Film des Monats August: »In die Sonne schauen«
Ein Jahrhundert deutscher Geschichte, vom Kaiserreich über den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Teilung bis zur Gegenwart, gefiltert durch das Erleben von vier Mädchen, konzentriert in einem Schauplatz. Ein von allen Seiten mit Gebäuden umschlossener Bauernhof in der Altmark, einer der ältesten Kulturlandschaften Deutschlands, bildet das malerische, pulsierende, zuweilen unheimliche Zentrum des Films. Hier, zwischen Stube und Scheune, Garten und einem nahe gelegenen trägen Fluss, werden Epochenumbrüche sicht- und spürbar. Die siebenjährige Alma wächst als Gutsbesitzertochter noch in einer Atmosphäre religiösen und sozialen Zwangs auf, die pubertierende Angelika stößt in der DDR der Achtziger an die Grenzen der individuellen Freiheit, und in der Gegenwart ist die aus Berlin zugezogene Nelly inmitten einer sonnigen Ferienidylle von seltsamer Schwermut erfasst.
Mascha Schilinskis »In die Sonne schauen« hat es als erster deutscher Film nach neun Jahren in den Wettbewerb von Cannes geschafft und sogar einen Preis gewonnen. Kein Wunder: Der Film ist eines der ambitioniertesten Projekte des aktuellen deutschen Kinos – eigenwillig, poetisch und hoch komplex. Die verschiedenen Erzählungen entfalten sich nicht chronologisch, sondern fließen auf geisterhafte Weise ineinander und sind durch wiederkehrende Motive verknüpft; familiäre Gewalt und Traumata – Kindstod, der Suizid einer Schwester, die Verstümmelung eines Onkels – scheinen über Generationen fortzuwirken. Das alles fasst die Inszenierung in Bilder von einer seltenen Sinnlichkeit, konzentriert im klassischen 4:3-Format: Nahaufnahmen von Stoffen, Oberflächen und Körpern, hypnotische Fahrten durch die getäfelten Stuben des alten Hauses, atmosphärische Naturimpressionen. »In die Sonne schauen« lässt das Publikum buchstäblich eintauchen in den Alltag und das Seelenleben seiner Protagonistinnen: mehr als ein Film – eine Erfahrung.
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