Kritik zu Caught Stealing
Darren Aronofsky begibt sich auf ungewohntes Terrain: sein Film ist zugleich Gangsterfarce und Hommage an New York, mit unzähligen Verweisen auf die Filmgeschichte
Für Darren Aronofsky markiert »Caught Stealing« eine Rückkehr. Thematisch zu den Großstadt- und Paranoia-Stories von »Pi«, »Requiem for a Dream« und »Black Swan«, aber viel mehr noch geographisch zu seiner Heimatstadt New York. Das Jahr ist 1998, die Hauptfigur ein junger Typ namens Hank, von Austin Butler mit Schnurrbart und strähnigem Haar irgendwo zwischen Machismo und Melancholie gespielt. An der Highschool in Kalifornien war Hank ein großes Baseballtalent auf dem Sprung in die Profiliga, dann kam es zu einem Bruch. Heute arbeitet er in einer Spelunke im East Village, trinkt zu viel und haust in einer schäbigen Bude. Erfolg und Absturz, Traum und Trauma, Ruhm und Rückzug – auch das sind alte Aronofsky-Motive.
Mit seiner neuen Freundin Yvonne (Zoë Kravitz) könnte Hanks Leben wieder in die Spur kommen – dass sie eine taffe Rettungssanitäterin ist, ergibt in diesem Zusammenhang ein schönes Sinnbild; zugleich wirkt ihr Beruf wie eine Reminiszenz an Martin Scorseses delirierenden New-York-Film »Bringing out the Dead«, der 1998 gedreht wurde.
Als Hank eines Abends nach Hause kommt, trifft er auf zwei russische Gangster, die seinen Nachbar Russ (Matt Smith) suchen, einen britischen Altpunk mit schwarz-rot-gelbem Irokesenschnitt, wenig Grips und kurzer Lunte. Die Russen prügeln Hank halb tot und ziehen wieder ab. All das erzählt der Film innerhalb der ersten Minuten, etabliert Milieus und skizziert Charaktere, rasant, aber nicht atemlos. Und es ist klar, dass die Sache damit erst richtig losgeht.
»Caught Stealing« basiert auf einem Pulp-Roman von Charlie Huston und beginnt als klassischer Neo-Noir, mit einem Protagonisten, der in bester Hitchcock-Manier unverschuldet in ein undurchschaubares kriminelles Geflecht gerät, verfolgt von allen Seiten. Den MacGuffin bildet ein mysteriöser Schlüssel, den jeder um jeden Preis haben will – als könne man ein Schloss nicht anders öffnen.
Mit der düsteren Eröffnung führt Aronofsky gleichwohl ein wenig aufs Glatteis, denn was den Tonfall betrifft, begibt er sich im weiteren Verlauf auf ungewohntes Terrain: der Film wandelt sich immer mehr zu einer schwarzhumorig-brutalen Gangsterfarce voller schrulliger Figuren und absurder Wendungen. Logik spielt bei diesem wilden Vergnügen eine untergeordnete Rolle, und am besten betrachtet man das Ganze als überzeichneten Comic (Charlie Huston hat neben Romanen auch zahllose Comicbücher verfasst).
Ganz stilsicher ist Aronofsky dabei nicht immer, manchmal erinnert seine Inszenierung an den Hipster-Zynismus eines Guy Ritchie. Über weite Strecken aber ergäbe »Caught Stealing« ein schönes Doppel mit Sean Bakers Oscar-Gewinner »Anora«, denn wie dieser ist er einerseits die Geschichte einer Selbstfindung in Form einer wilden Jagd, nicht zuletzt aber auch eine Hommage an New York City. Sicher nicht zufällig spielt Aronofskys Film 1998, dem Jahr seines eigenen Durchbruchs mit »Pi«. In den Dialogen gibt es Anspielungen auf die drakonischen Gesetze des damaligen Bürgermeisters Rudy Giuliani und die einsetzende Gentrifizierung, wobei Aronofsky ein abgefucktes East Village auferstehen lässt und eine großartige Verfolgungsjagd durch die Gassen von Chinatown inszeniert. Hanks Flucht führt ihn nach Flushing Meadows, Brighton Beach und Coney Island, im Hintergrund die Twin Towers. Die Mets sind ein Thema und sogar die legendäre Videothek »Kims Video« auf der Avenue A hat einen flüchtigen Cameo-Auftritt. Das Multiethnische der Stadt spiegelt sich in Hanks Verfolgern, allen voran zwei jüdisch-orthodoxe Gangster, von Liev Schreiber und Vincent d'Onofrio mit kauziger Bedrohlichkeit gespielt, während die Besetzung mit Griffin Dunne als Hanks Boss auf Scorseses atemlosen New York-Film »Die Zeit nach Mitternacht« verweist.
So wirft Aronofsky einen vergnügt-nostalgischen Genre-Blick auf seine Heimatstadt, und nach ambitionierten Arthouse-Projekten wie »Mother!« oder »The Whale« wirkt »Caught Stealing« in seiner Unbekümmertheit regelrecht erfrischend. Man sollte nur nicht den Fehler machen, diese Leichtfüßigkeit mit Trivialität zu verwechseln.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns