Nahaufnahme von Joel Edgerton

Slow Burning
Joel Edgerton in »Loving« (2016). © Universal Pictures

Joel Edgerton in »Loving« (2016). © Universal Pictures

Er hat sich langsam ins Rampenlicht vorgearbeitet, über die Bühnen seiner Heimat Australien und das Fernsehen. Joel Edgerton hat in Blockbustern gespielt, aber auch in großartigen Filmen, die bei uns nur auf DVD herausgekommen sind. In diesem Monat ist er in dem Rassismusdrama »Loving« zu sehen

Eine Frau sagt ihrem Mann, dass sie schwanger ist, und er verharrt nachdenklich sinnierend, um dann ganz schlicht zu antworten: »Good. That's good.« Es ist ein ganz einfacher Satz, doch der australische Schauspieler Joel Edgerton lässt darin eine Fülle von Gefühlen aufschimmern. In seiner ruhigen, unaufgeregten Art liegen die bedingungslose Liebe zu seiner Freundin Mildred (Ruth Negga) und sein unerschütterlicher Wille, seine kleine Familie zu beschützen, aber auch eine Ahnung von den Schwierigkeiten, die es bedeutet, wenn ein weißer Mann in den 60er Jahren in Virginia mit einer schwarzen Frau eine Familie gründen will. Mit kurz geschorenen, sehr hellblonden Haaren verströmt Edgerton die grundlegende Bescheidenheit und den aufrechten Ernst des einfachen, zuverlässigen Arbeiters und Familienvaters. »Loving« ist damit auch der Inbegriff eines Films, der aus den Rassenvorurteilen kein erhitztes Drama macht, sondern eine eindringliche Geschichte beharrlichen Widerstands. Und in gewisser Weise spiegelt die Szene auch die Art, wie sich Joel Edgerton ganz langsam und stetig von kleineren Nebenrollen an den Rändern der Filme ins Zentrum vorgearbeitet hat, wofür es in der englischen Sprache den schönen Ausdruck slow burning gibt. Im Zweifelsfall übernimmt er lieber eine gute kleine Rolle in einem Film, zu dem er stehen kann, als eine große Rolle in einem fragwürdigen Film.

Der 1974 in einem kleinen Städtchen im australischen Bundesstaat New South Wales geborene Joel Edgerton hat das Schauspielen schon früh für sich entdeckt, zunächst im Theater. Nach dem Besuch der Schauspielschule blieb er der Bühne noch rund fünf Jahre treu, und kehrt auch heute noch gelegentlich zurück, zum Beispiel um in »A Streetcar Named Desire« neben Cate ­Blanchett in der Brando-Rolle glänzen zu können. Auf mehrere kleinere Fernsehauftritte folgten dann 2001 32 Episoden der erfolgreichen australischen Fernsehserie »The Secret Life of Us«, die um die amourösen und beruflichen Verwicklungen mehrerer Twentysomethings in drei Wohnungen eines Hauses in Melbourne kreiste. 2002 kam dann der Ruf nach Hollywood, immerhin für einen kleinen Auftritt im »Star Wars-Universum«, als Luke Skywalkers Onkel Owen Lars in »Episode II – Angriff der Klonkrieger« und »Episode III – Die Rache der Sith«.

Es folgten zum Teil auch größere Rollen in amerikanischen Independent-Filmen. In »Kinky Boots« spielte er, oszillierend zwischen zögerlicher Scheu und gewitztem Einfallsreichtum, einen Schuhfabrikantensohn, der den vom Bankrott bedrohten Familienbetrieb rettet, indem er sich auf schenkelhohe Lackstiefel für Transvestiten spezialisiert. Und wenn er da verkündet, dass er Schuhe fertigen will, die etwas aushalten, für Frauen, die Männer sind, dann könnte das auch die Art beschreiben, wie er seine Karriere aufbaut.

Zusammen mit seinem Bruder Nash Edgerton, der bei »Star Wars« Stunt-Double für Ewan McGregor war, entwickelt er eigene Projekte, statt auf Angebote zu warten. Beständig schreibt Joel Edgerton Drehbücher, zumeist Thriller, von denen einige in der Schublade bleiben, andere verfilmt werden. So entand 2008 in Austra­lien The Square unter der Regie seines Bruders Nash mit ihm vor der Kamera. 2013 folgte das Drehbuch zu »Felony«, in dem Joel Edgerton neben Tom Wilkinson einen Polizeidetektiv spielt, der sich von den Kollegen dazu verleiten lässt, seine Schuld an einem tragischen nächtlichen Unfall zu vertuschen. 2015 legte er mit »The Gift« sein eindrucksvolles Regiedebüt vor. Darin spielt er einen auf beunruhigende Weise freundlichen Mann, der sich einem gerade frisch in der Nachbarschaft eingezogenen jungen Paar als ehemaliger Schulkamerad des Mannes vorstellt und bald einige Unruhe stiftet. Die schlägt schleichend in profundes Unbehagen um, aus oberflächlichem Horror wird tief wurzelnder Psychoterror. Auf raffinierte Weise spielt Edgerton seine dezent unheimliche Präsenz gegen das jungenhafte Sonnyboy-Image von Jason ­Bateman aus.

»The Gift« (2015). © Paramount Pictures

Parallel zu seinen eigenen Geschichten sammelt er kleine feine Rollen wie den gehörnten Ehemann von Daisy Buchanan in Baz Luhrmans Verfilmung von F. Scott Fitzgeralds »The Great Gatsby«, den Squadron Teamleader Patrick in Katherine Bigelows Bin-Laden-Jagdprotokoll »Zero Dark ­Thirty«, den eher schrillen, weil speckig glänzenden Ramses in Ridley Scotts »Exodus: Götter und Könige« und den schweigsam anpackenden Westernloner Dan Frost, der Natalie Portmans Titelheldin in »Jane Got a Gun« im Kampf zu Hilfe kommt. Er spielt in Anton Corbijns »Life« den Redakteur, der die James-Dean-Fotos in Auftrag gibt, und in »Black Mass« den korrupten FBI-Mann, der James Bulger zum Pseudoinformanten macht. Und er lernt »Loving«-Regisseur Jeff Nichols kennen, bei »Midnight Special«, als Support des von Michael Shannon gespielten Vaters auf der Flucht. Immer wieder wagt er riskante Entscheidungen, gibt das Theater fürs Fernsehen auf, das Fernsehen fürs Kino, Australien für Amerika – und kann sich dabei auf sein feines Gespür verlassen für interessante Konstellationen mit tollen Schauspielern wie Heath Ledger, Nick Nolte, Leonardo Di Caprio, Johnny Depp, Christian Bale und vielversprechende Regisseure wie Jeff ­Nichols, David Michôd oder ­Gavin O'Connor. Unter O'Connors Regie spielte er 2011 im Boxerdrama »Warrior« eine seiner bisher stärksten Rollen: Mit Tom Hardy trägt er einen Bruderzwist explosiv in der Mixed-Martial-Arts-Arena aus.

Die sehr physische Herangehensweise ans Spiel verbindet ihn mit vielen australischen Schauspielern. Das gilt für kämpferische Auseinandersetzungen von Gangstern, Soldaten und Cops ebenso wie für die Arbeit eines Maurers in »Loving«. Aufregend wird das vor allem, weil diese fiebrige Physis so fein ausbalanciert ist, mit den unterschwelligen Botschaften von innerer Ruhe und Unbewegtheit.

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