Kritik zu 24 Wochen

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Von wegen »guter Hoffnung«: In Anne Zohra Berracheds Drama spielt Julia Jentsch eine Schwangere, die sich entscheiden muss, ihr behindertes Kind auszutragen oder abzutreiben

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Ein Baby in der 24. Schwangerschaftswoche wiegt ungefähr 700 Gramm und ist rund 30 Zentimeter groß. Es strampelt, hat manchmal Schluckauf, die Mutter hat meistens schon einen deutlichen Babybauch. In Deutschland ist es möglich, ein solches Baby abzutreiben, wenn es krank oder behindert ist und sich die Mutter das Leben mit ihm nicht zutraut. Tatsächlich lassen die meisten Schwangeren mindestens eine Ultraschalluntersuchung, vielleicht sogar eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen, um herauszufinden, ob ihr Kind gesund ist. Falls es das aber nicht ist – was dann?

»Diese Entscheidung können wir nur treffen, wenn wir sie treffen müssen«, sagt eine Hebamme im Film und spricht damit die Haltung der Regisseurin aus. Anne Zohra Berrached will in »24 Wochen« nicht für oder wider Spätabtreibung argumentieren, sondern von dem Dilemma erzählen, vor dem betroffene Frauen stehen. Außerdem zeigt sie, wie Diagnose, Beratung, schließlich Abtreibung oder Behandlung des Neugeborenen ablaufen – das ist harter Stoff. Der Zuschauer erfährt einiges, was er so genau vielleicht lieber nicht wissen wollte, aber darum geht es ja gerade.

Das Drama beginnt mit Lachsalven. In Stöckelschuhen und mit Babybauch steht Astrid (Julia Jentsch) auf der Bühne und macht Schwangerschaftswitze. Sie ist eine Stand-up-Comedian – eine Frau, die Mutterschaft, Beruf, das Schönsein und Coolsein offenbar locker unter einen Hut bringt. Sie hat eine süße Tochter; ihr Mann Markus (Bjarne Mädel) ist gleichzeitig ihr Manager. Die beiden lieben sich. Sie besitzen ein schickes Haus mit einem großen Garten, darin ein Baumhaus für Tochter Nele. Kurz: Astrid hat ein Superleben. Und ausgerechnet in dieses nahezu perfekte Leben platzt das Schicksal wie ein ungebetener Gast.

Bei einer Routineuntersuchung erfahren Astrid und Markus, dass ihr Kind wohl mit Trisomie 21 zur Welt kommen wird. Es ist ein Schock, den das Paar allerdings recht schnell verdaut. »Als Kind hab ich mit 'nem Downie gespielt«, sagt Markus. »Downie – darf man das überhaupt sagen?« Dazu Astrid: »Mongo darf man nicht sagen.« Und nach einer Pause: »Eltern dürfen, glaub ich, alles sagen.« Und nach noch einer Pause: »Wie er wohl aussehen wird …?« Wie Julia Jentsch und Bjarne Mädel das spielen, muss man die beiden unbedingt mögen. Und glaubt auch sofort, dass Eltern in einer solchen Situation so reden.

Es sind diese außergewöhnlichen Schauspieler, die »24 Wochen« zu einem packenden, lebendigen Film machen. So viel Gewicht lastet darauf – durch die gesellschaftliche Bedeutung des Themas, die vielen Fakten, die die Regisseurin gesammelt hat – dass es ihm auch die Luft hätte nehmen können. Aber mit Julia Jentsch leidet und hofft der Zuschauer bis zum Schluss mit. Ab und zu schaut sie direkt in die Kamera, dem Zuschauer ins Gesicht, als ob sie ihn fragen wollte, wie er zu der Sache steht. Jentsch hatte immer wieder Frauen in moralischen Extremsituationen gespielt, Rebellinnen wie Sophie Scholl oder Jule im Revoluzzertrio von »Die fetten Jahre sind vorbei«, aber auch »Effi Briest« oder die Mutter in »Monsoon Baby«.

In »24 Wochen« wird der Druck auf sie immer größer, die Regisseurin wollte es ihrer Protagonistin richtig schwermachen, wie sie im Interview erzählt. Und viel Zeit bleibt nicht zu überlegen. Gerade haben sie und Markus die Diagnose Downsyndrom halbwegs verdaut und den Alltag mit einem behinderten Baby organisiert, da erfahren sie, dass ihr Kind außerdem schwer herzkrank zur Welt kommen wird. Markus will das Baby trotzdem unbedingt bekommen, Astrid aber hat Zweifel: Ist das Leben dieses Kindes lebenswert oder eine einzige Quälerei? Und wie wird es für sie selbst sein, wenn sie tagein, tagaus das kranke, behinderte Kind pflegen muss? Ihre Mutter spricht es schließlich aus: »Man muss ein solches Kind heutzutage nicht mehr bekommen.«

Anne Zohra Berrached ist Jahrgang 1982, sie hat Sozialpädagogik studiert, dann Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Mit ihrem ersten Langfilm »Zwei Mütter« über ein lesbisches Paar mit Kinderwunsch war sie 2013 auf der Berlinale in der Sektion »Perspektive Deutsches Kino« vertreten und gewann den Preis »Dialogue en perspective« der französischen Jury. »24 Wochen« ist ihr Abschlussfilm – der ihr Talent bestätigt. Er war in diesem Jahr der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb der Berlinale.

Formal ist »24 Wochen« allerdings eher kunstlos. Es ist seine Erzählung, die packt, die sich ganz dicht an der Wirklichkeit bewegt. Die Regisseurin hat dafür viel recherchiert: Sie hat mit Ärzten und Hebammen gesprochen und mit einem Paar, das sich für die Abtreibung ihres Kindes in der 26. Schwangerschaftswoche entschieden hat. Die auf Tonband aufgenommenen Gespräche hat sie in ihr Drehbuch eingearbeitet. Außerdem lässt sie die Ärzte und Berater, die Astrid und Markus konsultieren, von echten Ärzten und Beratern spielen. Besonders eindringlich ist die Szene, in der zwei Professoren den Eltern erklären, wie das Herz ihres Babys operiert werden muss: »Hier nehmen wir Goretex-Material.« Dazu müsse der Brustkorb des Babys aufgesägt und das kleine Herz stillgelegt werden. Gleichzeitig mitfühlend und grausam sachlich klingen ihre Erläuterungen. Schon Andreas Dresen hatte in »Halt auf freier Strecke« einen echten Arzt gewählt, der seinem Protagonisten die Diagnose »Hirntumor« stellt, um diese ganz besondere Mischung aus Routine und Menschlichkeit im Tonfall einzufangen.

Mit Markus und Astrid erfährt der Zuschauer viel über den medizinischen Apparat, über Pränataldiagnostik und Neonatologie, die in den letzten Jahrzehnten viel möglich gemacht haben. Aber muss alles gemacht werden, was möglich ist? Je mehr der Zuschauer erfährt, desto stärker wird auch das Gefühl, dass sich Krankheit und Behinderung – das, was mal Schicksal hieß – nicht aussperren lassen, so sehr sich gerade unsere Generation und Gesellschaft um Risikoausschaltung bemüht. Und vielleicht ist es ja auch mit der freien Entscheidung nicht so weit her, wenn sich Argumente und Gegenargumente so sehr die Waage halten wie im Fall von Astrid. Indem er solche Fragen aufwirft, geht »24 Wochen« über das Thema »Spätabtreibung« noch hinaus.

Meinung zum Thema

Kommentare

Guten abend, gerade sah ich das Fernsehspiel "24 Wochen". Ich bin emotional sehr aufgewühlt. Ich habe auch darüber nachgedacht, wie ich in einer solchen Situation mich entschieden hätte. Ja, ohne eine direkte Konfrontation mit einer solchen Sachlage denkt man locker mal darüber nach. Doch ganz ehrlich, ich hätte dem Kind DSS leben geschenkt mit allen Konsequenzen, auch für mich. Ich denke, ich wäre in eine große Depression gefallen, nachdem ich unter schmerzen ein Kind geboren hätte, welches vorher auf meinen Wunsch hin mit einer todesspritze zu Tode gekommen wäre. Spätestens, nachdem das tote babie bei mir im arm gelegen hätte, wäre mein leben vorbei gewesen. Das hätte ich nie und nimmer aus meinem Kopf bekommen. Auch dieses Kind hat ein recht zu leben gehabt. Mir kommen immer noch die Tränen. Ein sehr berühren des Fernsehspiel, guten schauspielern, einer einfühlsamen Regisseurin. Viele grüße aus Kassel Iris schäfer

Hallo,
ich hab den Film heute gesehen. Mir geht es ähnlich wie Iris Schäfer.
Ich verurteile keine Frau, die abtreibt. Ich kann gut mit der 3 Monatsfrist leben. Und Niemand sollte gezwungen sein ein schwerstbehindertes oder -krankes Kind auszutragen. Aber ich fände, es echt wünschenswert, wenn es für behinderte Kinder auch ne Fristenlösung gäbe. Ich bin selbst ein Frühchen und körperbehindert. Letztendlich kosten wir der Gesellschaft zuviel Geld, denke ich. Deshalb gibt es keine Abtreibungsfrist.

Hallo

Ich habe den Film heute angeschaut und mir ist schlecht geworden. Ich hatte gehofft das noch alles gut wird und sie sich für das Leben entscheiden. Allerdings sieht man da wie unsere Gesellschaft heute denkt. Alles muss perfekt und schön sein, da passt so ein Kind nicht rein.
Dann muss ich auch ehrlich sagen, ich glaube an einen Schöpfer Gott und das wir uns irgendwann vor ihm für unsere Taten grad stehen müssen, aber das ist nur meine Meinung.

Allerdings als Mutter einer Tochter mit Behinderung, stark Entwicklungsverzögert, Epilepsie, mit fast 10 noch auf Windeln angewiesen und noch einiges mehr.... finde ich diesen Film mehr als schrecklich. Mein Mutterherz hat geweint, bei unserer Tochter wurden die meisten Diagnosen erst recht spät fest gestellt. Ich liebe meine Tochter und bin dankbar sie zu haben auch wenn ich sie seit fast 10 Jahren wickle und noch einige Sachen mehr......

Also wie reagieren Menschen die sich ein Leben nicht mit einem Behinderten Kind vorstellen können? Wenn es den dann doch so sein wird?
Plädieren diese dann dafür das man diesen Kindern auch eine Kalium Spritze gibt? Oder gar Wenn es einen Unfall hat oder Sind sie da dann so nett und morden nicht, sondern schieben die Kinder nur ab?

Und meiner Meinung nach kann man das Vergleichen, da sie sich den Alltag nicht mit einem behinderten Kind vorstellen können.
Macht es ja keinen Unterschied ob sie es in der Schwangerschaft oder danach feststellen, den wenn man möchte wächst man in die Situationen rein.
Und die Diagnose ist generell erstmal ein Schock und muss verdaut werden.

Mein Sohn hat Down Syndrom und er ist das Beste was mir je passiert ist. Er ist ein lebens froher junger Mann, der sein Leben jeden Tag genießt. Wir haben kein Recht zu entscheiden, ob ein Kind leben darf oder nicht! Für mich ist Spätabtreibung Mord!

Ich denke, dass keine Person dafür verurteilt werden darf das Kind abzutreiben. Das passiert nicht aus Spaß sondern aus einer Notlage heraus. Ich habe wahnsinnig Respekt vor Eltern, die sich um ihre behinderten Kinder kümmern. Aber ich kann das auf gar keinen Fall.

Ich bin studierte Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und arbeite mit schwer kranken, behinderten Kindern und ihren Eltern. Jedes einzelne dieser Geschöpfe ist ein wunderbares Geschenk Gottes und ganz besonders und unbedingt schützenswert.
Doch, ich kann sagen, dass ich so eine Entscheidung niemals treffen würde, ohne je in dieser Situation gewesen zu sein! Ist es leicht mit einem behinderten Kind? Ganz und gar nicht! Zerbricht man manchmal daran? Mit Sicherheit! Liebt man sein Kind um jeden Preis? Immer! Ich wäre traurig in einer Welt ohne SIE und Danke Gott für jedes Kind das ich kennen lernen darf, weil ihre Eltern ihm oder ihr ein Ja gegeben haben. Danke!!!

Ich finde es wunderbar wie Sie ihre Patienten lieben ! Eines meiner Kinder hatte einen offenen Rücken in der 22. Woche, ich habe nicht abgetrieben. Er kam mit Narbe an Rücken gesund zur Welt. Und noch zwei kleine Wunder , ein Loch im Herz der Tochter. Aber ich hatte auch Fehlgeburten aus unbekannten Gründen. Das fand ich schrecklich und mir ist es unverständlich wie andere Abtreibungen verkraften.

Keine Frau trifft diese Entscheidung leichtfertig!!! Und ich finde es schlimm, wie hier verurteilt wird. Es geht doch primär gar nicht um das Down Syndrom, sondern um die schwere Herzerkrankung und die Folgen. Auch wenn die Medizin sehr weit in ihrer Entwicklung ist, bleibt ein herzkrankes Kind immer ein Herzpatient. Vielleicht sollten die Damen mal auf einer Kinderherzchirugie hospitieren, hm? Ein zarter, mehrfach aufgeschnitten Brustkorb mit dünnem Narbengewebe, jede Menge Medikamente, ständige Blutentnahmen aus vernarbten Venen, Untersuchungen, Schmerzen, ständig Angst vor Infektionen und und und.
Es geht nicht um Bequemlichkeiten oder Perfektionismus, es geht um eine Frau, die eine mutige Entscheidung für sich, ihr Kind und ihre Familie getroffen hat. Und ehrlich gesagt, ich habe es so satt, diese Gerede davon, wieviel so ein behindertes Kind einem geben kann. Jedes Kind gibt Liebe zurück, ob nun behindert oder nicht, sie alle werden geliebt. Aber diese Kinder werden, wenn es gut läuft, irgendwann erwachsen und werden nach unendlichen Stunden Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie, diversen Fördermaßnahmen, Kämpfe mit der Krankenkasse, Behörden, Kita, Schule usw. in einer Behindertenwerkstatt landen, wo sie dann unter Mindestlohn "arbeiten". Von Selbstbestimmung und Würde ist dieses System sehr weit entfernt. Ich höre schon das empörte Aufschreien, aber ich habe großen Respekt vor Frauen, die diesen schweren Schritt gehen!
Ja, ich finde es absolut legitim ein so schwerkrankes Kind spät abzutreiben!

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