Interview: Hélène Cattet und Bruno Forzani zu »Reflection in a Dead Diamond«

Hélène Cattet und Bruno Forzani (Berlinale, 2025). Foto: arte

Hélène Cattet und Bruno Forzani (Berlinale, 2025). Foto: arte

Madame Cattet, Monsieur Forzani, lassen Sie uns über das Verhältnis von Kontrolle und Zufall sprechen. Fabio Testi erwähnte in der Pressekonferenz der Berlinale, dass Sie beide sehr genau planen, alles wurde vorher im Storyboard festgehalten. Auf der anderen Seite lassen Sie immer auch Platz für Zufälle – so entdeckten Sie Fabio Testi, als Sie einen Film von Monte Hellman sahen, einen belgischen Choreographen trafen Sie in einem Supermarkt und bekamen von ihm die Information über ein Mitglied seiner Truppe – die Frau, die jetzt die weibliche Hauptrolle im Film verkörpert. Ich finde, das ist ein interessantes Spannungsfeld. Mein Eindruck war, das Sie höchst systematisch arbeiten: welche Filme haben wir in unserer Jugend gesehen, welche hatten einen bleibenden Einfluss – und wie können wir heute damit arbeiten? Jetzt habe ich eher das Gefühl, Sie lassen dem Zufall einen großen Raum, wenn Sie einen Film kreieren...

Bruno Forzani: 2010 waren wir in einer Vorführung von Monte Hellmans Spätwerk »Road to Nowhere«. Wir kannten Fabio Testi natürlich aus Filmen der sechziger und siebziger Jahre, hatten ihn aber schon lange nicht mehr im Kino gesehen. Als wir ihn hier auf der Leinwand sahen, erinnerte er uns an Sean Connery, in seinem weißen Anzug und dem Panama-Hut auch an Dirk Bogarde in Viscontis »Der Tod in Venedig«. So kamen wir auf die Idee, unseren eigenen James-Bond-Film zu drehen, der sich mit »Der Tod in Venedig« verknüpfte.

Helene Cattet: Wenn wir mit Kunst konfrontiert werden, saugen wir das auf, das kann genauso gut eine Ausstellung sein. Hier spielte auch eine Oper eine gewichtige Rolle.

BF: Ja, wir hatten die Idee 2010, haben aber damals noch nichts zu Papier gebracht. Doch dann sahen wir eine Operninszenierung von Christophe Honoré, »La Tosca«, wo er den Stoff behandelte, sei es »Sunset Boulevard«.  Als wir die gesehen hatten, wussten wir: »Sunset Boulevard« ist die Tür für uns, um James Bond und »Der Tod in Venedig« zu verknüpfen.

Erzählen Sie bitte von der Zufallsbegegnung mit dem Choreographen.

BF: »Blush« war 2005 das erste Ballett mit modernem Tanz, das wir gesehen hatten und als ich dann während der Vorbereitungen zum Film zufälligerweise dessen Choreographen im Supermarkt traf, fragte ich ihn nach einer bestimmten Tänzerin. Er antwortete: »Ich glaube, das ist die Mutter meines Kindes« und zeigte mir ihr Bild auf seinem I-phone. Sie war es, er gab mir ihre Telefonnummer, so traten wir in Kontakt.

HC: Es war unglaublich, denn sie war nicht nur eine Tänzerin, sondern auch eine Martial-Arts-Expertin.
BF: Deshalb wurde die weibliche Hauptfigur zu Serpentik, einer Art weiblichem Diabolique, dieser berühmten italienischen Comicfigur, die ja auch schon mehrfach auf der Leinwand zu sehen war. Zuerst hatten wir für die Besetzung an eine Stuntfrau gedacht, aber dann schien uns eine Tänzerin besser geeignet für den Part.

Wann erreichen Sie den Punkt, wo Sie entscheiden: wir haben genug hiervon und genug davon, jetzt ziehen wir einen Schlussstrich, denn es ist schon kompliziert, diese verschiedenen Einflüsse und Genreelemente zusammenzubringen. Jetzt fangen wir an das Drehbuch zu entwickeln.

BF: Wir hatten einige Jahre lang ein Animationsfilmprojekt mit dem Titel »Darling« entwickelt, das war, wie es bei Animationsfilmen so ist, ein sehr langsamer Prozess, so waren wir irgendwann an dem Punkt angekommen, dass wir etwa machen mussten, das uns ein Einkommen sicherte – also einen neuen Spielfilm. Wir erinnerten uns an eine Idee, die wir vor zehn Jahren gehabt hatten. Als ich eines Tages am Meer war, sah ich ein Mädchen im Wasser, das mich erinnerte an ein anderes Drehbuch, das ich fünfzehn Jahre zuvor angefangen hatte zu schreiben: ein Mann beobachtet am Meer ein Mädchen, das ins Wasser geht. Ich sagte zu mir, warum nehmen wir dieses Situation nicht für den Anfang unseres Films? Danach fing ich mit Schreiben an, da hinein fügten sich dann verschiedene Einflüsse, eine Pop-Art-Ausstellung, die Oper – alles passte irgendwie zusammen. Ich schrieb die erste Fassung des Drehbuches, gab sie Hélene zum Lesen und nach zwei Monaten gab sie mir Feedback.

Sie schreiben nicht beide gemeinsam?

HC: Nein, das ist wie ein Ping-Pong-Spiel. Zuerst sprechen wir darüber, dann schreibt einer die erste Fassung, zu der der andere seine Anmerkungen macht.

BF: Sie ist meine schärfste Kritikerin! (beide lachen)

Mussten Sie Sich am Ende von vielen Einfällen trennen, weil Sie Sich schließlich doch nicht in das große Ganze einfügten? Ich hatte den Eindruck, dass Sie bei diesem Film disparatere Elemente zusammengebracht haben als in Ihren früheren Arbeiten. In Ihren ersten beiden Langfilmen, »Amer – die dunkle Seite deiner Träume« und »Der Tod weint rote Tränen«, waren es ja hauptsächlich die italienischen 'Gialli', die Referenzpunkte lieferten....

BF: Wir haben eine Sequenz gestrichen, das hatte Kostengründe. Eine andere, die Hélene sehr liebte, erfordert umfangreiche Stunts, wie es sie bei James Bond ja immer gibt – aber um sie wirklich gut hinzubekommen, fehlte uns das Geld. Eine weitere zeigte die Konfrontation des jungen John mit dem Bilderdieb. Hélene hatte immer die Befürchtung, dass das Geld nicht reichen würde und kürzte deshalb.     

Monsieur Forzani, Sie sind selber an der Riviera aufgewachsen. Sieht man die in Ihrem Film, erinnert man sich an andere Filmbilder der Riviera. War es schwer für Sie, Ihre eigenen Erinnerungsbilder mit den filmischen Bildern der Riviera zusammenzubringen?

BF: Der erste James Bond-Film, den ich gesehen habe, war »Never say never«, darin gab es eine Szene, die dort gedreht war, wo mein Vater arbeitete, eine weitere, 10 Kilometer davon entfernt, wo meine Großeltern lebten. Im Film verschmolz das zu einer Szene. Das war mein erster Kontakt mit James Bond: etwas aus Deinem Alltagsleben zu sehen in einem Kunstprodukt, das nicht von dieser Welt ist, war höchst aufregend.

Der Strand, wo wir jeden Sommer mit Freunden zum Schwimmen hingehen, dieser uns sehr vertraute Ort, den haben wir mit unser Genregeschichte zusammengebracht. Diese Orte haben uns hochgradig inspiriert – ich würde soweit gehen zu sagen, dass die Riviera eine Hauptfigur dieses Films ist.

Wenn man Sie bitten würde, Ihre eigene Arbeit zu beschreiben, würden Sie dann sagen: es ist eine Hommage, ein reworking, ein remix? Oder vielleicht von allem etwas?

HC: Es ist keine Hommage. Ich würde sagen, wir starten von einem filmischen Genre, aus dem wir einige Elemente nehmen, einige Codes, wir verdauen sie, wir eignen sie uns neu an, wir benutzen sie, um unsere eigene Geschichte zu schreiben, unsere persönliche Geschichte. Dabei entwickeln wir unsere Themen.

BF: Als es um die Finanzierung ging, hieß es bei einer Kommission, wir seien 'Retrogardisten' - das gefiel uns: etwas Neues erschaffen, wie die Avantgarde, aber die Vergangenheit nicht außer Acht lassen.

HC: Das Ziel ist nicht, als Cineasten mit Zitaten um sich zu werfen, sondern Filme machen, bei denen die filmische Vergangenheit in eine neue Arbeit eingebracht wird, und das in einem Stil, mit dem wir gut vertraut sind.

Hat die lange Zeit von acht Jahren zwischen ihrem letzten Film »Leichen unter brennender Sonne« und Ihrem neuen Film einzig mit dem bisher nicht zustande gekommenen Animationsfilm zu tun oder spielten auch andere Gründe eine Rolle?

BF: Die Pandemie spielte natürlich auch eine große Rolle. Nach sieben Jahren wieder an einem Set zu stehen, war schon eine Herausforderung – Filmtechniker arbeiten viel kontinuierlicher als Filmregisseure. 

Werden Sie noch versuchen, den Animationsfilm zustande zu bringen? Oder haben Sie soviel davon in diesem Film unterbringen können, dass das nicht unbedingt mehr notwendig ist?

BF: Nein, den graphischen Teil haben wir fertig und wir werden jetzt den nächsten Schritt machen – wenn wir dabei allerdings feststellen müssen, dass das zu lange dauert, werden wir es nicht machen.

Wenn der Film zustande kommt, werden die Zuschauer dann erkennen, das ist ein Werk von Hélène Cattet und Bruno Forzani – oder wird er vollkommen anders sein?

HC: Sie werden es erkennen: vollkommen dasselbe, aber animiert.

In den letzten Jahren wird verstärkt die Frage nach analogem oder digitalem Filmmaterial diskutiert. Als Sie begannen, haben Sie auf Filmmaterial gedreht...

BF: Auf Super-16-Film. Damit arbeiten wir immer noch.

HC: Bis auf die beiden letzten Szenen, das ging nur digital.

Ihre ersten beiden Filme waren vom Giallo beeinflusst, der seinen Höhepunkt in den siebziger Jahren hatte, der neue Film greift auf die sechziger Jahre zurück. Planen Sie, noch weiter in der Zeit zurück zu gehen?

BF: Ja, da haben Sie Recht – zu Peplum, den italienischen Sandalenfilmen der fünfziger Jahre – am Ende landen wir dann bei Melies! (beide lachen).

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