Nahaufnahme von Lindsay Lohan

Kommt die Lohanaissance?
Lindsay Lohan in »Freakier Friday« (2025). © Disney Enterprises

Lindsay Lohan in »Freakier Friday« (2025). © Disney Enterprises

Showbiz-Überforderung, Familienkonflikte, Opfer der Boulevardpresse: Das ist die tragische Geschichte von Lindsay Lohan. Doch 2022 gab sie nach fast zehn Jahren Abstinenz ihr Comeback und kehrt nun mit »Freakier Friday« zu den Ursprüngen ihrer Karriere zurück

Als Ende 2022 »Falling for Christmas« auf Netflix startete, war das Lindsay Lohans erster Film seit knapp zehn Jahren – in Hollywood-Zeitrechnung mehr als eine Ewigkeit. Die Romantikkomödie über eine versnobte Hotelerbin, die bei einem Skiunfall ihr Gedächtnis verliert und in der Familie eines hemdsärmeligen Witwers landet, war nicht sehr originell (sondern eine Variante des Goldie-Hawn-Klassikers »Overboard – Ein Goldfisch fällt ins Wasser«); trotzdem erfuhr der Film auffallend viel Aufmerksamkeit, und in den Kritiken war die schiere Freude über Lohans Rückkehr zu spüren. Selbst negative Besprechungen hoben fast erleichtert ihre ungebrochen charismatische Präsenz und ihr komödiantisches Talent hervor. Die mancherorts beschworene »Lohanaissance« stellte sich zwar auch mit zwei weiteren Netflix-Komödien nicht ein, aber es gab Hoffnung, dass die vielfach gestrauchelte Schauspielerin endlich zurück in die Spur gefunden hat.

Um zu verstehen, warum ein fast vergessener Star in einem nicht weiter bemerkenswerten Netflix-Film derartige Reaktionen auslöst, muss man ein paar Schritte zurücktreten. Auf den ersten Blick ist Lindsay ­Lohan der patente Kinderstar, der zur kapriziösen Diva heranwuchs, die Teen-Queen, die zum Tabloid-Darling wurde. Alles irgendwie richtig, trotzdem greift es zu kurz. Schaut man etwas genauer hin, zeigt sich die tragische Unterseite dieser Entwicklung, kommt hinter dem Lieblingsopfer der Boulevardpresse ein von Showbiz-Überforderungen und Familienkonflikten gezeichnetes Nachwuchstalent zum Vorschein. Nur ein Beispiel: Mit 18 (!) schrieb Lohan den autobiografischen Song »Confessions of a Broken Heart (Father to Daughter)«; das todtraurige, von ihr selbst inszenierte Musikvideo zeigt sie hilflos in einer zerrütteten Familie. ­Rückblickend wirkt das alles wie ein Hilferuf. ­Gehört hat ihn niemand.

Geboren 1986 in New York City als älteste Tochter einer Finanzanalystin und eines Börsenmaklers, stand Lindsay Lohan bereits im Vorschulalter für Werbespots vor der Kamera. Ihre Filmkarriere begann mit zwölf Jahren in »Ein Zwilling kommt selten allein« (1998), eine charmanten Disney-Adaption von Erich Kästners »Das doppelte Lottchen«. Mit staunenswerter Souveränität behauptet die blutjunge Debütantin sich da gegen Größen wie Dennis Quaid und trägt mit einer Mischung aus kesser Energie und Liebenswürdigkeit den ganzen Film, ohne altklug oder niedlich zu wirken.

Diese Qualitäten spielte Lohan auch in zwei weiteren Disney-Produktionen aus: »Lass Dir was einfallen!« und »Bekenntnisse einer Highschool-Diva« sind denkbar seichte Highschool-Filme, die durch Lohans selbstbewusste, zwischen Nerdigkeit und Nonkonformismus changierende Charaktere Interesse wecken; in »Highschool-Diva« erinnert sie mit ihrer modischen Exzentrik und der intellektuellen Faux-Naïveté fast ein wenig an Diane Keaton in »Annie Hall«.

Ihre größten Publikumserfolge feierte sie wenig später in der smarten Körpertauschkomödie »Freaky Friday« (2003) und der bissigen Highschool-Satire »Mean Girls« (2004), beide geschrieben von der »Saturday Night Live«-Veteranin Tina Fey. Lohan verkörpert in diesen Filmen kluge und scharfsinnige Charaktere, die sich unbekannte Gefilde erschließen müssen. In »Freaky Friday« geht es darum, dass eine Mutter den Alltag ihrer Teenage-Tochter »hautnah« erlebt – die beiden haben die Körper getauscht, mit dem paradoxen Effekt, dass Lohan die Mutter spielt und ihr Co-Star Jamie Lee Curtis die Tochter. In »Mean Girls« ist es der Mikrokosmos einer amerikanischen Highschool, den Lohan als in Afrika aufgewachsene Zoologen-Tochter erstmals betritt und dessen diverse »Rudel« sie mit anthropologischer Genauigkeit analysiert.

Was bei »Mean Girls« im Spiel der inzwischen 17-Jährigen hinzukam, war eine Mischung aus kindlicher Naivität und pubertärer Koketterie, aus erfrischender Unbekümmertheit und erwachendem Selbstbewusstsein. Für Tina Feys frivolen Humor und die doppelbödigen Dialoge war sie wie gemacht, zu Recht genießt »Mean Girls« nicht nur bei Jugendlichen Kultstatus.

Die Disney-Produktion »Herbie Fully Loaded – Ein toller Käfer startet durch« (2005), in der sie als Führerscheinneuling rasante Abenteuer mit einem vermenschlichten VW-Käfer erlebt, war deutlich harmloser, aber nicht minder erfolgreich. Diese drei Kassenhits in Folge untermauerten Lohans Status als neuer Teenage-Star. Dazu gehört auch ihr erster »erwachsener« Part in Robert Altmans »The Last Radio Show« (2006). Als Tochter einer Countrymusik-Familie steht sie da für eine romantische Tradition, am Ende aber auch für einen melancholischen Zeitenwechsel. »Sie lebt vor der Kamera auf«, umschrieb Co-Star Meryl Streep die Aura der damals 19-Jährigen, mit der sie einen fantastischen Gesangsauftritt hat. Auch in dem hochkarätig besetzten Ensemble-Drama »Bobby«, das multiperspektivisch die Stunden vor der Ermordung Robert F. Kennedys schildert, konnte Lohan eine Reife ausspielen, die sich in ihren früheren Rollen nur andeutete – als sensible junge Frau, die ihren Freund heiraten will, um ihn vor der Einberufung nach Vietnam zu bewahren. Einmal mehr glänzt sie hier im Zusammenspiel mit einer erfahrenen Charakterdarstellerin, deren Figur sie sich anvertraut, Sharon Stone.

Das war 2006, auf dem Höhepunkt von Lohans Karriere – und kurz vor dem Absturz: In den nächsten Jahren folgten wiederholte Probleme mit Alkohol, Justiz und Familie, dazu eine Reihe schlechter Filme, allen voran Garry Marshalls »Georgia Rule« (2007) mit Jane Fonda, in dem Lohan zwar gewohnt gut ist, der allerdings das Thema des sexuellen Missbrauchs auf höchst unangenehme Weise in Form einer frivolen Provinzkomödie behandelt. 

Ihre magische Aura konnte sich Lohan trotz aller Tiefpunkte bewahren – was wohl der Definition des »geborenen Stars« entspricht und ihre anhaltende Faszinationskraft erklären dürfte. Ganz wie klassische Hollywooddiven muss sie gar nicht viel tun, um eine Szene zu beherrschen. Etwas altmodisch könnte man auch sagen: Die Kamera liebt sie. 

So sah das auch Paul Schrader, der sie 2012 für seine Low-Budget-Produktion »The Canyons« engagierte, eine eiskalte L.A.-Story mit Lohan als sensibler, seelisch labiler Freundin eines zynischen Jungproduzenten. Am Set sorgte Lohan für ungeheure Pro­bleme, Konflikte und Verzögerungen, wie die New York Times in einer lesenswerten Reportage öffentlich machte. Trotzdem verfasste Schrader für eine Titelstory der Zeitschrift »Film Comment« eine geradezu väterliche Hommage an seine Hauptdarstellerin. Er pries ihr Talent und stellte sie in ihrer Wirkung und ihrer persönlichen Tragik auf eine Stufe mit Marilyn Monroe. Schrader zitiert dabei John Hustons Anekdote über Monroe bei »The Misfits«: »Jeden Tag frage ich mich, warum ich mir das antue – bis ich abends die Muster sehe.«

»The Canyons« floppte trotzdem, und in den nächsten zehn Jahren trat Lohan vor allem wieder in der Boulevardpresse in Erscheinung. Eine von Oprah Winfrey produzierte, achtteilige Dokuserie (»Lindsay«) begleitete sie 2014 nach erfolgreicher Reha. Insgesamt ist das etwas ermüdend, allerdings veranschaulicht die Doku vielleicht besser als mancher Spielfilm Lohans Charisma, diese natürliche Fähigkeit, ein komplexes Innenleben nach außen zu tragen. Mit erstaunlicher Natürlichkeit verwandelt sie sich in einer Episode binnen weniger Minuten vom Typus der bewunderten großen Schwester, die mit der Kippe im Mund den Kleiderschrank durchforstet, in die laszive Großtante mit rauchigem Lachen, die immer so viel cooler war als die eigenen Eltern.

Jugendlich und zugleich erwachsen, unbekümmert und doch reif – das sind die Pole, zwischen denen Lohan seit jeher balanciert, nun auch in »Freakier Friday«, der sie zu ihren Anfängen zurückführt. Ob damit eine »Lohanaissance« einsetzt, bleibt abzuwarten. Man würde es ihr wünschen. Und uns auch.

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