42. Filmfest München
Gewinner des Regie- und Drehbuch-Preises: »Karla«. Foto: Florian Emmerich
Das Filmfest München präsentierte starke deutsche Filme, die eine große stilistische Bandbreite abdeckten
In der Sektion Neues Deutsches Kino des Filmfests München haben sich die Jurys für die Realität entschieden: Die Förderpreise für Regie (Christina Tournatzés) wie für Drehbuch (Yvonne Görlach) erhielt »Karla«, das nach wahren Begebenheiten erzählt, wie 1962 eine Zwölfjährige ihren eigenen Vater wegen sexuellen Missbrauchs anzeigt. Der Film besticht in perfekt herausgearbeiteten, hochemotionalen Szenen durch die großartige Jungdarstellerin Elise Krieps (Tochter von Vicky), wirkt aber insgesamt zwiespältig: Ihr Gegenüber ist ein Richter, der von Rainer Bock einfühlsam gespielt wird, aber indem er sowohl anwaltlich berät als auch staatsanwaltlich ermittelt und schließlich im Gerichtsprozess urteilt, unglaubwürdig erscheint.
Die Förderpreise für Produktion (Jacqueline Jansen, die auch Regie führte) und Schauspiel (Magdalena Laubisch) sowie den FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritik erhielt völlig zu Recht Sechswochenamt: Ein Film über die Trauer nach dem Krebstod der Mutter und über die Bewältigung angesichts von Ansprüchen bezüglich Todesanzeige, Bestattung, Gedenkfeier. Zumal die Mutter ihre Asche im Meer verstreut haben will, was wegen der deutschen Friedhofspflicht allerlei Schleichwege erfordert. Und dies in einer sich ausbreitenden Pandemie: Jacqueline Jansen weiß, wovon sie erzählt, ihre Mutter ist im Lockdown verstorben. Laubisch spielt ihre Figur immer am Rand der Überforderung: beim telefonischen Streit mit der abwesenden Schwester, gegenüber einem radikal pragmatischen Bestatter oder einem Pfarrer ohne jedes Einfühlungsvermögen.
Jenseits der realitätsnahen Filme lehnte sich die Sektion hin zum Absurd-Bizarren. Den Publikumspreis National des Filmfests erhielt »Zweigstelle« von Julius Grimm, eine Jenseits-Behörden-Satire über die bürokratischen Abläufe in der Zweigstelle Süddeutschland III/2. Es geht um drei Bayern im Himmel, die sich zwischen angeblichem Buddhismusglauben, dem Sturz ins Nichts und dem Wunsch zur (Wieder-)Aufnahme eines selbstbestimmten Lebens mit Mittags- beziehungsweise Kaffeepausen, streikenden Druckern und unfähigen Sachbearbeitern herumschlagen müssen. Der himmlische Hausmeister – einmal mehr Rainer Bock – hält alles zusammen. Trotz etwas holpriger Dramaturgie und starkem Hang zum bajuwarischen Klamauk ein Publikumshit.
»Unterwegs im Namen der Kaiserin« von Jovana Reisinger lässt drei Freundinnen in der postkartenschönsten Alpengegend den Jungbrunnen suchen, bis sie von einer mutmaßlichen Hexe auf die Spur der Kaiserin Elisabeth, der schönsten Frau der Welt, gesetzt werden: Zwei der Freundinnen werden von Männern gespielt und heißen Magda-Gustav und Karlheinz, eine wunderbare Verquerung der Geschlechterrollen in einer spielerischen Story mit durchweg künstlich-ironischem Setting – Sisi ist als Sehnsuchtsobjekt von Kitsch, weiblichem Empowerment, Schönheitswahn und Touristennepp wunderbar auf die Leinwand gebracht.
Die Schnittstelle zwischen dem Hang zum Absurden und der Darstellung von Realität bot der Dokumentarfilm »Born to Fake« von Erec Brehmer und Benjamin Rost: Michael Born brachte in den 1990ern vornehmlich für Stern TV, unter der damaligen Chefredaktion von Günther Jauch, Fake-Beiträge über krötenleckende Drogensüchtige, katzentötende Jäger oder bombenbauende Kurden ins Fernsehen: Gewünscht waren Sensationen, die Born mit bizarren Storys lieferte, die von Redaktion wie Publikum für wahr gehalten wurden. Das Porträt der fantasierenden Persönlichkeit Borns wandelt sich zum medienwissenschaftlichen Essay um Wahrheit und Fiktion und wird schließlich selbst geradezu investigativ, wenn einem damaligen Stern-TV-Mitarbeiter eine bezeichnende Unwahrheit nachgewiesen wird. Ein wichtiger wie unterhaltsamer Film, der am Ende den 2019 verstorbenen Born mit KI wiederauferstehen lässt und damit den Bogen zu heutigen Manipulationsmöglichkeiten schlägt. »Born to Fake« reiht sich ein in einen starken Jahrgang, zu dem etwa auch Stella Marie Markerts »Danke für nichts«, Dietrich Brüggemanns »Home Entertainment« oder Nikias Chryrssos' und Viktor Jakovleskis »Rave On« gehörten.
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