Nachruf: Helmut Berger

Schön schwermütig

29.5.1944 – 18.5.2023

In den Neunzigern, da war es mit dem Ruhm von Helmut Berger, der einmal als der »schönste Mann der Welt« galt und in den frühen Siebzigerjahren einen kometenhaften Aufstieg hingelegt hatte, längst vorbei. Es war aber auch noch nicht die Zeit, in der er, sichtlich unter Drogen und ziemlich aufgedunsen, durch unzusammenhängendes Gerede in Talkshows und Dschungelcamp-Auftritte von sich reden machte. Es gibt drei sehr schöne Hommagen an ihn aus dieser Zeit. Madonna lässt ihn in ihrem BDSM-Video »Erotica« (1992) – neben Udo Kier, Isabella Rossellini und Naomi Campbell – als älteren Herrn auftreten, auf dessen Schoß eine junge Frau sitzt. Und in Quentin Tarantinos »Jackie Brown« (1997) sitzt die ewig bekiffte Bridget Fonda auf der Couch und schaut einen Film, »La belva col mitra« (1977), einen ziemlich brutalen Rachethriller mit Helmut Berger und Marisa Mell. Und als Samuel L. Jackson und Robert De Niro ins Zimmer treten, fragen sie: »Ist das Rutger Hauer?«

Da schwingt natürlich auch eine Prise Sadismus des Filmbuffs Tarantino mit. Und das vielleicht ganz bewusst, handelt doch der erste Film, in dem Berger mitspielte, Luchino Viscontis »Die Verdammten« (1969), von Erniedrigung, Machtstreben und Machterhalt. Der Reichstagsbrand 1933 bildet den Hintergrund des Familientreffens des Von-Essenbeck-Clans, eine deutliche Anspielung auf die mit den Nazis paktierenden Krupps. Bergers erster Auftritt ist fulminant, eine Travestie von Marlene Dietrich aus Der blaue Engel. Bergers Martin von Essenbeck, ein Pädophiler, wird am Ende des Films der Konzernchef werden, nachdem er vorher seine Mutter vergewaltigt und zum Selbstmord getrieben hat. Faschismus als Melodram und große Oper: Heute wirkt Viscontis Kammerspiel mit seiner Erklärung des Faschismus aus Perversion und Dekadenz etwas antiquiert. Und vielleicht gab es in diesem Film erfahrenere (und bessere) Schauspieler, Dirk Bogarde, Helmut Griem und der immer beeindruckende René Koldehoff. Aber diese Mischung aus Laszivität, Unverfrorenheit und latenter Gewalt macht Helmut Berger so schnell keiner nach. 

Mit »Die Verdammten« wurde er zum Star, und sicherlich ist die Karriere des Schauspielers, der aus seiner Bisexualität keinen Hehl machte, untrennbar mit Visconti verbunden, dessen Lebenspartner er bis zum Tod des Regisseurs 1976 war. In Viscontis »Gewalt und Leidenschaft« (1974) ist er so etwas wie der Ziehsohn eines alternden Professors (Burt Lancaster). Und »Ludwig II« (1972) von Visconti, der dem Schauspieler 1967 eine erste kleine Rolle als Hotelpage in dem Kurzfilm »La Strega bruciata viva« (1967) gegeben hatte, ist auch das Opus Magnum von Helmut Berger, der den Bayernkönig in einer grandiosen Mischung aus Intensität und Verletzlichkeit spielt, die vor ihm O. W. Fischer und nach ihm Sabin Tambrea nicht erreichen konnten. Man sieht in Bergers Gesicht das Angeekeltsein von der Welt (und schlecht interpretierter Kunst), aber auch das Glücksgefühl, wenn er sich in eine Welt der Träume (und ganz konkreten Visionen) flüchtet. Den Niedergang des Märchenkönigs in diesem Vierstundenepos zelebriert Berger als eine schauspielerische Meisterleistung. 

In den Siebzigern war Berger das, was man einen »Weltstar« nannte, mit allem, was dazugehörte, Drogen, Nacktfotos, Skandalen, Affären. Sicher, er hat in Vittorio De Sicas großartigem »Der Garten der Finzi Contini« (1970) mitgewirkt und mit Elizabeth Taylor und Henry Fonda gespielt (Die Rivalin, 1973). Aber er hat auch damals schon Rollen in ziemlich dubiosen, gerade italienischen Filmen angenommen, bis hin zur Nazi-Exploitation »Salon Kitty« von Tinto Brass (1976). 

Die dritte Hommage aus den Neunzigern haben ihm die vom Dokumentarfilm kommenden Brüder Fosco und Donatello Dubini auf den Leib geschrieben: »Ludwig 1881« (1993), einer der schönsten Filme mit Berger. Da fährt der König, das ist historisch verbürgt, in die Schweiz, wo ihm der Schauspieler Josef Kainz (Max Tidof) an Originalschauplätzen aus »Wilhelm Tell« rezitieren soll. Statuarisch und melancholisch gibt Berger diesen Ludwig fünf Jahre vor seinem Tod, längst nicht so zerstört wie bei Visconti. Aber natürlich schlägt dieses seltsame Experiment von Kunst im wirklichen Leben fehl.

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