Junge Filmschaffende: Generation vielseitig

Michael B. Jordan in »Creed – Rockyʼs Legacy« (2015). © Warner Bros. Pictures

Michael B. Jordan in »Creed – Rockyʼs Legacy« (2015). © Warner Bros. Pictures

Manche lassen es im Blockbuster krachen. ­Andere gehen es ganz sachte an. ­­12 Schauspielerinnen und Schauspieler unter 35, auf die Sie ein Auge haben sollten

Hart oder zart • Judith Chemla

»Ein Leben« (2016). © Film Kino Text

In ihrer ersten Kinohauptrolle in »Ein Leben«, der Adaption ­eines Romans von Guy de Maupassant, spielt sie eine empfindsame, zur Passivität verdammte Adlige, die von Mann und Sohn in den Ruin getrieben wird. Dieser still aufgewühlten Seele beim Erlöschen zuzusehen und zu erkennen, dass sie, ohne »gelebt« zu haben, alle überlebt, ist ein unerwartet intensives Schauspiel. Die 34-jährige Judith Chemla, deren Gesicht einer zarten Federzeichnung ähnelt, verleiht dieser tristen Frauenrolle mit ihrer, so eine Mentorin, »unzerbrechlichen Fragilität« eine herzzerreißende Widerständigkeit. Vor kurzem spielte sie in »Das Leben ist ein Fest« eine verhuschte Braut mit ähnlich ungünstiger Eheprognose. Bekannt aber wurde sie als coole Schülerin Josepha in der Zeitschleifenkomödie »Camille – Verliebt noch mal!« (2012), in der sie, mit schwarzumrandeten Augen im Stil von »The Cure«, aus Protest gegen einen Lehrer mal eben aus dem Fenster springt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese den Rahmen sprengende Künstlerin von der Filmkamera entdeckt werden würde. Anders als Maupassants Jeanne ist Chemla, die seit dem Alter von 14 Jahren auf der Bühne steht und mit 22 zur Comédie Française kam, eine Macherin. Sie inszenierte mit ihrem damaligen Partner, dem Chaplin-Enkel James Thiérrée, eigene Stücke, tritt mit hingehauchten Eigenkompositionen als Sängerin und Pianistin auf – und wurde zuletzt auf der Bühne als »La Traviata« gefeiert. Zwischen ihrer Anmutung eines Schneewittchens und einer Tragödin à la Isabelle Adjani, Chemlas Idol, ist nicht nur schauspielerisch noch viel zu erwarten. 

Birgit Roschy

Beautiful Boy • Timothée Chalamet

»Call Me By Your Name« (2017). © Sony Pictures

Markante, geradezu kantige Züge, ein heller Teint, umspielt von langen, dunkelbraunen Locken. Mal tastende, mal forsche Schritte ins Leben und in die erste Liebe, in einem flirrenden, italienischen Sommer, im Wasser und auf den Wiesen, auf dem Fahrrad, an der Gitarre und am Klavier: Man muss schon ziemliches Glück haben, um eine so vielschichtig aufregende Rolle wie das Coming of Age in »Call Me by Your Name« gleich am Anfang der Karriere zu landen und enormes Talent, um sie ausfüllen zu können. Den zweiundzwanzigjährigen Timothée Chalamet hat der Part denn auch gleich in einen Oscar-Nominierungsjahrgang zusammen mit Gary Oldman, Tom Hanks, Daniel DayLewis und Denzel Washington katapultiert. Aber die Traumkarriere hatte vor drei Jahren schon spektakulär gut angefangen, mit einer kleinen Rolle als Teenager in Jason Reitmans »#Zeitgeist«, mit einer etwas größeren als Sohn von Matthew McConaughey in Christopher Nolans »Interstellar« und als Teenager-Version des von James Franco gespielten Schriftstellers in »The Adderall Diaries«. Unaufhaltsam geht es weiter für Chalamet: als Soldat in dem Western »Hostiles«, als erste Sexerfahrung von Greta Gerwigs »Lady Bird« und im Duo mit Elle Fanning an einem »Rainy Day in New York«. Die Gage für Letzteren, unter der Regie von Woody Allen, spendete er – vermutlich von einem übereifrigen Agenten angestiftet – der Time's Up-Kampagne. Demnächst darf man gespannt sein, wie sich der New Yorker mit dem französischen Namen seines Vaters als »Beautiful Boy« im Ringen mit einer Crystal-Meth-Sucht schlägt. Und dann bekommt er auch schon Shakespeare-Weihen, neben Joel Edgertons Falstaff als Henry V. in »The King«, unter der Regie von David Michod.

Anke Sterneborg

Die Abenteuerin • Brooklynn Prince

»The Florida Project (2017). © Prokino

Es gibt niedliche Kinderdarsteller und es gibt solche wie Natalie Portman oder Jodie Foster, bei denen man schon in der ersten Rolle etwas anderes sehen kann: neben kindlichem Charme und natürlicher Wahrhaftigkeit eine nicht zu bändigende Spiellust und menschliche Tiefe. Weshalb der »Florida Project«-Regisseur Sean ­Baker auch die Vermutung angestellt hat, dass sein Film irgendwann mal vor allem dafür berühmt sein würde, dass Brooklynn Prince darin entdeckt wurde. Als sechsjährige Moonee zieht sie die Blicke magnetisch an, sie verwandelt ein fliederfarbenes White Trash-Motel in einen fantasiestrotzenden Abenteuerspielplatz und lässt zugleich die Abgründe einer Kindheit aufschimmern, die ein klarer Fall fürs Jugendamt ist. Vorerst ist das Kino für Prince vor allem ein Abenteuerspielplatz, demnächst auf Monsterjagd in »Monsters at Large« oder im animierten Selbstfindungsabenteuer eines Gorillas in »The One and Only Ivan«. Bleibt nur zu hoffen, dass ihr Talent nicht in harmlosen Kinderfilmen verheizt wird, dass sie bald die Chance bekommt, in einem erwachsenen Film ein Kind zu spielen, bevor sich die Wahrhaftigkeit ihrer Präsenz verliert. »The Turning«, eine moderne Version­ von Henry James' Novelle »The Turn of the Screw« könnte diese Chance sein – als eines der beiden Waisenkinder wird sie da zumindest in dunklere Regionen vorstoßen. Unterdessen beginnt sie schon selbst Regie zu führen, bei einem romantischen Film über ihre Eltern, auf der Handykamera in New York gedreht. 

Anke Sterneborg

Killmonger Was Right • Michael B. Jordan

»Black Panther« (2018). © Walt Disney

Ob der Schurke wiederbelebt werden kann? Jetzt, da der Film ein Phänomen geworden ist? Nur ausgesprochene Marvel-Nerds werden vor dem Start von »Black Panther« gewusst haben, um wen es sich bei Erik Killmonger, dem Gegenspieler des Titelhelden, handelte. Jetzt hat der Typ ganz neue Follower gewonnen, ist super hot auf Tumblr, inspiriert Fanworks und wird politisch etwa unter #killmongerwasright gewürdigt. Das liegt zum einen am schlauen Drehbuch, das die Figur durch eine berührende Backstory eng an Geschichte und Gegenwart der afroamerikanischen Community anbindet und mit einer durchaus nicht unrealistischen Gesellschaftsanalyse ausstattet. Es liegt aber auch an Michael B. Jordan, der mit seinem von Dreadlocks verhangenen Blick eine fiebrige Intensität produziert, die ihm auf der Comicschurken-Aura-Skala für alle Zeiten einen Top-Platz sichert. Mit dem Unterschied, dass Jordans Killmonger, anders als der Joker oder Loki, nie die Bodenhaftung verliert, immer diesseits des ham acting bleibt. Der 1987 in Kalifornien geborene und in New Jersey aufgewachsene Frühstarter Jordan – er steht seit '99 vor der Kamera, 2002 fiel er in »The Wire« auf – hält die Balance. So ist die athletische Körperlichkeit, die er etwa als junger, von Sylvester Stallone gecoachter Buppie-Boxer in »Creed« – hier ist er politisch eher bei Obama als bei Malcom X – ausspielt, solide dramatisch austariert. Besonders gut kann man das sehen in »Nächster Halt: Fruitvale Station«, dem dritten Film, den Jordan neben »Panther« und »Creed« unter der Regie von Ryan Coogler gedreht hat: Da liefert er ein konzentriertes Porträt des 22-jährigen Oscar Grant, der 2009 in einer S-Bahnstation in der Bay Area von einem Polizisten erschossen wurde. Eins von den Schicksalen, die Killmonger verhindern wollte.

Sabine Horst

Transparent und unergründlich • Adèle Haenel

»Liebe auf den ersten Schlag« (2014). © Tiberius Film

Ihr Element ist das Wasser. Seit »Water Lilies – Der Liebe auf der Spur« ist sie die große Kunstschwimmerin des französischen Kinos. Da ist Adèle Haenel der Star eines Wasserballetts und hat bereits ziemlich breite Schultern. In André Téchinés »L'Homme qu'on aimait trop«, wo das Mittelmeer eine magische Aura gewinnt, badet sie auch bei kaltem Wetter und genießt jeden Zug. In »Liebe auf den ersten Schlag« zieht sie ihre Bahnen im elterlichen Swimmingpool und trägt dabei einen Rucksack, den sie mit Dachpfannen beschwert hat.

Die Doppeldeutigkeit des Wassers, transparent und unergründlich zu sein, passt prächtig zu dieser Schauspielerin. Ihre Figuren sind meist verschlossen, zuweilen ruppig und stets verletzbar. In ihrer ersten großen Rolle in »Water Lilies« gibt sie sich den Anschein ­einer abgeklärten Lolita und hütet so das Geheimnis ihrer Unschuld. ­Dieses Schillern lässt ihr Spielraum. Die zweifache César-Gewinnerin kann in Kurzauftritten brillant sein (wie in »Nocturama«, wo sie gewissermaßen als griechischer Chor fungiert) und Nebenrollen große Ausstrahlung und scharfe Kontur verleihen (etwa als AIDS-Aktivistin in »120 BPM«). Wer schon eine Hauptrolle bei den Dardenne-Brüdern gespielt hat – als Ärztin in »Das unbekannte Mädchen« ringt sie mit ihrer Berufung und Schuldgefühlen –, ist zwar längst kein aufstrebendes Talent mehr. Aber Haenel mag gefestigt sein, festlegen lässt sie sich nicht.

Gerhard Midding

Angenehm retro • Ansel Elgort

»Baby Driver« (2017). © Sony Pictures

Er ist der Retroboy unter Hollywoods Nachwuchsstars: ein aus der Zeit gefallener Loner, der mit seinem sanften Rebellentum an James Dean erinnert, mit seiner störrischen Beharrlichkeit an den jungen Marlon Brando und mit seinen spektakulären Fahrkünsten an die Coolness eines Steve McQueen. Ein Mainstream-Kid hat Ansel Elgort nur einmal gespielt, im Horrorfilm-Remake »Carrie« gleich zu Beginn seiner Karriere; danach hat er sich eingegroovt auf herrlich spleenige Typen, die nicht nur gänzlich unbeeindruckt bleiben von aktuellen Trends, sondern auch mit großer Selbstverständlichkeit Anachronismen zelebrieren. Das gilt für seine Outfits ebenso wie für den Oldie-Soundtrack, den er sich als vom Tinnitus geplagter »Baby Driver« aufs Ohr legt, für den Pager, mit dem er sich als Smartphone-Verweigerer in »November Criminals« anfunken lässt, und ganz besonders für den kultivierten Gentleman-Stil, mit dem er im anrührenden Krebsdrama »Das Schicksal ist ein mieser Verräter« die zögerliche Shailene Woodley umgarnt. Überhaupt: Wenn es um die Liebe geht, ist dieser überzeugte Individualist ein unverbesserlicher Romantiker, einer, der nichts weniger will als die große mythische Verbindung. Egal, ob er sich dabei um Kopf und Kragen redet wie in »November Criminals«, vielsagend schweigt wie in »Baby Driver« oder gar einen Selbstmord­versuch unternimmt wie in »#Zeitgeist« – bislang gilt für Elgort, was Jerry Bruckheimer einst über den jungen Tom Cruise sagte: »Guys want to be like him and girls want to be with him.«

Frank Schnelle

Natural • Kacey Mottet Klein

»Mit Siebzehn« (2016). © Kool Filmdistribution

»Der Castingprozess mit jungen Laien«, hat Ursula Meier im Interview mit dem »Tagesspiegel« gesagt, »ist aufreibend, man muss möglichst schnell herausfinden, welche Schranken die Kinder haben. Kacey hatte überhaupt keine.« Meier hat Kacey Mottet Klein professionell »großgezogen«. Mit zehn spielte er eine der Hauptrollen in ihrem schrägen Kinodebüt »Home«: ein dünner blonder Junge mit großen Augen, sensibel, aber vital, das Küken einer Familie, deren Leben aus den Fugen gerät, als die tote Autobahn, an der sie wohnt, doch noch eröffnet wird. Vier Jahre später hatte sich die Kleinsche Mischung aus zerbrechlichen und bissigen Zügen verschärft. Als »Winterdieb« – wieder unter Meiers Regie – stiehlt er in einem Skiresort Sportartikel, um sich und seine selbst noch sehr junge Mutter – Léa Seydoux – durchzubringen. Zäh und findig erscheint er da. Aber auch unendlich rührend: etwa, wenn er mit Seydoux verhandelt – Kuscheln gegen Geld. Auf der letzten Berlinale hat das franko-schweizerische Duo Meier-Mottet Klein seinen dritten Film vorgestellt: ein Drama um einen Jugendlichen, der seine Eltern getötet hat. Dazwischen spielte er den jungen Serge Gainsbourg in Joann Sfars Biopic und einen der beiden Schüler in André Téchinés »Mit Siebzehn«, der das Thema Diversität gleich mehrfach angeht: da hat er das Niedliche schon abgestreift. Einem Schauspieler beim Erwachsenwerden zuzusehen, muss nicht interessant sein. Im Fall von Mottet Klein, heute 19, ist es das aber.

Sabine Horst

Emblematisch • Daniel Kaluuya

»Get Out« (2017). © Universal Pictures

Unter den oscarnominierten Hauptdarstellern Gary Oldman, ­Daniel Day-Lewis, Denzel Washington und Timothée Chalamet in diesem Jahr besaß Daniel Kaluuya nur Außenseiterchancen. Aber trotzdem gilt sein Auftritt in Jordan Peeles Horror­farce »Get Out« als einer der emblematischen des Jahres 2017. Kaluuyas Gesicht, auf dem sich staunendes Erschrecken ausbreitet, seine weit aufgerissenen Augen, die nach und nach erfassen, was die scheinbar doch so netten Eltern seiner weißen Freundin wirklich mit ihm vorhaben – mit diesem Film-Still wird man noch auf Jahre hinaus den aktuellen Zeitgeist bebildern können.

So souverän stellt Kaluuya in »Get Out« die wissende, von bitteren Erfahrungen geprägte Umsicht eines gebildeten Afroamerikaners dar, der trotz alledem an Gleichheit glauben möchte, dass man überrascht ist zu erfahren, dass Kaluuya 1989 als Sohn ugandischer Immigranten in London geboren wurde. Seine Schauspielkarriere begann er bereits als Kind – wobei er ebenfalls von jung an selbst an Drehbüchern und Stücken mitschrieb. Nach einer Serie von kleineren und größeren Fernsehauftritten, rückte ihn eine Hauptrolle in der ersten Staffel der Science-Fiction-Anthologie »Black Mirror« ­(»Fifteen Million Merits«) ins Rampenlicht. Dort soll ihn auch ­Jordan Peele für »Get Out« entdeckt haben. Sein Auftritt als W'kabi im Marvel-Erfolg »Black Panther« dürfte Kaluuya nun endgültig ­Star-Status verliehen haben. Im November wird er in Steve McQueens neuem Film »Widows« zu sehen sein.

Barbara Schweizerhof

Frau im Widerstand • Claire Foy

»Solange ich atme« (2017). © Square One Entertainment

Die ebenmäßigen Züge, die großen blauen Augen im schmalen Gesicht prädestinieren sie für klassische Geschichten aus vergangenen Zeiten. Wie Charles Dickens' Little Dorrit in der gleichnamigen BBC-Serie – laut britischer Presse weniger englische Rose als irisches Moos. Wie die nationalsozialistisch infizierte Lady Persephone Towyn in »Die Rückkehr ins Haus am Eaton Place«. Und vor allem als Queen Elizabeth in der brillanten BBC-Serie »The Crown«. Den Masken und Korsetten, in die sie sich da fügt, setzt sie mit entwaffnender Natürlichkeit zu und mit einem sehr modern entschlossenen, geradezu kämpferischen Zug. Hier ein paar Strähnen, die sich unter der Haube aus der Hochsteck­frisur von Amy Dorrit lösen, dort ein leises Stirnrunzeln, mit dem sie als Elizabeth die Regeln des Hauses Windsor und das königliche Protokoll sanft unterläuft, mit wachsamen Augen, in denen sich ein Hauch von Melancholie fängt. Diese innere Stärke im Ringen mit äußeren Widerständen nutzte Andy Serkis für sein Spielfilmdebüt, »Solange ich atme«, in dem Foy sich durch ein schweres Polio-Schicksal nicht von der Liebe zu ihrem Mann abbringen lässt. Und Steven Soderbergh hat sie mit dieser enormen Willensstärke in »Unsane« gegen die Zwänge eines fragwürdigen Gesundheitssystems und zugleich gegen einen psychopathischen Killer ankämpfen lassen. Immer häufiger zeigt sie jetzt Format auch im Kino, in ihrer Version von Lisbeth Salander in »The Girl in the Spider's Web« und neben Ryan Gosling in Damien Chazelles »First Man« als Frau des Astronauten Neil Armstrong.

Anke Sterneborg

Die Meerjungfrau • Luna Wedler

»Amateur Teens« hieß der erste Film der Schweizer Schauspielerin, 2015 unter der Regie von Niklaus Hilber gedreht. Der Titel führt etwas in die – pornographische – Irre, aber Sex ist ein großes Thema der Geschichte um eine Jungs- und eine Mädchenclique an einer Züricher Schule. Neben dem Internet. Milena ist die Alpha-Figur unter den Mädchen, arrogant, durchtrieben, eine, die überlegen mit ihren Sexerlebnissen mit Männern prahlt. Eine neue Mitschülerin disst sie wegen ihrer Schambehaarung als »Taliban«. Luna Wedler, die beim Dreh gerade 14 Jahre alt war, spielt diese Milena aber so, dass hinter der Fassade ein Rest Unsicherheit sichtbar wird. In »Blue My Mind« von Lisa Brühlmann, der in diesem Jahr beim Max Ophüls Preis lief, aber noch keinen Kinostart in Deutschland hat, ist sie die Außenseiterin, die Neue, die in eine fremde Klasse kommt. »Blue My Mind« ist ein Film über Ängste und Verwandlung, die Chronologie eines Rückzugs: Am Ende wird sich Mia in eine Meerjungfrau verwandeln. Ganz dicht bleibt die Kamera an Mia, eine schwierige Aufgabe für eine Schauspielerin, aber es sind nicht die – eher bescheidenen – Special Effects, die die Krise des Mädchens zeigen, sondern Wedlers fragende Blicke, ihre vorsichtigen Gesten, wenn etwa ihre Finger über die schuppige Haut tasten. Die 1999 geborene Wedler hat dafür den Schweizer Filmpreis als beste Darstellerin gewonnen.

Rudolf Worschech

Der mit dem Blick • Barry Keoghan

»Convincingly creepy« nannte die britische Sonntagszeitung »The Observer« Barry Keoghans Auftritt in »The Killing of a Sacred Deer«. Man wollte ihm dafür einen »alternativen Oscar« in der ­Kategorie bester Nebendarsteller verleihen. Und es stimmt: In Yorgos ­Lanthimos' sperrigem Thriller verkörpert Keoghan das Unheimliche, Gruselige und nicht zuletzt Abstoßende mit solchem Nachdruck, dass man ihn nur schwer wieder vergisst. Gerade weil es den Widerspruch gibt zwischen seiner Erscheinung – schmächtig, ungelenk, unartikuliert – und den absolut zwingenden, ja gewalttätigen Entwicklungen, die seine Figur ins Rollen bringt, prägt er sich dem Zuschauer ein.

Diese Art von Langzeitwirkung ist die Spezialität des 1992 in Dublin geborenen Iren. Im Berlinale-Wettbewerbsbeitrag von 2014, Yann Demanges Nordirland-Thriller »'71« genauso wie im letztjährigen »Dunkirk« und bald im Hungersnot-Drama »Black 47«. Wieder und wieder denkt man als Zuschauer wie zur Beruhigung, dass man es bei seiner Figur eben mit einem »funny looking face« zu tun hat. Doch bald lässt sich das schräge Gesicht mit dem verschwollenen Blick nicht mehr auf einen Typus reduzieren. Man kann ihm seine Absichten oft nicht gleich ablesen, mit seinen geschmeidigen Bewegungen scheint er mehr zu verbergen als zu zeigen. Aber genau das Uneindeutige, Zwiespältige fesselt an ihm so. Und er offenbart dabei eine nachgerade wundersame Wandlungsfähigkeit: Bei ­Lanthimos entwickelt er eine unerbittliche Härte, die man dem stammelnden Jungen anfangs nie zugetraut hätte. Aber Keoghan kann mehr als nur »creepy«: In »Black 47« sieht man in ihm zu Beginn nur einen harmlosen, unterwürfigen Mitläufer. Als Randfigur des irischen Rachewesterns erfasst sein schweifender Blick die katastrophale Situation der Hungerjahre; die Unterwürfigkeit verwandelt sich in Unruhe und kulminiert schließlich in einem Ausbruch, der ­Keoghans Figur als eine der wenigen erscheinen lässt, die noch zu echter Menschlichkeit fähig sind.

Barbara Schweizerhof

Selbst ist die Frau • Gina Rodriguez

»Deepwater Horizon« (2016). © Studiocanal

Es waren zwei kurze Sätze, die der 33-jährigen Amerikanerin bislang die größte Aufmerksamkeit verschafften, Teile ihrer Dankesrede für den Golden Globe, den sie 2015 als beste Comedy-Serien-Hauptdarstellerin für »Jane the Virgin« erhielt: »Dieser Preis steht für so viel mehr als nur für mich. Er steht für eine Kultur, die sich selbst als Helden sehen möchte«. Der großen Latino-Gemeinde der USA hätte sie nicht besser aus dem Herz sprechen können.

Rodriguez' Eltern stammen aus Puerto Rico, sie selbst ist in Chicago geboren. In »Jane the Virgin« hat ihre Figur der »Jane Gloriana Villanueva« venezolanische Wurzeln. Die Comedy-Serie thematisiert weit mehr als nur den Migrationshintergrund. Ihr gelingt ein sagenhafter Dreifachsprung, nämlich zugleich Hommage, Parodie und die beste vorstellbare Version einer Telenovela zu sein, jenes Formats, das in Süd- und Mittelamerika die Kanäle füllt wie hierzulande der Krimi. In der doppelbödigen Anlage der Parodiehommage ist Rodriguez' Titelfigur nicht nur eine Herzschmerzen erleidende Heldin, sondern selbst angehende Autorin – von Liebesromanen. Denn Frauen- und Mädchenkultur wird hier einmal nicht schamvoll als Kitsch abgewertet, sondern mit Stolz herausgestellt. Zu diesem Selbstbewusstsein passt bestens, dass Rodriguez in ihren zwei prominentesten Filmauftritten bislang (in Peter Bergs »Deepwater Horizon« und in Alex Garlands »Annihilation«) nicht bloße »love interests« verkörperte, sondern zupackende Actionheldinnen.

Barbara Schweizerhof

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