Nahaufnahme von Matt Smith

Den Helden die Show stehlen
Matt Smith in »Caught Stealing« (2025). Foto Niko Tavernise

Matt Smith in »Caught Stealing« (2025). Foto Niko Tavernise

Bisher war der Engländer Matt Smith hauptamtlich mit Serien beschäftigt. Als »Dr. Who«, als Daemon Targaryen in »House of The Dragon« und als Prinz Philip in »The Crown« entwickelte er so viel Charisma, dass man ihn gern in der A-Liga sehen möchte

Eigentlich wollte Matt Smith von Kindheit an nur kicken. Er trainierte in jeder freien Minute und hatte als Mitglied der Jugendmannschaften von Leicester City und Nottingham Forest bereits eine Laufbahn als Profifußballer begonnen, als eine Rückenverletzung seine Pläne zunichtemachte. Man kann nur darüber spekulieren, was genau den Lehrer des Schauspielkurses in Smiths Schule dazu bewog, den 16-Jährigen auf die Bühne zu schubsen. Dieser Lehrer besetzte den Ex-Fußballer über dessen Kopf hinweg in einem Theaterstück und meldete ihn für ein Theaterfestival an. Zwar ging der Teenager nicht hin und torpedierte auch weitere Bemühungen. Dennoch schaffte es sein Mentor, den Jungen zur Bewerbung am National Youth Theatre, einer Wohltätigkeitsorganisation zur Entwicklung von Nachwuchstalenten, zu überreden. Schon während seines Studiums, mit 23 Jahren, hatte Matt Smith einen Agenten und trat in kleineren Parts im Theater und im Fernsehen auf.

Mit 26 ergatterte er eine der ikonischsten britischen TV-Rollen: Er war das neue Gesicht der Science-Fiction-Serie »Dr. Who«. »Dr. Who?« titelte, wenig überraschend, die Presse angesichts des weithin unbekannten Schauspielers, überdies der jüngste, der je diese Rolle innehatte. Als neue Inkarnation des seit 1963 mittels einer Telefonzelle durch Zeit und Raum reisenden »Time Lords« schlug sich Matt Smith mehr als gut. Sieht man ihn in Tweedjacke und wuscheligem Haar, liebenswürdig und mit manischer Gestik als »eleventh doctor« durch die Jahrhunderte trollen, wird schnell klar, dass dieser junge Schlacks zu auffällig war, um nicht irgendwann entdeckt zu werden, sei es auf dem Fußballrasen oder vor der Kamera.

Schmales Gesicht, abstehende Ohren, eng stehende und tief liegende Augen, ausgeprägtes Kinn und quecksilbrige Motorik: All das ergibt eine anziehende Ausstrahlung, gerade weil diese disparaten Züge irgendwie irritieren. Er könne »gleichzeitig Eierkopf und Actionheld, vorlauter Schuljunge und weiser alter Mann« sein, schwärmte Dr. Who-Produzent Steven Moffat von seiner Neuentdeckung. Seit die »Dr. Who«-Jahre (2010 – 2014) mit 54 Folgen Matt Smith bekannt machten, ist dieser merkwürdig aparte Bursche allerdings auf vorwiegend schräge Auftritte festgelegt. Exemplarisch zeigt dies sein jüngster Part als New Yorker Punkrocker mit gelbem Irokesen-Hahnenkamm in Darren Aronofskys temperamentvoller Gaunerkomödie »Caught Stealing«, in der er, wie so oft, dem eigentlichen Helden die Show stiehlt.

Matt Smith gehört zur Generation von Benedict Cumberbatch, Eddie Redmayne und Tom Hiddleston, die als Inbegriff britischer Schauspielkunst gelten, aber auch als posh und Vertreter der »Oxbridge«-Elite. Mr. Smith dagegen stammt, was immer seltener vorkommt in Schauspielerkreisen, aus einer Normalofamilie ohne künstlerische Ambitionen. Dabei gibt es interessante Analogien zu seinem gefeierten Kollegen Benedict Cumberbatch. 2010 bewarb sich Smith für die Serie »Sherlock Holmes« als Holmes' Freund John Watson. Doch Drehbuchautor Steven Moffat – eben derjenige, der auch »Dr. Who« produzierte – fand Smith eher für die Rolle des Detektivs passend, für die aber bereits Cumberbatch ausersehen war. Nach dieser Audition kam Smith in die engere Wahl für »Dr. Who«. Und wie Cumberbatch als »Dr. Strange« gelang auch Matt Smith in »Morbius« (2021) der Einstieg ins Marvel-Universum. Er verkörpert als Milo die Nachtseite des von Jared Leto gespielten Helden Morbius, seines Mentors, der ein Mittel gegen eine Blutkrankheit sucht, die beide von Kind an quälte. Tatsächlich verleiht Fledermaus-DNA den beiden Freunden übermenschliche Kräfte und unstillbaren Blutdurst. Doch während Morbius seine tierischen Instinkte zu kontrollieren lernt, wird Milo zum bestialischen Killer. So grottig diese moderne Vampirsaga ist, so gelingt es Smith, das Gesicht zum diabolischen Totenschädel verzerrt, doch zugleich, dem präpotenten Blutsauger anrührende Verletzlichkeit zu verleihen.

Offensichtlich aber spielt er, zumindest filmisch, von Anfang an in einer anderen Liga als etwa Cumberbatch. Im Kino ist er abonniert auf Nebenrollen als flamboyanter, oft verführerischer Bad Boy, meist in Genres, die einst zum Reich der B-Movies gehörten. Das gilt zwar nicht für Mary Harrons Drama »Charlie Says« (2018), in dem er, hinter der Hippiebehaarung nur an seinen stechenden Augen zu erkennen, Charles Manson, Herr über einen Harem verlorener Mädchen, spielt. Der aus der Perspektive der zukünftigen Mörderinnen geschilderte und auf Zeitzeugen basierende Film kam nicht gut an – vielleicht, weil darin Frauen nicht allein als Opfer porträtiert werden und gezeigt wird, dass sie jederzeit die Kommune verlassen konnten. Als manipulativer Sektenguru zwischen Sanftheit und barbarischer Wildheit liefert Matt Smith eine nuancierte und unterspielte Darstellung. Doch wenn sein Manson in seiner lauernden Aggression eine dämonische Saite anklingen lässt, stiehlt er gleichwohl und zwangsläufig seinen stumpf blickenden Jüngerinnen die Show. 

Auf fotogene Weise verrückt ist er auch in Ryan Goslings Regiedebüt »Lost River« (2014) als sadistischer Schläger in paillettenbesetzter Jacke, der ein ganzes Stadtviertel terrorisiert. Im ambitionierten, aber letztlich trashigen Horrorkrimi »Last Night in Soho« (2021) spielt er mit Anzug, gegeltem Haar und lässiger Macho-Attitüde den Agenten einer Möchtegernsängerin (Anya Taylor-Joy), der sich als alptraumhafter Zuhälter entpuppt. Das trashig Böse steht ihm ebenso gut wie die Verkörperung des berüchtigten Underground-Fotografen und Pornografen in der Filmbiografie »Mapplethorpe« (2018), in der er mit gefährlichem Charme, Fluppe und Wuschelhaar Frauen wie Männer in seinen Bann zieht. Nun gut: Matt Smith ist auch in diesem eher lahmen Biopic (das in Deutschland nicht anlief) »heiß«. Doch wo bleibt der Anspruch?

Smith bewegt sich seit Beginn seiner Laufbahn problemlos zwischen U und E und ist häufiger Gast auf den Bühnen des Londoner Westend, 2024 etwa in einem gefeierten Auftritt in Henrik Ibsens »Ein Volksfeind«. Bekannt wurde er aber bezeichnenderweise in der Musicalversion von »American Psycho«. Und es spricht für die Vitalität und Kreativität der angelsächsischen Filmkultur, dass ein so markanter Schauspieler auch jenseits des Horrorgenres seine Vielseitigkeit unter Beweis stellen kann. 

»The Crown« (Staffel 1, 2016). © Netflix

Zum Star wurde Matt Smith durch den Boom hochklassiger Serien, die, anders als noch sein exzentrischer Dr. Who, der vor allem im englisch-sprachigen Raum ein Popkultur-Klassiker ist, in den letzten Jahren weltweit ihr Publikum fanden. Im prestigeträchtigen Netflix-Dauerbrenner »The Crown« (2016 – 2023) ist er, mit der aristokratischen Attitüde alten Adels, lang gezogenem Schädel und hohen Wangenknochen nicht nur die perfekte Verkörperung von Philip, Duke of Edinburgh. Die Szenen, in denen er mit seiner Queen um seinen Status als Prinzgemahl streitet, gehören zu den besten und eindringlichsten Charakterdarstellungen der Serie – auch weil er dem Prinzen eine gewisse Rätselhaftigkeit und nonkonformistische Eleganz verleiht. Dank Matt Smiths Darstellung galt der echte Prinz Philip, 2021 verstorben, plötzlich als cool. Smiths bis dato berühmteste Rolle ist aber die des Daemon Targaryen im »Game of Thrones«-Prequel »House of the Dragon«. »Ein Haufen Irrer mit blonden Perücken« (»a load of maniacs in blond wigs basically«), beschreibt er selbstironisch die Handlung, in der er, bleich und blond gefärbt bis zu den Augenbrauen, als skrupelloser und unberechenbarer Bluthund zum Publikumsliebling wurde. Er verleiht dem grausamen Fantasy-Imperator geradezu Shakespeare'sche Dramatik und wurde, als blonde Bestie auf dem Drachen, zugleich zur Kultfigur. Und schon ist die nächste zwielichtige Rolle in Planung: in der nächsten »Star Wars«-Auskoppelung »Star Wars: Starfighter« wird er neben Ryan Gosling den Schurkenpart übernehmen, was ihn endgültig in die A-Liga befördern dürfte.

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