiche mit vier Einschusslöchern untersuchen. Jeder weiß, dass dieses Waldgebiet bei Einbruch der Dunkelheit zum Garten der Lüste wird. In einer Ecke locken käufliche Frauen, in der anderen treffen sich »Päderasten«, und in einer dritten, wo sich kaum einer hintraut, noch verwerflichere Kreaturen. Seine Kollegen wollen den Fall schnell unter Selbstmord verbuchen, aber Inspektor Jouin betreibt vor Ort weitere Nachforschungen. Dabei wendet der melancholische Ermittler brachiale Methoden an. Doch die korrupte Sittenpolizei agiert noch weit skrupelloser…

Auch in der Fortsetzung der französischen Erfolgsserie erweist sich das Konzept eines von historischen, jedoch fiktiv ausgeschmückten Begebenheiten bestimmten Krimis als äußerst zugkräftig. Dabei macht Regisseur Fabien Nury, von Haus aus Comic-Szenarist, bei der elliptischen Erzählweise keine Kompromisse. Institutionelle Machtspiele nehmen ebenso viel Raum ein wie die Ermittlungen selbst und erfordern, gerade auch in der Veranschaulichung der wissenschaftlichen Fortschritte jener Zeit, volle Aufmerksamkeit. Die Serie steht in der Tradition der Kriminalromane von Eugène Sue, erinnert in ihrer eindringlichen Zeichnung menschlicher Verworfenheit aber auch an die Romane von Émile Zola. Inspirierte in der ersten, um 1900 angesiedelten Staffel die Dreyfusaffäre einen wüsten, rund um Antisemitismus und Revolten angelegten Plot, so geht es nun um den Unterleib der Belle Époque. In der opulenten Inszenierung wird erneut alles aufgeboten, um diese Bezeichnung Lügen zu strafen und die Stadt der Lichter zu verdunkeln. Neben schummrigen Salons und Gassen wird auch die gesellschaftliche Moral ins Zwielicht getaucht.

Als roter Faden dient die Diskriminierung von Homosexuellen, was Erpressungsmanöver und »dirty secrets« nach sich zieht. Mit Grausen wird man an die Menschheitsgeißel Syphilis erinnert, die in einer Zeit, in der bereits Fotoapparat, Telefon und Automobil en vogue waren, noch Tausende Opfer forderte. Auch die Protagonisten basieren zum Teil auf realen Vorbildern wie etwa Jeanne Chauvin, die erste Anwältin Frankreichs, oder Marguerite Steinheil, Kurtisane, Malerehefrau und Glücksspielpatin: eine Figur, wie sie kein Drehbuchautor hätte erfinden dürfen. Das gilt ebenso für den cholerischen Kriminalisten Alphonse Bertillon, der mit neuen Methoden Anstoß erregt. Nebenbei fließt die Aufhebung des Konkordats, die Trennung von Staat und Kirche, in diese hervorragende Serie ein, die einen, von einer düsteren Episode zur nächsten, in Bann zieht.

OV-Trailer

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