Buch-Tipp: Nick Deocampo – Das philippinische Kino

Unentdecktes Terrain

Wer sich ein wenig mit der Filmproduktion auf den Philippinen beschäftigt, stößt recht schnell auf einen eklatanten Widerspruch oder zumindest auf Zahlen und Fakten, die nur schwer zusammenzupassen scheinen. Es lässt sich zweifellos sagen, dass die Bevölkerung dieses vielsprachigen Archipels das Kino liebt. Seit Jahrzehnten gehören die Philippinen zu den Nationen auf der Welt, in denen die meisten Filme produziert werden. Gegenwärtig sind es um die 300 pro Jahr. Damit sind sie unter den ersten fünf Ländern. Es gab aber auch Zeiten, in denen nur in Hollywood und Bollywood mehr Filme hergestellt wurden.

Diesem wahrhaft beeindruckenden Ausstoß an Filmproduktionen steht allerdings eine verhältnismäßig geringe internationale Aufmerksamkeit gegenüber. Natürlich laufen die Arbeiten berühmter philippinischer Independent-Regisseure wie Lav Diaz, Brillante Mendoza oder Khavn auf den großen internationalen Filmfestivals in Cannes und Venedig, Berlin und Amsterdam. Aber selbst sie finden längst nicht immer den Weg in die deutschen Kinosäle. Selbst auf den üblichen Streamingportalen stehen, wenn überhaupt, nur einzelne ihrer Werke zur Verfügung.

Dennoch sind die Filme dieser anerkannten Auteurs jenseits der Philippinen weitaus präsenter als all die kommerziellen Produktionen, die natürlich den größten Anteil am jährlichen Filmausstoß des Landes haben. Diese Genrearbeiten, meist Melodramen, Komödien und Horrorfilme, werden letztlich fast nur lokal ausgewertet und gezeigt. Sie sind ein wahrhaft unbekanntes Land für Filmliebhaberinnen und -liebhaber nicht nur in Deutschland. Nick Deocampos von Ingo Petzke aus dem Englischen übersetzte und mit einer so knappen wie meinungsstarken Einleitung versehene Textsammlung »Das philippinische Kino. Essays und Betrachtungen« ändert daran nur bedingt etwas.

Der 1959 geborene Deocampo, der sich in den 1980er Jahren einen Namen als Dokumentarfilmer gemacht hat und als Professor am Film Institute der University of the Philippines in Diliman, Quezon City, Metro Manila, lehrt, legt mit diesem Band keine geschlossene Filmgeschichte der Philippinen vor. Seine Sammlung von Aufsätzen, Essays und Vorträgen wirft vielmehr Schlaglichter auf einzelne Aspekte und Epochen innerhalb der Geschichte des philippinischen Kinos. Dieser Ansatz hat große Vorzüge. Man erhält so punktuelle Einsichten und zugleich noch einen recht kompakten Überblick über das Kino und die Filmindustrie eines Landes, dessen politische und gesellschaftliche Entwicklung unauflöslich mit der des Kinos und der bewegten Bilder verknüpft ist. Allerdings bleiben sehr viele offene Fragen und auch einige Leerstellen zurück.

Nach der Lektüre des ursprünglich als Vortrag verfassten Textes »José Rizal, das Kino und die Geburt der philippinischen Nation« möchte man eigentlich die von Nick Deocampo erwähnten Filme sehen oder zumindest einen weiteren Aufsatz lesen, der sich auf ihre filmischen und ästhetischen Aspekte konzentriert. Allerdings gibt es einen solchen Aufsatz in diesem Band nicht. Insofern schlägt er wirklich nur erste Schneisen durch das noch weitgehend unentdeckte Kinoland Philippinen. Er weckt Interesse und Neugier und fordert Leserinnen und Leser damit auf, sich auf eigene Faust auf die weitere Reise zu begeben.

Zugleich leistet Nick Deocampos Textsammlung beeindruckende und prägende Pionierarbeit. Indem er die Geschichte der Philippinen, die 300 Jahre lang, bis zur Invasion US-amerikanischer Truppen im Jahr 1898, eine Kolonie Spaniens waren und dann quasi direkt in die Hände der Amerikaner übergegangen sind, mit der des Kinos verknüpft, kann er eine trialektische Theorie entwickeln, die »die komplexe Art und Weise beschreibt, wie das frühe Kino auf den Philippinen in den Händen derer, die Macht ausübten, und derer, die das Medium verschlangen, Gestalt annahm«. Dieser Ansatz betont die spanischen und die US-amerikanischen Einflüsse auf das philippinische Kino, das von 1919 an, als José Nepumoceno mit »Dalagang Bukid« (»Landmädchen«) den ersten rein philippinischen Film gedreht hat, immer auch mit der Suche nach einer nationalen Identität verbunden war. So kann er ein vielfältiges Bild sich oft widersprechender Einflüsse zeichnen, das einem die komplexe Realität einer Kinogeschichte zwischen Kolonialismus und postkolonialen Entwicklungen schlüssig näherbringt.


 

Nick Deocampo, Ingo Petzke: Das philippinische Kino – Essays und Betrachtungen. Schüren-Verlag, Marburg 2025. Softcover 28 €, E-Book 22,99 €.

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Philippinisches Kino – Eine Werkschau mit Kidlat Tahimik und Nick Deocampo steht auf dem Programm des DFF – Deutsches Filminstitut und Filmmuseum zur laufenden Buchmesse in Frankfurt (15.–19. Oktober 2025)

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