Kritik zu Il traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra

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Marco Bellocchio blickt in die Abgründe der Cosa Nostra der 80er und 90er Jahre und ihrer Gewaltexzesse – wählt allerdings die Perspektive eines charmanten »Ehrenmanns«, der zum Informanten der Justiz wird

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Es war die wohl blutigste Zeit in der Geschichte der Cosa Nostra in Sizilien. Reihenweise brachten die »Corleonesi« Anfang der 80er ihre Rivalen sowie Repräsentanten von Staat und Justiz um. Auch Frauen und Kinder ihrer Feinde wurden hemmungslos abgeschlachtet. Zentraler Protagonist war Totò Riina, bald der mächtigste Boss der Insel und der wohl brutalste der Corleonesi. Eigenhändig soll er vierzig Menschen ermordet haben, weitere 110 Morde sollen in seinem direkten Auftrag erfolgt sein. Zu seiner aktiven Zeit weniger bekannt war Tommaso Buscetta, ein stets elegant gekleideter Mann mit guten Manieren – und die Hauptfigur in Marco Bellocchios »Il Traditore«, zu Deutsch »Der Verräter«. 

Zum Star wurde Buscetta durch die spektakulären »Maxi-Prozesse« in Palermo, die er mit seiner umfassenden Aussage als Kronzeuge ins Rollen brachte, mit 360 Schuldsprüchen ein massiver Schlag gegen das organisierte Verbrechen. Die Konfrontation zwischen Buscetta und Totò Riina vor Gericht, ein faszinierendes Wortgefecht zwischen Verräter und Boss der Bosse, bei dem jeder den anderen voller Inbrunst und Verachtung als ehrlos beschimpft, stellt Bellocchio wortgetreu nach. Wie überhaupt die Gerichtsszenen zu den zentralen Passagen des Films gehören. Hier werden die Fragen um Ehre und Verrat, um die die Figur Buscetta wie auch die Cosa Nostra insgesamt kreisen, auf die Spitze getrieben, hier finden die wiederkehrenden metaphorischen Bilder von Raubtieren in Käfigen ihre reale Entsprechung: in den Dutzenden von Käfigen, in denen die Angeklagten sitzen.

Doch der Film setzt viel früher ein, zur Zeit der Eskalation des Mafiakriegs auf Sizilien – als Buscetta eigentlich schon weit weg war: Er hatte sich nach Rio de Janeiro abgesetzt und führte mit seiner dritten Frau ein fast schon beschauliches Leben, das er auch dann nicht aufgeben wollte, als seine Familie in Sizilien ins Fadenkreuz der Feinde geriet. Doch dann nahm ihn die brasilianische Polizei fest und lieferte ihn an Italien aus, während dort inzwischen seine beiden Söhne von Riinas Leuten umgebracht worden waren. Dann ließ sich Buscetta auf Gespräche mit Staatsanwalt Giovanni Falcone ein . . .

Bellocchio schließt mit seinem Werk an die großen Mafiaepen von Coppola oder Scorsese an, mit seiner Opulenz und den mondänen Schauplätzen, mit Montage­sequenzen, in denen Morde wie eine Reihe Dominosteine fallen, mit seinem Reichtum an illustren Figuren, und nicht zuletzt mit einem Score von Nicola Piovani, der auch einen klassischen Mafiafilm der 70er Jahre schmücken könnte. So entfielen mehrere der zahlreichen Auszeichnungen, die »Il Traditore« bereits gewonnen hat, auf die Musik. Mehrfach geehrt wurde neben dem Regisseur auch der großartige Hauptdarsteller Pierfrancesco Favino.

Der Plot hält sich sehr eng an die wahren Ereignisse, denn die sind sensationell und voller Überraschungen. Eine Prise schwarzer Humor sowie bizarre Situationen und pikante Genremomente tun ein Übriges, um die Spannung zu halten – beispielsweise die Mönche, die aus ihren Kutten plötzlich Maschinenpistolen ziehen und den Priester beim Gottesdienst umlegen wollen.

Das Bild der Cosa Nostra, die auf ihre Ehre pocht und keinen Widerspruch darin sieht, zur Verteidigung dieser Ehre Kindern in den Kopf zu schießen, fällt angemessen düster aus. Das System als Ganzes, die hohlen Rituale der angeblichen Ehrenmänner: All das schildert der Film ungeschönt als blutiges Familienporträt. Zugleich ist er aber ein wenig zu sehr in seinen zugegebenermaßen faszinierenden Protagonisten verschossen. Buscetta, der sich stets als aufrechten Gentleman-Gangster inszenierte und nicht sich, sondern Riina und seine Leute für die Verräter hielt – nämlich an den Werten der alten, noch ehrenhaften Mafia – wird zwar punktuell konterkariert. So wird wenigstens klargestellt, dass auch Buscetta Morde beging. Doch sein Märchen von der früheren Mafia als Hüter des sozialen Friedens wird nur in Gestalt von Falcone in Abrede gestellt. Bellocchios Film hingegen scheint der fragwürdigen Nostalgie Buscettas zumindest teilweise auf den Leim zu gehen.

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Weder Fisch noch Fleisch - kein Spielfilm, keine Dokumentation. Irgendetwas dazwischen ohne Spannung, ohne Tiefgang, einfach eine langweilige Aneinanderreihung von Geschehnissen; Schleier des Vergessens hilft!

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