Interview: Kelly Reichardt über »The Mastermind«

Kelly Reichardt. Foto: Godlis

Kelly Reichardt. Foto: Godlis

Mrs. Reichardt, was hat Sie an der Figur des J.B. Mooney interessiert?

Es begann damit, dass ich einen Zeitungsartikel las, sein Anlass war der fünfzigste Jahrestag dieses Ereignisses, als eine Gruppe von Minderjährigen das Worcester Museum of Art in Massachusetts ausraubte. Sie entwendeten damals einige Bilder von Rembrandt und einige von Gauguin – anerkannte Meisterwerke. Mir gefiel die Idee, wie diese Mädchen in kriminelle Aktivitäten verwickelt wurden, das beschäftigte mich eine Zeit lang. Als ich dann das Drehbuch schrieb, kam schließlich diese Figur dabei heraus. Er war an keine konkrete Person angelehnt, sondern eine Kombination von verschiedenen Personen, er sollte eine gewisse Aura des Nichtfassbaren besitzen, auf die der Zuschauer etwas projizieren kann.

Der Film ist in den siebziger Jahren angesiedelt. Ich vermute, das hat nicht nur damit zu tun, dass ein solcher Diebstahl heute wegen der allgegenwärtigen Überwachungskameras nicht mehr möglich wäre, sondern auch, weil die siebziger Jahre für Menschen in einem bestimmten Alter eine besondere Bedeutung haben?

Der reale Fall spielte sich 1972 ab, den Film habe ich im Jahr 1970 angesiedelt, weil ich diesen historischen Moment wichtig fand: die Sechziger sind vorbei, die Desillusionierung setzt ein, was aber bleibt, ist die Ablehnung der fünfziger Jahre mit ihrem falschen Bild des American Dream. Die große Frage aber war: Was kommt danach? Es ist das Jahr, in dem die USA den Vietnamkrieg nach Kambodscha ausweiteten, das Jahr der Proteste an der Kent University, wo die Nationalgarde vier Studenten erschießt, es gab viele Proteste auf den Straßen, die Frauenbewegung machte sich bemerkbar. Es waren turbulente Zeiten, ein entscheidender Moment, in dem das Land gespalten ist. Mein Protagonist ist 33 Jahre alt, er hat zwei Kinder, er kann nicht mehr eingezogen werden, das war wichtig für diese Figur; sein Vater ist Richter, er ist also mit bestimmten Privilegien aufgewachsen. Er hat noch nicht herausgefunden, wie er wirklich leben will, aber eine Alternative ist auch nicht in Sicht.

Sieht er sich selber als einen Rebellen?

Ich glaube, dafür müsste er ein Bewusstsein von der Gesellschaft und seiner Stellung darin haben. Er rebelliert sicherlich gegen seine Eltern, gegen die Vorstellung im Amerika der Mittelklasse, dass jemand in seinem Alter längst wissen sollte, was er mit seinem Leben anfangen soll – aber die größeren Zusammenhänge sieht er nicht.

Die Rebellion gegen seinen Vater und dessen Position in der Gesellschaft ist ersichtlich, aber ich habe mich gefragt, ob sie ihn je zu einer Alternative führen könnte – wäre er vorstellbar als einer der drei, die in Ihrem Film »Night Moves« einen Anschlag auf einen Staudamm planen?

Nein, dafür hat er nicht genügend politisches Bewusstsein.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen diesem Film, in dem es um Kunstdiebstahl geht, zu Ihrem vorangegangenen, »Showing Up«, in dem es um das Erschaffen von Kunst ging?

Wenn ich mit einem Film fertig bin, dann bin ich mit dem Thema eigentlich durch. Aber es kann schon sein, dass das Thema Kunst für mich noch nicht abgeschlossen war. Die Recherche dazu hat mir jedenfalls großen Spaß gemacht.

J.B. Mooney stiehlt Gemälde von Arthur Dove – von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Was hat es damit auf sich?

Den mag ich sehr. Er wird als der erste abstrakte amerikanische Maler angesehen, er stammt aus einer Industriestadt, ganz anders als J.B. Mooney. Wir kennen ihn, weil Stieglitz ihn Mr. Phillips von der Phillips Collection in Washington, D.C. vorstellte, einem Sammler, der viele seiner Werke erwarb. Inzwischen hängen sie in vielen Museen, die Preise sind kräftig gestiegen. Georgia O’Keefe wurde maßgeblich von ihm beeinflusst. Die meisten seiner Gemälde sind eher kleinformatig, für den Film haben wir uns für größere entschieden.

Ein anderer Name, den ich nicht kannte, war Steve Kreines, dessen Film »The Plaint of Steve Kreines as Recorded by His Younger Brother Jeff« Sie Ihren Schauspielern gezeigt haben.

Sein bekanntester Film ist »Seventeen«, den er zusammen mit seinem Partner, dem kürzlich verstorbenen Joel DeMott, gedreht hat. »The Plaint of Steve Kreines as Recorded by His Younger Brother Jeff« ist einer meiner Lieblingsfilme, den ich immer wieder zeige, wenn ich die Möglichkeit dafür habe – ein Familienfilm, es geht um die Loslösung vom Elternhaus. Kreines und DeMott lernten sich beide am MIT kennen, als sie dort studierten, Richard Leacock unterrichtete damals dort. Sie drehten ihre ersten Filme im Stil des Cinéma Vérité über Familienangehörige. Der ältere Bruder zieht von zu Hause aus, er bekommt Geld von seinen Eltern, um sich Möbel anzuschaffen, möchte sie aber gleichzeitig aus seinem Leben verbannen, während sie gar nicht verstehen, warum er das Haus überhaupt verlässt. Der Film ist heute schwer zu finden, aber vielleicht probieren Sie es mal auf YouTube.

Im Presseheft werden Sie im Hinblick auf die Gattung des Heist Movies zitiert mit den Worten: „Melville ist mein Lieblingsregisseur“.

Ich weiß nicht, ob ich einen einzigen Lieblingsregisseur habe, hier ging es wirklich nur um diese Art von Filmen. Ich liebe Melville, nicht den Mann, sondern seine Filme.

Bedeutet das, die Idee, einen Heist Movie zu machen, spukte schon lange in Ihrem Kopf herum?

Eher eine spezielle Variante davon: Ich finde es interessant, etwas aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, um es ganz für sich selber zu haben – ich denke etwa an die Leute, die ein Gemälde stehlen, um es in ihrem Schlafzimmer aufzuhängen. Reiche machen das andauernd, sie kaufen Kunst und packen sie in ein Lagerhaus. In New York hat man unzählige Möglichkeiten, für kein oder für wenig Geld Kunst zu sehen, aber in Kleinstädten? Mir imponierte auch die Dreistigkeit, mit der die Diebe vorgingen, sie nahmen die Gemälde einfach von den Wänden. Gerade weil mir das selber so fremd ist, hat es mich fasziniert. Menschen stehlen aus so unterschiedlichen Gründen Gemälde, manchmal auch, um sie anzuhäufen für den Fall, dass sie wegen etwas anderem verhaftet werden und dann dadurch eine Sicherheit haben, etwas, das sie als Verhandlungsmasse anbieten können. Kunst und Verbrechen gehen für mich gut zusammen.

Ihre Filme wurden dafür gelobt, dass sie Frauen zeigen, die sich am Ende gegen widrige Umstände durchsetzen oder dass es für sie am Ende zumindest Hoffnung gibt...

Das habe ich nie so positiv empfunden, wie es bei Ihnen jetzt klingt. Ich denke, das bleibt eher dem Zuschauer überlassen, ob er am Ende das Positive akzentuiert. Ich bin von Natur aus nicht unbedingt eine optimistische Person, aber man braucht schon einen gewissen Optimismus, sonst wird man am Ende vollkommen zynisch.

In »First Cow« ist das traurige Ende der Geschichte ja schon aus dem in der Gegenwart angesiedelten Anfang zu erkennen. Kann man sagen, dass es eine Interessenerweiterung Ihrerseits gibt, nach den mehr oder weniger selbstbewussten Frauen nun auch Männer in das Zentrum Ihrer Erzählungen zu stellen – Männer, die man als schwach, zerbrechlich oder auch inkompetent beschreiben könnte?

Jeder Mensch hat seine Fehler, seine Begehren, gute und schlechte Eigenschaften. Das Heldenhafte sehe ich bei keinem, einige haben mehr Privilegien als andere und können sich deshalb breiter machen in der Welt. Auch die Frauen in »Showing Up« sind alles andere als perfekt, es sind positive Porträts, für mich sind sie menschliche, nachvollziehbare Charaktere, sie haben ihre Launen, ihre Paranoia, sind großzügig im Umgang mit anderen, zeigen aber auch Konkurrenzverhalten. Die Figur von J.B. Mooney kann ich mir nicht als Frau vorstellen, dafür ist er zu sehr einem Denken verhaftet, das von seiner Herkunft als weißer Mann aus der Mittelklasse geprägt ist, der denkt, dass sich seine Probleme lösen lassen, einfach, weil seine Eltern über die Positionen verfügen, dass sie ihm helfen können, wenn er in Schwierigkeiten gerät – Menschen, die die Scherben aufkehren, die er hinterlässt. Er geht davon aus, dass alles wieder in Ordnung kommt – was bei Wendy in »Wendy & Lucy« nicht der Fall ist.

Eine Frage zur Filmtechnik: In dem kleinen Buch, das die Viennale über Sie veröffentlicht hat, sprechen Sie davon, dass Sie einen Film digital begannen, mit den Aufnahmen aber unzufrieden waren und dann mit 16mm von vorne anfingen. Drehen Sie heute noch in 16mm?

Das war »Certain Women«, der Grund dafür war, dass wir im Schnee drehten und das Weiß alles überlagerte. Inzwischen hat sich die digitale Technik weiterentwickelt und mein Kameramann Christopher Blauvelt und sein Team haben sich mit ihr vertraut gemacht – in 16mm zu drehen, ist einfach auch zu kostspielig geworden. Bei »Certain Women« war das ein spezielles Problem. Als wir dann zu 16mm gewechselt hatten, schneite es allerdings nie wieder! (lacht)

Unterrichten Sie eigentlich noch?

Ja.

Machen sich die Eingriffe und Zensurmaßnahmen der Trump-Administration auch an Ihrer Lehranstalt bemerkbar?

Wir sind zu klein und nicht so sehr von öffentlichen Geldern abhängig, aber wir spüren schon, dass sich der Wind im Land dreht.

Haben Sie mit Kollegen gesprochen, die an größeren Unis mit entsprechend größerem Druck tätig sind?

Ich sprach mit einer Kollegin, die – wie auch ihr Mann – an der Columbia University unterrichtete. Beide sind jetzt nach Australien zurückgegangen. Ich selber bin immer noch in Portland, wohin der Präsident jetzt die Nationalgarde entsandt hat, um unsere, wie er sagt, »vom Krieg gezeichnete« Stadt zu retten. (lacht)

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