Interview: Céline Sciamma über ihren Film »Porträt einer jungen Frau in Flammen«

Céline Sciamma am Set von »Girlhood« (2014). Foto: Strand Releasing

Céline Sciamma am Set von »Girlhood« (2014). Foto: Strand Releasing

Madame Sciamma, Ihre vierte Regiearbeit ist die erste, die nicht in der Gegenwart angesiedelt ist. Welche besonderen Herausforderungen waren damit verbunden? 

Prinzipiell war meine Herangehensweise nicht anders als bei meinen früheren Filmen. Der Unterschied ist allerdings der, dass ich hier viel recherchieren musste. Ich musste mich entscheiden, was im Bild zu sehen war und inwieweit ich ein Porträt dieser Welt liefern wollte. 

Der Film erzählt nicht nur eine Geschichte aus der Vergangenheit, sondern hat auch aktuelle Parallelen. Verschafft Ihnen das mehr Freiheiten in der Darstellung dieser Zeit? Wie exakt wollten Sie in der Rekonstruktion einer vergangenen Epoche sein? 

Ich wollte nicht, dass der Film anachronistisch wirkt. Die Vergangenheit sollte akkurat sein und es sollte nicht aus einer allwissenden Perspektive der Gegenwart erzählt werden. Aber ich denke, dass Frauen bestimmte Erfahrungen teilen können, dass die Intimität meiner Figuren sich auch auf die Zuschauerin von heute überträgt.

Ist in der Intimität zwischen Ihren Figuren ein utopisches Element enthalten? Hätten in der damaligen Wirklichkeit nicht Klassenschranken diese verhindert? Und gilt das auch für das freundschaftliche Verhältnis der beiden Protagonistinnen zu der Dienstmagd?

Ich denke, alles, was ich zeige, hätte sich damals ereignen können. Auch Ideen haben einen Wahrheitsgehalt! Aber in der Tat enthält der Film ein utopisches Element, denn das damalige Patriarchat taucht im Bild nicht auf. Utopien befördern immer die Geschichten. Ich lebe in dieser Welt, aber ich kann mir auch, für ein oder zwei Stunden, eine Welt ohne Männer vorstellen.  

War Ihr Ausgangspunkt für diesen Film die Liebesgeschichte zweier Frauen zu einer anderen Zeit und verbanden Sie das dann mit dem Verhältnis von Malerin und Modell – oder war es die Idee einer Malerin in einem männlich dominierten Gewerbe?

Am Anfang stand schon die Idee einer Liebesgeschichte zweier Frauen, die zugleich ein künstlerischer Dialog war. Dann kam die Idee von Malerin und Modell hinzu und erst am Ende das Setting in einer vergangenen Epoche. Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts habe ich mich deshalb entschieden, weil damals malende Frauen einen Aufschwung erlebten, es gab Hunderte von ihnen. Dass das heute so wenig bekannt ist, unterstrich für mich die Notwendigkeit, diese Geschichte zu erzählen.

In all Ihren Filmen ist das Erwachsenwerden ein zentraler Aspekt. Steht dahinter so etwas wie ein Masterplan: das ist mein Thema und ich möchte es in verschiedenen Kontexten erforschen? Oder hatten Sie immer eine spezielle Geschichte vor Augen, bei der es am Ende dann um das coming-of-age ging?

Ich hatte nie die Idee, eine Coming-of-Age-Trilogie zu drehen (lacht), aber da ich schon sehr früh mit dem Kino in Berührung kam, fühlte ich mich den Themen von Kindheit und Jugend nahe. In diesem Film geht es nicht darum, obwohl man sagen könnte, dass die Entscheidung, die Hèloise am Ende trifft, mit Emanzipation und Erwachsenwerden zu tun hat. Die Figuren entdecken ihr Begehren in Bezug aufeinander, in den früheren Filmen ging es vorrangig um die eigene Person.

Ihr Film wurde beim Festival von Cannes mit einem Drehbuchpreis ausgezeichnet, obwohl mir ein Regiepreis angemessener erschienen wäre. Der Film hat meist etwas Ruhiges, fast Statisches: geht auf den Akt des Porträtmalens zurück? Es gibt ja auch durchaus Filme über vergangene Epochen, die die Gegenwart sehr eindeutig hereinbringen, etwa Sophia Coppolas »Marie Antoinette«? 

Es erwuchs daraus, dass jemand für eine andere Person Modell sitzt. Von daher wusste ich auch, dass die Szenen in Schuss und Gegenschuss aufgelöst werden sollten – etwas, was ich zuvor noch nicht gemacht hatte. In den Szenen, die außerhalb dieser Sitzungen spielen, ist die Kamera ja durchaus in Bewegung, da habe ich viel mit Dolly Shots gearbeitet.

Mit Adèle Haenel haben Sie bereits 2007 bei Ihrem Debütfilm »Water Lilies« zusammengearbeitet, mit Noémie Merlant dagegen hier zum ersten Mal. Kann das zum Problem für eine Darstellerin werden, wenn Sie weiß, zwischen ihrem Gegenüber und der Regisseurin besteht bereits eine Vertrautheit? Könnte sie sich dadurch eingeschüchtert fühlen?

Noémie wusste, dass sie es mit einem Team zu tun hat, das miteinander vertraut ist, wir haben ja auch beide den Film mitproduziert. Das kam dem Film aber auch zugute, denn sie hat mich ähnlich angesehen, wie Marianne Hèloise angesehen hat. Das war durchaus kreativ. Man kann natürlich lange darüber debattieren, ob das Begehren stärker ist, wenn man nichts von dem Gegenüber weiß.

Der Film hätte auch einen Preis für die Darstellerinnen bekommen können. Mich würde da Ihre Arbeitsweise interessieren, zumal ich von deutschen Regisseuren in den letzten Monaten wiederholt hören musste, dass sie aus finanziellen Gründen vor Drehbeginn kaum Zeit mit den Darstellern hatten. Hatten Sie ausreichend Zeit für Proben?

Nein, aber das war eine bewusste Entscheidung. Ich hätte diese Zeit bekommen können, ich hatte sie gelegentlich bei meinen früheren Filmen, aber hier wollte ich, dass sich die Darsteller erst zu Drehbeginn trafen und sich dann die Dynamik zwischen ihren Figuren entfaltet. 

Wenn Sie gar nicht vorab probten, bedeutet das, die Schauspielerinnen haben es gleich richtig hinbekommen – oder aber mussten Sie gelegentlich viele Takes drehen?

Ich drehe maximal 4-5 Takes, das betrifft besonders Szenen mit langen Dialogen, wo man dann im Schneideraum noch etwas zusammenfügen kann. 

Sie haben auch drei Filme für andere Regisseure geschrieben. Waren das sehr unterschiedliche Arbeiten, oder wurden Sie immer angesprochen, weil Sie als Spezialistin für coming-of-age gelten?

Die Arbeit für André Téchiné hat sich durch »Tomboy« ergeben. Der Arbeitsprozess allerdings war jedes Mal anders. Mit Téchiné habe ich an einem Tisch gesessen, den Animationsfilm »Mein Leben als Zucchini« praktisch alleine geschrieben, und bei Bettina Oberlis »Le vent tourne« war es mehr eine Beratung.

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