Kritik zu Oppenheimer

© Universal Pictures

Cillian Murphy brilliert als der legendäre Physiker, der einen faustischen Pakt eingeht, um den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Eine immersive Charakterstudie aus einer Epoche unauflösbarer Widersprüche

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Über die Gewissensbisse, die Harry S. Truman nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki plagten, ist vergleichsweise wenig bekannt. Der 33. Präsident der USA mochte sich in den ersten Nachkriegsjahren kein Innehalten erlauben. Als überzeugter Gegner des Kommunismus trug er Sorge für den raschen Wiederaufbau Westeuropas und trieb die nukleare Aufrüstung seines eigenen Landes voran.

Aber der Demokrat aus Missouri trug nicht leicht an der Verantwortung, den Befehl zur Zerstörung der japanischen Städte gegeben zu haben. Seiner Schwester Geraldine vertraute er nach Ende seiner zweiten Amtszeit in Briefen an, wie ihn das unermessliche Leid all dieser Opfer bis in seine Träume verfolgte. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Albträume den Schreckensvisionen ähneln, die J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) in Christopher Nolans Film heimsuchen: Er sieht Menschen vor sich, deren Gesichtshaut sich in Fetzen ablöst und tritt auf eine verkohlte Leiche, deren Torso zerbirst. Truman hat bei Nolan nur einen kurzen Auftritt, in dem ihn Gary Oldman als hart gesottenen Realpolitiker verkörpert. Der Präsident will dem Physiker, den das Cover von »Time« als den »Vater der Atombombe« feiert, zu seinem Erfolg gratulieren und erhofft sich von ihm Aufschluss darüber, welche zukünftige atomare Strategie die Sowjets abschrecken könnte.

Oppenheimer rät ihn entschieden von einem Wettrüsten ab. Aber was soll dann aus dem Forschungszentrum in Los Alamos werden, das Oppenheimer errichten ließ, fragt der Präsident. »Geben Sie das Land den Indianern zurück«, lautet dessen Antwort. Truman ist verärgert und nimmt sein zweiflerisches Gegenüber ins Gebet: Den Menschen in Hiroshima sei egal, wer die Bombe erfunden, sie interessiere nur der Mann, der sie abgeworfen hat. Sodann gibt er Anweisung, diesen Weichling nie wieder ins Weiße Haus zu lassen. Die eine Botschaft dieser Szene besteht darin, dass Reue die beinahe exklusive, um nicht zu sagen: narzisstische Domäne von Nolans Protagonisten ist. Zugleich zeigt sie das Schisma auf, das zwischen Wissenschaft und Macht besteht. Und schließlich markiert die Audienz im Oval Office einen entscheidenden Umschlagpunkt in Oppenheimers Werdegang, denn nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Wissenschaftler zum Pazifisten geworden und als solcher für die Politik nicht mehr tragbar.

Diesem Zeitraum, in dem Oppenheimers Ruf zerstört werden soll, widmet der Regisseur einen Gutteil der Laufzeit seines Dreistünders. Noland erstes Biopic verzichtet weitgehend auf den für das Genre obligatorischen Anfang (Kindheit und Jugend, in denen sich bereits das Folgende erahnen lässt) sowie das Ende (seine Rehabilitierung durch Präsident Kennedy streift er nur). Die Zeitebenen verschlingen sich, wie stets bei diesem Filmemacher, auf überaus komplexe Weise. Die Lehrjahre des gedankenschnellen, ehrgeizigen Wissenschaftlers lässt er Revue passieren in einem rauschhaften Tempo, in das die Montage indes bereits Stolpersteine des Zweifels einbaut. Oppenheimers Beziehung zu seiner Ehefrau Kitty (Emily Blunt) verhandelt er verblüffend ellipsenreich: Die Zwei treten oft als Solisten auf, was für sich genommen schon beredt genug ist. Kittys unerschrockene Aussage vor einem Untersuchungsausschuss weist sie als ein moralisches Zentrum des Films aus, das dieser getrost etwas häufiger hätte konsultieren können.

Die Frage der Loyalität – zu seinem Land, seinen Mitarbeitern und seinen Freunden (die im Falle Oppenheimers oft dem Kommunismus nahe standen) – ist ohnehin ein kardinales Motiv des Films. Eine Kaskade der Dilemmata bricht über seinen Helden herein, der selbst schon vom Widerspruch zwischen Idealismus und Opportunismus zerrissen ist. Er fühlt sich einem Ethos wissenschaftlicher Wissbegier verpflichtet und muss erkennen, dass die Theorie kein bloßer Freiraum des Vordenkens ist, sondern sehr wohl Konsequenzen in Gesellschaft und Politik zeitigt. Nolan ordnet ihm zwei Gegenspieler zu: Major Leslie R. Groves (Matt Damon spielt ihn eine Spur wohlwollender als Paul Newman in »Die Schattenmacher«) hat die militärische Befehlsgewalt über das Manhattan Project inne. Er setzt Oppenheimers einstige und verbliebene politische Überzeugungen als Druckmittel ein, dient aber auch als Schutzschild der Wissenschaftler in Los Alamos. Der Philanthrop und Akademiker Lewis Strauss (Robert Downey jr.) tritt zunächst als Förderer Oppenheimers in Erscheinung, wird als Leiter der Atombehörde später zu dessen mächtigem Widersacher.

Während Oppenheimer die Quantenphysik nach Amerika brachte, macht Nolan sie seit »Interstellar« beharrlich im Kino heimisch. Deren Mysterien visualisiert er mit sprungbereiter kinetischer Fantasie. Im Gegenzug ist die Tonspur seines Films ein Kabinettstück der Immersion, das mit zeitlicher Verschiebung arbeitet (nach der Zündung der ersten Bombe in Los Alamos ist nur das Atmen der Wartenden zu hören) und Oppenheimers Visionen der Verheerung zu einer akustischen Bedrängnis werden lässt, vor der es kein Entrinnen gibt. Nolan ist ein Regisseur der Faszination. Sein Oppenheimer reiht sich ein in die Galerie von Protagonisten von überragender Intelligenz und ebensolchem Hochmut. Die Kamera kann sich nicht sattsehen an Cillian Murphys Gesicht, in das sich immer tiefer Spuren von Ambition und Selbstanklage eingraben. Beim Manhattan Project übernimmt der Physiker zusehends die Rolle des Koordinators eines Stabes von handverlesenen Experten, der sich verschworen hat, das bis dahin Unvorstellbare zu denken und umzusetzen. Nebenbei hat Nolan nach The Prestige und Inception nun also eine dritte Allegorie auch auf sein eigenes Metier inszeniert.

Meinung zum Thema

Kommentare

Wieso wird Lewis Strauss in obiger Rezension als "Philantrop und Akademiker" bezeichnet. Er ist Geschäftsmann ("Schuhverkäufer"), Karrierist und leidet zeitlebens darunter, gerade kein Akademiker zu sein. Als Gegenspieler Oppenheimers scheitert er bei einer für ihn wichtigen Abstimmung an seiner eigenen Hinterhältigkeit. Das wird eindrücklich gezeigt. Darüber hinaus finde ich den Film mutig, denn schonungslos deckt er auf, dass es die USA waren, die den atomaren Rüstungswettlauf hauptverantwortlich begannen, der seitdem anhält bis heute. Oppenheimers Kalkül, durch den einmaligen Einsatz der A-Bombe die Welt ein für allemal zu überzeugen, künftig auf diese Waffe zu verzichten, erwies sich als lllusion. Sie machte ihn als ehrgeizigen Wissenschaftler aber auch anfällig für die Mitwirkung an den Kriegsverbrechen in Hiroshima und Nagasaki. Nach dem Krieg zog er kritische Konsequenzen daraus, kämpfte für nukleare Kontrolle und Abrüstung, während ihn die US-Mächtigen um den Senator und Antikommunisten McCarthy zum "Spion der Sowjetunion" und damit zum Landesverräter stempeln wollten. Diese Legende macht der Regisseur Christopher Nolan zunichte. "Oppenheimer" ist nach meinem Dafürhalten ein besonderer Film, ein Antikriegsfilm – dies nicht allein in historischem Zusammenhang, sondern getragen von brennender Aktualität!

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