10 für die Couch

Arthouse für die Osterfeiertage
»A Rainy Day in New York« (2019). © NFP/Filmwelt

»A Rainy Day in New York« (2019). © NFP/Filmwelt

Ab ins Heimkino. Anke Sterneborg empfiehlt zehn Arthouse-Filme der letzten Wochen, die Sie gesehen haben sollten

© MFA+ Filmdistribution

»Sunset« von László Nemes 

Irisz Leiter ist eine selbstbewusste Frau lang vor emanzipierten Zeiten. Man folgt dieser jungen Frau, mit den ernsten Zügen und dem wachsam durchdringenden Blick, wie sie sich einen Weg bahnt durchs wuselnde Leben auf den Straßen, in den Salons und Kaschemmen, wie sie sich einen Reim zu machen versucht, auf die Widersprüche des Lebens im Budapest der Belle Époque, auf die Kluft zwischen dem Luxus der Reichen und Mächtigen, mit ausladenden Hüten und raschelnden Gewändern und der Brutalität und dem Dreck auf den Straßen. Die Kamera von Mátyás Erdély nimmt diesen Sog auf, diese eigentümliche Mischung aus zäher Entschlossenheit und jugendlicher Neugier, die Juli Jakab wie eine ungarische Version von Kristen Stewart anmuten lässt. Im raffinierten Spiel mit Verhüllung und Enthüllung, Fantasie und Realität entwickelt Sunset eine ganz eigene, seltsame Magie.

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© NFP/Filmwelt

»A Rainy Day in New York« von Woody Allen

Schamlose Nostalgie liegt über den Szenerien, feine Regenschleier über dem Central-Park, warmes Licht und perlende Piano-Klänge in Hotelbars. Noch nie hat Woody Allen seine Vorlieben und Neurosen auf so junge Helden projiziert wie hier, Timothy Chalamet als neurotisch orientierungsloses Alter Ego des Regisseurs mit Faible für Fitzgerald und Irving Berlin. Und Elle Fanning als naiv ambitionierte Uni-Reporterin, die vom Interview mit dem renommierten Regisseur (Liev Schreiber) durch Screeningräume, Studiobauten und Promi-Parties, vom alternden Drehbuchautor (Jude Law) zum jungen Star (Diego Luna) stolpert, während alle mit Wahrheiten und Lügen, mit Identiäten und Krisen jonglieren. Im Werk von Woody Allen ist das nur ein nichtig charmantes Geplänkel, doch der Retro-Blick auf dieses filmisch flirrende New York stimmt wehmütig, während in der echten Metropole die Straßen, Parks und Plätze corona-bedingt leergefegt und erstarrt sind.

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© Alamode Film
 

»The Kindness of Strangers« von Lone Scherfig

Ein wenig Hoffnung zu verbreiten in harten Zeiten, das sei ihr ein Bedürfnis gewesen, sagt die dänische Regisseurin Lone Scherfig, die sich seit ihren ersten skandinavischen Erfolgen immer weiter in die Welt hinausbewegt hat. Nun kann man sich mit ihr in ein märchenhaftes New York hineinträumen. Eine junge Frau (Zoé Kazan) flüchtet mit ihren beiden kleinen Kindern vor einem gewalttätigen Mann in der Provinz, landet mittellos in der Metropole, wo sie von einem Netzwerk hilfreicher Menschen (Andrea Riseborough, Bill Nighy, David Dencik und Tahar Rahim) aufgefangen wird. Mit schwereloser Eleganz verwebt Scherfig viele Lebensgeschichten zur zauberhaften Solidargemeinschaft, und spiegelt aller Magie zum Trotz auch den realen Zustand der Welt. Wären nur alle ein wenig netter zueinander, schon wäre die Welt ein besserer Ort. 

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© MFA+

»Pferde Stehlen« von Hans Petter Moland 

Nach dem Tod seiner Frau hat sich Trond (Stellan Skarsgård) in die Einsamkeit der Orte seiner Kindheit zurückgezogen, wo er von düsteren Geheimnissen der Vergangenheit eingeholt wird. Nur langsam klärt sich die Erinnerung, denn vieles was er als 15jähriger Junge erlebt hat, kann er erst jetzt im Alter richtig deuten, kleine Hinweise auf die familiäre Tragödie, in der zwei Familien verstrickt sind. Dabei werden die Geräusche der Natur im Wandel der Jahreszeiten zum suggestiven Sounddesign, das Plätschern eines Flusses, das Poltern frisch gefällter Baumstämme, die mächtigen Schwingen eines Raubvogels, ein Regentropfen auf der nackten Haut eines Frauenbeins, das Knirschen des Schnees unter schweren Schritten, das Schärfen einer Sichel. Anders als sonst mildert Hans Petter Moland die düstere Schicksalshaftigkeit der Ereignisse in seiner Per Petterson-Bestseller-Verfilmung nicht durch rabenschwarze Komik ab. 

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© Piffl Medien

»Bis dann, mein Sohn« von Xiaoshuai Wang 

Auch die Puzzleteile einer Familienchronik, die zugleich ein Historienpanorama ist, setzen sich nur langsam zusammen. Ausgehend vom Tod eines kleinen Jungen und den Schuldgefühlen seines Cousins Haohao spürt der Film über mehrere Jahrzehnte hinweg den Erschütterungen nach, die sich durch ein Geflecht von Freundschafts- und Familienbeziehungen ausbreiten, wie die Ringe, die sich im Wasser bilden, wenn man einen Stein hineinwirft. Statt einer linearen Chronologie zu folgen springt der Film im Zickzackkurs durch die Zeiten und zwischen den Orten hin- und her, von der großen Industriestadt im Norden, aus der die Eltern des verunglückten Kindes flüchten, in die kleine Hafenstadt im Südosten, wo sie Zuflucht suchen. Es lohnt sich, den fein ausgelegten Spuren zu folgen, immer mehr Zusammenhänge herzustellen, bis man am Ende wie ein Detektiv die verschiedenen Teile zum großen Bild zusammenzufügen kann.

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© GMfilms
 

»Heimat ist ein Raum aus Zeit« von Thomas Heise

Zu sehen sind Züge und Bahnhöfe, winterlich karge Wälder und Felder mit stoppeligen Gräsern, Brachlandschaften und Abbruchhäuser, Berge von Ästen und Baumstämmen, Schutt und Sand, allesamt in schwarzweiß. Zu hören sind Briefe, Tagebucheinträge und Schulaufsätze, Zeugnisse einer Familienchronik über ein Jahrhundert hinweg, meistens nüchtern, bisweilen brüchig verlesen vom Regisseur des Films. Als letzter Überlebender breitet er auf 3 1/2 Stunden die Chronik seiner Familie aus, in der sich deutsche Historie spiegelt, von den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts, über zwei Weltkriege und die deutsche Teilung zur Wiedervereinigung. Im Verzicht auf Kommentare, Erklärungen und Einordnungen öffnet sich ein suggestiver Raum, zum Beispiel zwischen der langen Liste der Deportierten und den Briefen, die die jüdische Großmutter aus Wien an ihre deutsche Familie schickt.

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© Alamode Film

»Porträt einer jungen Frau in Flammen« von Celine Sciamma

Im Jahr 1770 soll die Pariser Malerin Marianne (Noémie Marchant) auf einer einsamen, bretonischen Insel das Portrait einer jungen Frau anfertigen, für den Mann, mit dem sie in Madrid verheiratet werden soll. Weil Héloise (Adèle Haenel) das Unterfangen sabotiert, soll Marianne auf ausgedehnten Spaziergängen durch die wildromantische Küstenlandschaft heimlich Eindrücke sammeln, um sie später aus dem Gedächtnis auf Leinwand zu bannen. Aus der Intensität der Blicke entstehen innige Freundschaft und leidenschaftliche Liebe auf Augenhöhe, nicht vergiftet von Jahrhunderten geschlechtlicher und intellektueller Dominierung. Es sind kostbare Gefühle und intime Momente, die den Restriktionen des 18.Jahrhunderts abgetrotzt werden. Mit den Grenzen und Möglichkeiten weiblicher Selbstverwirklichung damals, thematisiert Sciamma en passant auch die heutigen.

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© Farbfilm Verleih

»Idioten der Familie« von Michael Klier

Ohne Vorwarnung wird man als Zuschauer in einen Berliner Stadtrandgarten und in die komplexe Dynamik unter drei Brüdern und zwei Schwestern versetzt, die zum letzten Mal im Elternhaus zusammenkommen. Aus mal verhaltenen, mal ruppigen Reaktionen erschließen sich die Teile einer Familiengeschichte, mit allen Rückständen vergangener Verletzungen und verdrängter Wahrheiten. Ginnie (Lilith Stangenberg) ist das geistig behinderte Nesthäkchen der Familie, viele Jahre wurde sie von ihrer älteren Schwester Heli (Jördis Triebel) versorgt, die jetzt mit einem Mann ein neues Leben beginnen will, weshalb sie fortan in einem Heim leben soll. Mit dokumentarischer Sensibilität spürt Michael Klier dieser komplizierten Familiengeschichte nach, und verschmilzt universelle Gesellschaftsanalyse mit autobiografisch gefärbter Intimität.

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© Universal Pictures

»Yesterday« von Danny Boyle

Nach einem kurzen, globalen Stromausfall ist der erfolglose, Brit-Pakistani Singer Songwriter Jack Malik (Himesh Patel) der einzige Mensch auf Erden, der die Songs der Beatles kennt. Beim Googeln stellt Jack konsterniert fest, dass Beatles in diesem Parallel-Universum nur noch Käfer sind und die Namen John und Paul ausschließlich für Päpste stehen. Als Jack beim Grillfest »Yesterday« trällert, horchen alle auf. Bald steht ein ehrfurchtsvoller Ed Sheeran vor der Tür und ein Produzent meint frech, »Hey Dude«, klänge doch viel besser als »Hey Jude«. Dass Drehbuchautor Richard Curtis (»Notting Hill«, »Bridget Jones«) die Motive einer eher uninspirierten Romcom in die hyperdynamische Welt des Regisseurs Danny Boyle einarbeitet, kostet dem irrwitzigen Was-wäre-wenn-Gedankenspiel zwar ein wenig Witz und Schärfe, ein kleines Manko, mit dem die die durch die detailverliebte Leidenschaft für die Musik allemal versöhnt.

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© Pandora Film Verleih

»Gelobt sei Gott« von François Ozon

Während es in den Filmen von François Ozon sonst meistens um starke, schöne und geheimnisvolle Frauen ging, kreist sein jüngstes Werk um verletzliche Männer. Ob er denn damals bei den Pfadfinderreisen auch vom Pastor befummelt worden sei? Diese Frage eines früheren Schulkameraden wirft den rund vierzigjährigen Alexandre (Melvil Poupaud), der mit Frau und fünf Kindern in Lyon lebt, aus der Bahn. Lang verschüttete Erinnerungen an die Kindheitserlebnisse in der Kirchenjugend drängen in seinen gerade noch so gut sortierten Alltag. Briefe und Emails, Begegnungen in nüchternen Räumen: Ganz geduldig und gründlich breitet Ozon gesammelte Informationen aus, die zwischen Opferscham und Täterschuld einen immer größeren Sog entwickeln. Die Tücke liegt im Detail, zum Beispiel wenn der Kardinal bei einer Pressekonferenz allen Ernstes davon spricht, dass die Taten ja »Gott sei Dank« verjährt seien.

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