Interview: Paul Thomas Anderson über »One Battle After Another«

Paul Thomas Anderson am Set von »One Battle After Another« (2025). © Warner Bros. Pictures

Paul Thomas Anderson am Set von »One Battle After Another« (2025). © Warner Bros. Pictures

Kommendes Jahr ist es 30 Jahre her, dass Paul Thomas Anderson mit »Last Exit Reno« seinen ersten Film in die Kinos brachte. Seither war er als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent von Filmen wie »Boogie Nights«, »Magnolia«, »There Will Be Blood«, »Inherent Vice – Natürliche Mängel«, »Der seidene Faden« oder »Licorice Pizza« elf Mal für den Oscar nominiert. Gewonnen hat Anderson, der mit der Schauspielerin Maya Rudolph verheiratet und Vater von vier Kindern ist, nie, doch das könnte sich in einigen Monaten ändern. Denn sein neuer Film »One Battle After Another« (ab 25. September im Kino) wird bereits als Meisterwerk gefeiert

Mr. Anderson, gleich in der ersten Szene von »One Battle After Another« befreien linke Aktivist*innen die Insassen einer Abschiebehaftanstalt, später geht es auch um einen Geheimclub rechtsextremer Strippenzieher. Ist Ihr neuer Film auch Ihr politischster?

Ach, ich weiß nicht. Auch »Inherent Vice« war in seinen Themen schon ziemlich politisch. Überhaupt würde ich sagen: »One Battle After Another« handelt so sehr von Politik wie »Boogie Nights« damals von Pornos handelte. Sie ist also eher der Hintergrund, vor dem ich die Geschichte dieser Menschen erzähle. Letztlich könnte sie überall und zu jeder anderen Zeit spielen. Wirklich von aktueller Tagespolitik zu erzählen, würde mich nicht besonders interessieren. Das finde ich im Kino immer eher langweilig.

Spannend, dass Sie die Zeitlosigkeit und Universalität der Geschichte betonen, wenn gleichzeitig gerade alle darüber sprechen, wie sehr Ihr Film den Finger am Puls unserer Zeit hat…

Sicherlich kann ich mich nicht frei machen von der Welt, die mich umgibt. Aber für die Zuschauerinnen und Zuschauer ist die Realität viel präsenter als für mich beim Schreiben. Oberste Priorität haben für mich andere Dinge: die Figuren und wie sie miteinander umgehen, warum sie sich lieben oder hassen, all die Besonderheiten ihres menschlichen Daseins. Denn das sind die Dinge, die jeder verstehen kann und die unabhängig vom Kontext, in dem der Film gesehen wird, funktionieren. Ich muss da oft an »Reds« denken, einen Film von und mit Warren Beatty, den ich wirklich sehr mag. Aber immer, wenn es da um die Russische Revolution geht, kann ich schnell nicht mehr folgen. Da schaltet mein Hirn irgendwann ab, das habe ich Warren auch so gesagt. Alles andere, wenn er Diane Keaton sucht und schließlich findet, berührt mich dagegen zutiefst. Entsprechend nehme ich mir bei meinen eigenen Filmen immer vor, auf alles zu verzichten, was zu kompliziert wird und vom Wesentlichen ablenken könnte. 

Womit nahm die Geschichte von »One Battle After Another« überhaupt ihren Anfang?

Wahrscheinlich könnte man sagen, dass ihre Wurzeln bereits rund 25 Jahre zurückreichen. Damals brachte ich erste Ideen zu Papier für einen lange gehegten Traum, nämlich einmal eine Verfolgungsjagd per Auto durch die Wüste zu drehen. Das ist ja quasi ein wunderbares, eigenes Genre, wenn ich an Filme wie »Fluchtpunkt San Francisco«, die »Mad Max«-Filme oder Spielbergs »Sugarland Express« denke. Durch meine Begeisterung für die Arbeit von Thomas Pynchon mischte sich das Ganze schließlich mit einer freien Adaption seines Romans »Vineland« und einer Geschichte über einen in die Jahre gekommenen Revolutionär, der mit seiner Tochter auf die Flucht gehen muss, als ihn die Gewalt der Vergangenheit wieder einholt.

Neben Auto-Action und Politik geht es in »One Battle After Another« im Kern tatsächlich um eine Vater-Tochter-Beziehung. Waren also auch Ihre eigenen Erfahrungen als Familienvater ein Motivator?

Ich glaube, die Tatsache, dass man Kinder hat, spielt immer in alles mit hinein. Da gibt es kein Entkommen. Aber in der Tat stecken in dieser Geschichte mehr denn je all meine Erfahrungen und Emotionen als Vater. Denn man muss nicht wie Leonardo DiCaprio im Film bekifft und im Bademantel auf dem Sofa sitzen, um das Gefühl zu haben, dass einem als Eltern alles entgleitet und man als Erziehungsberechtigter vollkommen versagt. Eigentlich möchte man erreichen, dass die Kinder irgendwann selbstständig und unabhängig sind, aber dann schafft man es doch kaum, sie aus der Tür gehen zu lassen. Und wie in jeder anderen Generation auch gucken unsere Kinder auf uns und sind einigermaßen irritiert von unserem Verhalten.

Gespielt wird der Vater wie erwähnt von Leonardo DiCaprio, mit dem Sie bereits bei »Boogie Nights« zusammenarbeiten wollten. Was machte ihn hier zum idealen Hauptdarsteller?

Das ist natürlich eine Fangfrage, denn für welchen Film ist Leonardo DiCaprio nicht der ideale Hauptdarsteller? Es begeistert mich sehr, wie er vor unseren Augen älter und zu einem unserer größten und besten Filmstars wurde. Ich hatte ihn für diese Geschichte recht früh im Kopf, einfach weil wir schon so lange darüber sprachen, endlich einmal zusammenzuarbeiten und wir ja nun einmal nicht jünger werden. Diese Rolle war der perfekte Anlass, unsere Kollaboration endlich zu beginnen, denn Leo spielt Typen, die verloren, ratlos und wütend sind, wie kaum jemand sonst. Überhaupt sucht seine emotionale Bandbreite seinesgleichen. Durch die Gegend stolpern und dabei eine komische Figur abgeben, das ist eine Sache. Aber eben auch in den ruhigen Momenten zu berühren und die Beziehung zu seiner Filmtochter mit so viel Herz und Seele zu erfüllen, das ist eine ganz andere Nummer. 

Ähnlich wichtig wie ein großartiges Ensemble ist für Ihre Filme auch immer die Filmmusik von Jonny Greenwood von der Band Radiohead, mit dem Sie seit »There Will Be Blood« bei fast jedem Projekt zusammenarbeiten. Wie früh binden Sie ihn in die Entwicklung Ihrer Geschichten ein?

Inzwischen ist er eigentlich von Anfang an fester Bestandteil eines Projekts. Erste Ideen zu »One Battle After Another« teilte ich zum Beispiel schon vor acht oder neun Jahren mit ihm. Schon da fing er an, Musik für diese Geschichte zu komponieren, die dann wiederum mein Schreiben beeinflusste. Während des Drehens schicke ich ihm jeden Abend unsere neuen Aufnahmen und er schreibt dann passend dazu Passagen, so dass wir immer direkt Bild und Musik gemeinsam im Blick haben. Im Schnitt geht das später weiter so: immer, wenn ich 15 Minuten oder so fertig habe, leite ich die an ihn weiter und er überarbeitet seine Kompositionen entsprechend. Wahrscheinlich könnte man sagen, dass es für mich in der Arbeit an einem Film niemanden gibt, mit dem ich länger und enger zusammenarbeite.

Um abschließend nochmal auf Ihren ursprünglichen Traum von den Autos in der Wüste zurückzukommen: wie war es denn, diese und andere Actionszenen des Films zu drehen? Denn das ist ja nichts, womit Sie sonderlich viel Erfahrung haben.

Keine Frage, das war eine Herausforderung. Nicht zuletzt natürlich der Dreh in der Wüste, denn die Hitze war enorm, und so viel Staub und Sand im Umfeld von Kameras kann auch kniffelig sein. Aber ich fand das auch ziemlich aufregend und kann gut verstehen, warum so viele Regisseure so gerne Western gedreht haben. Wobei ich sehr froh war, erstklassige Leute wie meinen inzwischen leider verstorbenen Regieassistenten Adam Somner oder unseren Stunt-Coordinator Brian Machleit um mich zu haben. Denn tatsächlich war ich einigermaßen unbefleckt was die Arbeit mit schnell fahrenden Autos angeht, die zum Teil sogar ineinander krachen. So gefährlich ging es noch an keinem meiner Sets zu. Aber was die Verfolgungsjagd angeht, die im Finale des Films eine entscheidende Rolle spielt, war ich verblüfft, wie unbefriedigend sich der Dreh teilweise anfühlte. Anders als in der Arbeit mit Schauspielern weiß man bei den Autoszenen abends oft gar nicht, was man geschafft hat. Denn die Wucht, die filmische Magie dieser Aufnahmen ist nicht auf Anhieb sichtbar, sondern entfaltet sich erst in der Montage.

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