Venedig: Zwischenbericht
»Bugonia« (2025). © Focus Features
Die Männer haben es diesem Jahr nicht leicht im Wettbewerb der 82. Filmfestspiele von Venedig. Es kriselt beim Politiker in Paolo Sorrentinos von der internationalen Filmkritik wohlwollend aufgenommenem Eröffnungsfilm »La Grazia«. Oder beim von George Clooney gespielten, clooneyhaften Schauspieler in Noah Baumbachs »Jay Kelly«, der gemeinsam mit seiner Entourage auf Europareise geht. Die beiden Typen in Yorgos Lanthimos' Remake »Bugonia« entführen eine einflussreiche Geschäftsführerin in der Überzeugung, dass sie eine Außerirdische ist. Und für den freiwillig sich ins Prekariat begebenden Schriftsteller in Valérie Donzellis Gig-Economy-Armutskitsch »At Work« sieht es, klar, auch nicht rosig aus.
So völlig an der Care-Arbeit scheitert auch der von Oscar Isaac gespielte Victor Frankenstein in Guillermo del Toros heiß erwarteter Netflix-Produktion »Frankenstein«. Sein selbst zusammengezimmerter Nachwuchs (Jacob Elordi) steigt ihm in der Adaption von Mary Shelleys Klassiker aufs Dach und schlachtet dabei Bootsleute, Adelige, Wölfe und mehr ab. Del Toros Film arbeitet sich mit allem, was man bei dem Regisseur erwartet, an der Frage ab, wer hier bitte das wirkliche Monster ist: mit einer auf Märchen gebürsteten, zwischen melodramatischem Overkill und rüder Brutalität changierenden Geschichte in überdekorierten Bildwelten.
Im bisher überraschungsarmen Wettbewerb, in dem 21 Filme um die Löwen buhlen, ist »No Other Choice« des Koreaners Park Chan-Wook einer der wenigen Höhepunkte. Auch hier ein Mann im Ausnahmezustand: Als seine geliebte Papierfabrik ihn rauswirft, begibt sich ein Angestellter auf systematischen Tötungsfeldzug gegen die potenziellen Konkurrenten für den neuen Job. Mit großer Kunstfertigkeit erzählt Park Chan-Wook in seinem produktiv mäandernden Film eine absurde Allegorie auf die gekränkte Männlichkeit eines Familienvaters, doppelbödig, unvorhersehbar, mal zum Schreien komisch, mal knallhart.
Ein wunderbar ruhiges Kleinod im ansonsten gerne lauten Wettbewerb ist Jim Jarmuschs »Father Mother Sister Brother«. In drei liebevoll beobachteten Miniaturen erzählt die US-amerikanische Independentfilmikone von familiären Gewohnheiten, dem Dazwischen in Eltern-Kind-Verhältnissen und dem Verschwinden.
Ansonsten stellt sich bei der von Stars bevölkerten Wettbewerbsauswahl das Gefühl ein, als würden sich das Festival und sein künstlerischer Leiter Alberto Barbera neben wenigen Ausbrechern mit kinematografischer Sicherheit gegen die sich aus den Angeln hebende Gegenwart stemmen wollen. Über den roten Teppich vor dem Sala Grande jedenfalls sind lange nicht mehr so viele große Namen stolziert: Emma Stone, George Clooney, Adam Sandler, Oscar Isaac, Jacob Elordi, Dwayne »The Rock« Johnson, Emily Blunt, Julia Roberts, und es nimmt kein Ende.
Letztere war in diesem Jahr erstmals in Venedig und wurde am roten Teppich lautstark gefeiert. Roberts spielt in »After the Hunt« von Luca Guadagnino eine Professorin, deren Starstudentin ihren Kollegen und Freund des übergriffigen Verhaltens bezichtigt. Mit einem wahnsinnig gut aufgelegten Ensemble dekliniert Guadagnino in seinem dialogintensiven Thriller die Ambivalenzen eines Metoo-Falls an einer Eliteuni durch. Erwartungen unterläuft der Film dabei durchweg.
Warum »After the Hunt« außer Konkurrenz läuft, wird ein Geheimnis der diesjährigen Festivalausgabe bleiben. In diesem Jahrgang der kriselnden Typen hätte Roberts Figur mit ihren gerne Männern zugesprochenen toxischen Eigenschaften sehr gut herein gepasst. Mehr solche Ambivelanztoleranz und mehr radikales Kino würde dem Wettbewerb jedenfalls gut zu Gesicht stehen. Samstag werden die Löwen verliehen, es kann also noch einiges passieren.
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