Nachruf: Lalo Schifrin
Lalo Schifrin
21. 6. 1932 – 26. 6. 2025
Jahrzehntelang musste er sich anhören, wie großartig die Musik sei, die er für die Verfolgungsjagd in »Bullitt« geschrieben hatte. Er wurde nicht müde zu widersprechen: In der Sequenz ertönt keine einzige Note. Es half nichts, der Irrtum überlebte Lalo Schifrin. Die Agenturmeldungen zu seinem Tod schrieben die Legende fort.
Das verkehrte Lob ging dennoch nicht fehl, denn es zeigt, wie suggestiv seine Kunst ist. Das packende Stück erklingt, bevor Steve McQueen und seine Widersacher ein paar Gänge höher schalten. Nach dieser kinetischen Einstimmung braucht es keine Untermalung, der Motorenlärm und das Kreischen der Bremsen sind Musique concrète genug. Peter Yates war zunächst nicht überzeugt von der Idee. Aber 1968 hatte der Komponist längst gelernt, sich gegen Regisseure und Produzenten durchzusetzen. Bruce Geller bestand darauf, dass jede der Hauptfiguren von Mission: Impossible (Kobra, übernehmen Sie) im Vorspann ein eigenes Thema erhielt. Schifrin hingegen fand, das Team bilde eine Einheit. Die Titelmusik im 5/4-Takt gehört zu den ansteckendsten Stücken der Menschheitsgeschichte. Sie besitzt die Dringlichkeit einer Zündschnur, ist pure Entschlossenheit auf dem Sprung. Schifrin schrieb sie in vier Minuten.
Filmemacher konnten nicht nur auf seinen Instinkt vertrauen, sondern auch auf sein kulturelles Wissen. Ihm waren sämtliche Musiktraditionen zwischen Mittelalter, Zwölfton und Elektronik geläufig. In Buenos Aires nahm er mit sechs Jahren Klavierunterricht bei Daniel Barenboims Vater und studierte bei Juan Carlos Paz. Gleichzeitig entdeckte er den Jazz. Da der Import von US-amerikanischen Alben unter Juan Perón verboten war, musste der junge Fan sie unter seinem Mantel verbergen. Mit 20 ging er ans Konservatorium in Paris, wo er bei Olivier Messiaen lernte; nicht nur im Unterricht, sondern vor allem wenn der Meister sonntags auf der Kirchenorgel improvisierte. Derweil trat er in Jazzclubs auf und schloss Freundschaft mit Virtuosen wie Dizzy Gillespie. Ab Ende der 1950er komponierte er sporadisch fürs Kino. Seinen endgültigen Durchbruch feierte er 1965 mit »Cincinnati Kid«, wo ihn seine Liebe zum New-Orleans-Jazz und Blues inspirierte.
Er behauptete, ein Chamäleon zu sein. Das war seiner Karriere dienlich – das Spektrum seiner rund 100 Scores umfasst sämtliche Genres vom Mantel-und-Degen-Film bis zur Science Fiction – und zeigte sich in einer gleichsam polyglotten Vertrautheit mit unterschiedlichen Idiomen. Für lateinamerikanische Rhythmen war indes überall Platz. »Der Mann mit der Todeskralle« (1973) ist sein Meisterstück der Fusion, wo er Soul, Gitarrenriffs und heftige Chinoiserien vermischt. Bruce Lee bedankte sich, indem er ihm Unterricht in Martial Arts gab.
Aber derlei Vielseitigkeit konnte nie darüber hinwegtäuschen, wie unverwechselbar sein Stil ist. In welcher Disziplin auch immer – Schifrin schrieb Suspense-Musik. Das Gitarrensolo zu Beginn von »Der Unbeugsame« (1967) mochte pastoral anmuten, aber bald spitzt sich die behände Verbindung von Bluegrass, Folk, Jazz und Streicher-Sinfonik dramatisch zu. Die Instrumentierung ist stets verblüffend; auf die Elektrogitarre in »Bullitt« wäre seinerzeit kein anderer Hollywoodkomponist gekommen. Als er den Anfang von »Dirty Harry« (1971) sah, entschied er: »Ich will Stimmen hören!« Don Siegel, der Regisseur, mit dem er am häufigsten zusammengearbeitet hat, ließ sich schnell überreden – und so erklingen in dem Polizeithriller Sirenengesänge als böse Verlockung. Der Trick mit der unvertonten Verfolgungsjagd gelang Schifrin auch hier.
Mit jedem weiteren Musikeinsatz kommen bei Schifrin jeweils genrefremde neue Instrumente hinzu, Cembali, Flöten, Harfen, Orgeln etc. Was hat etwa ein Klavier zu schaffen auf der einsamen Insel in »Die Hölle sind wir« (1968), wo die Kriegsgegner Lee Marvin und Toshiro Mifune sich ein unerbittliches Duell liefern? Es fügt sich indes triftig in den wachsam existenzialistischen Gestus der Partitur. Schifrin fühlte sich weniger den Schauplätzen oder Epochen der jeweiligen Projekte verpflichtet, sondern deren Psychologie. Er wusste genau, welches musikalische Gewicht sie gewinnen sollte. Als er 1998 Carlos Sauras Tango vertonte, erinnerte er sich, dass in Peróns Argentinien Tanzmusik gespielt wurde, um die Schreie der Gefolterten zu übertönen.
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