Kritik zu Rodeo

© Plaion Pictures

2022
Original-Titel: 
Rodéo
Filmstart in Deutschland: 
13.07.2023
L: 
105 Min
FSK: 
16

Fast wie »Fast & Furious«, aber in Frankreich, mit Motorrädern, ­Frauen als Hauptfiguren und ­authentischen Laiendarstellern

Bewertung: 4
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Es ist eine Weile her, seitdem das Motorrad im Kino als ultimatives Symbol jugendlicher, vor allem männlicher Freiheit und Rebellion galt. Der junge Marlon Brando kreierte sein Bad-Boy-Image mit der Hauptrolle in »Der Wilde« (1953), in dem er den Bandenführer einer Motorradgang verkörperte – im Windschatten des erfolgreichen Films entstanden zahllose Biker-B-Movies. Übertroffen wird der Einfluss von Brando und »Der Wilde« wohl nur von Peter Fonda und Dennis Hopper als Drogenkuriere in »Easy Rider« (1969), der mit seiner Mischung aus Coolness und Melancholie bis heute als Chiffre für den Geist der Gegenkultur der 1960er steht. Über fünfzig Jahre später sind Motorräder symbolisch noch immer eher mit der damals jungen Babyboomer-Generation verbunden als mit der gegenwärtigen Jugend. Darum mag es zunächst überraschen, dass sich »Rodeo«, der Debütfilm der französischen Regisseurin Lola Quivoron mit einer aktuellen Subkultur von jungen, diversen Motorradfanatikern beschäftigt, die sich in den Banlieues von Bordeaux zu illegalen Rennen treffen.

Was sich nicht geändert hat, ist, dass diese Szene von machohaften Männern dominiert wird. Darum ist es umso faszinierender, dass Quivoron eine weibliche Protagonistin in den Vordergrund stellt: Julia, brillant gespielt von Newcomerin Julie Ledru, ist eine starke junge Frau Mitte zwanzig, die den aggressiv-misogynen Rennfahrern von Anfang an die Stirn bietet und dabei auch nicht davor zurückschreckt, ihre Fäuste zu gebrauchen. Sowohl diese Durchsetzungsfähigkeit als auch Julias Talent im Diebstahl von Motorrädern erwecken das Interesse einer örtlichen Gang. Unter der Ägide des sich derzeit im Gefängnis befindlichen Chefs Domino (Sébastien Schroeder) plant die Bande aus jungen Bikern zunehmend spektakuläre Diebstähle. Schon bald wird Julia zu Dominos Protegé – doch dann freundet sie sich mit seiner Ehefrau Ophélie (Kodrehbuchautorin Antonia Buresi) an, sehr zu Dominos Missfallen.

Man merkt es »Rodeo« unmittelbar an, dass sich Quivoron eingehend mit der von ihr porträtierten Subkultur beschäftigt hat. Zwar folgt der Film einer fiktiven Story, doch die Figuren und Spielorte wirken durchgehend authentisch. Das erzielt die Regisseurin vor allem mit gelungenem Casting: Beinahe alle Darsteller, inklusive Hauptdarstellerin Ledru, sind Laien, die aus der Szene rekrutiert wurden. 

Vor diesem atmosphärischen Hintergrund entwickelt der Film Julias Coming-of-Age-Story und erinnert dabei nicht selten an die Filme der britischen Regisseurin Andrea Arnold, die oft ebenfalls von mutigen jungen Frauen in prekären Lebenslagen erzählen. Anders als Arnold, deren Blick am britischen Sozialrealismus geschult wurde, ist Quivoron jedoch deutlich mehr an den Mechanismen von Genre-Filmen interessiert. Visuell drückt sich das in der stylischen Videoclip-Ästhetik des Films aus, die auf knallige Farben, eine dynamische Kameraführung und schnelle Schnitte setzt. Das funktioniert hervorragend und hat im französischen Kino durchaus Tradition: Filme wie der Banlieue-Klassiker »La Haine« oder zuletzt »Athena« verweigerten sich in ihren Darstellungen jugendlicher Rebellion ebenfalls einem nüchternen Realismus. 

Erzähltechnisch aber unterlaufen der Filmemacherin in ihrem Debüt einige Fehltritte. Vor allem im finalen Drittel des Films setzt Quivoron zunehmend auf die übertriebenen Spannungsbögen des Gangster-Genres, anstatt ihre Figuren und deren Umwelt weiterhin in den Mittelpunkt zu stellen. Die dramatische letzte Szene des Films wirkt eher so, als empfehle sich die Regisseurin für einen Posten im »Fast & Furious«-Franchise. Was in Action-Blockbustern aber funktionieren mag, wirkt in dieser ansonsten so ­präzisen Milieustudie fehl am Platz. Letztlich vermag diese narrative Unschärfe jedoch nicht die Freude an Ledrus Performance und dem rebellischen Spirit des Films zu trüben, der so furchtlos und unverblümt ist wie seine unangepasste Hauptfigur.

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