Dominik Graf: »Sein oder Spielen«
Mehr als jeder andere deutsche Filmemacher hat Dominik Graf sich auch immer wieder in Texten zu Filmen geäußert, meist zu vergessenen Kleinoden der Filmgeschichte. Nach Büchern über ihn und einzelne seiner Film- und Fernseharbeiten (an denen er oft als Autor oder Gesprächspartner beteiligt war), hat er jetzt ein eigenes Buch veröffentlicht, »Sein oder Spielen. Über Filmschauspielerei.« Der Sohn des Schauspielerehepaars Robert Graf und Selma Urfer war in jungen Jahren auch selber vor der Kamera aktiv, etwa in »Der Mädchenkrieg« (Bernhard Sinkel/Alf Brustellin, 1977) – was sich als wortwörtlich schmerzhafte Erfahrung erwies, wie er hier berichtet: denn die Ohrfeige, die ihm sein Filmpartner Matthias Habich laut Drehbuch versetzen sollte, erwies sich – entgegen der Vorankündigung eines Schnitts an dieser Stelle – als echte Ohrfeige, die ihn zu Boden riss. Dass es anders nicht gegangen wäre, weil die ganze Szene in einer Halbtotale gedreht wurde und ein Schnitt die Echtheit des Schlages für den Zuschauer in Frage gestellt hätte, wurde ihm erst hinterher klar.
Graf erzählt diese Geschichte im Kontext von 'Echtheit' im Schauspiel, eigentlich das zentrale Thema des Buches: wie gewährleistet man Authentizität und was steht dem entgegen? Etwa ein falsches Casting, so wenn in den Arbeiten von Sönke Wortmann und Dieter Wedel, die in Hamburgs nächtlichem Vergnügungsviertel St. Pauli angesiedelt sind, auch in den kleinsten Rollen bekannte Gesichter auftauchen und der Hamburger Dialekt kleingeschrieben wird.
Grafs Argumentation geht immer wieder von einzelnen Filmszenen aus, die sich in seinem Gedächtnis eingegraben haben, zudem spricht er freimütig über seine Erfahrungen am Set. Unter anderem über dem Umgang mit dem Star Götz George, der dort »vor allem Malocher« war. Er bezieht aber genauso amerikanisches Schauspiel mit ein, von einer Szene in »Giganten«, die das Neue in der Spielweise von James Dean auf den Punkt bringt, bis zu einer liebevollen Würdigung von Gene Hackman (in einer Szene aus Arthur Penns »Die heiße Spur«). Überhaupt spielen die Filme der siebziger Jahre, darunter viele zu Unrecht vergessene Perlen des New Hollywood-Kinos, eine wichtige Rolle; schön dass nicht nur Klaus Lemke mit den von ihm entdeckten Laien, die er zu Stars machte, immer wieder auftaucht, sondern auch die 'Neue Münchner Gruppe' auf dreizehn Seiten gewürdigt wird.
Dieses Buch sei »keine Filmschauspielergeschichte, … kein Lehrbuch und keine Autobiographie«, eher handele es sich um »Fragmente einer 'Erziehung des Herzens'...« schreibt er zu Beginn. Aber es enthält von all diesen Bereichen etwas, zum letztgenannten auch viel Selbstkritisches, etwa wenn er von seine Auseinandersetzung mit der Hauptdarstellerin bei »Der Felsen« berichtet, die dazu führte, dass er im Schnitt deren darstellerisches »Masterpiece« »regelrecht hinrichtete«. Sein »Söldner-Job« bei »Drei gegen Drei«, seinem »einzigen Regie-Ausflug in die populären Welten der Spekulationsprojekte für Frohsinn-Kommerz« vermittelte ihm immerhin etwas über das Aufeinanderprallen der »selbstdarstellerisch begabten Musiker-'Laien' mit bewährten Profis.«
Viele der von Dominik Graf beschriebenen Szenen möchte man sich am liebsten gleich in der eigenen DVD-Sammlung (oder bei einem Streaming-Dienst) noch einmal anschauen, mit nach dieser Lektüre geschärften Auge.
Dominik Graf: Sein oder Spielen. Über Filmschauspielerei. C.H. Beck, München, 391 S., € 28,-.
Buchpremiere: »Sein oder Spielen«. Lesung und Gespräch: Ronald Zehrfeld und Dominik Graf, Berlin, Cinema Paris, 12.6., 20 Uhr
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