Kritik zu Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes

© Weltkino

2025
Original-Titel: 
Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes
Filmstart in Deutschland: 
18.09.2025
Sch: 
L: 
103 Min
FSK: 
6

Eine mehrtägige Porträtsitzung, die Gottfried Wilhelm Leibniz zunächst ­widerwillig über sich ergehen lässt, wird in dem Kammerspiel von Edgar Reitz und Anatol ­Schuster zu einem vergnüglichen Kolloquium über Fragen der Kunst und Philosophie

Bewertung: 5
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Hannover im Jahr 1704: »Ich heiße nicht Vermeer, sondern Van De Meer«, so stellt sich die als Mann verkleidete junge flämische Malerin (Aenne Schwarz) im Schloss Herrenhausen der Kurfürstin Sophie von Hannover (Barbara Sukowa) vor. In deren Auftrag und auf Wunsch ihrer Tochter Königin Sophie Charlotte von Preußen (Antonia Bill) soll die Künstlerin den berühmten und hochgeehrten Universalgelehrten und Hofrat Gottfried Wilhelm Leibniz (Edgar Selge) porträtieren. Die gebildete Sophie Charlotte leidet unter der Abwesenheit ihres geistigen Ziehvaters. Dessen Abbild soll ihr über die intellektuelle Einöde des Berliner Hofes hinweghelfen.

In einem ersten Anlauf war dieses Projekt schon einmal gescheitert. Der Haus- und Hofmaler Pierre-Albert Delalandre (Lars Eidinger) war mit weitgehend vorgefertigten Gemälden angereist, um diesen vor Ort nur noch das Gesicht einzufügen. Nach Disputen, in denen der damit unzufriedene Philosoph den Maler mit feinsinnigen Gedankenspielen über das Verhältnis von Abbild und Abgebildetem verwirrt, ergreift Delalandre samt seinen Utensilien entnervt die Flucht. Der 92-jährige Edgar Reitz und sein Co-Regisseur Anatol Schuster inszenieren gerade diesen ersten Teil ihres Films als einen munteren Schlagabtausch, wobei sich der Kampf stärker noch als im Verbalen in der Mimik der beiden Schauspielgrößen abspielt.

Zehn Jahre und viele Drehbuchfassungen lang hatten sich Reitz und der Schriftsteller Gert Heidenreich mit dem Leibniz-Plan befasst. Das Biopic hätte, so Reitz, am Ende ein nicht finanzierbares Volumen von 25 Millionen Euro angenommen. Stattdessen entschloss man sich für ein radikal neues Konzept. »Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes« ist ein minimalistisches Werk, das sich auf das als Atelier genutzte Arbeitszimmer des Philosophen beschränkt und nur hin und wieder den barocken Park des Schlosses einbezieht.

Von den sechs Hauptfiguren sind der Maler Dalalandre, die Malerin Aaltje van De Meer und Leibniz' Assistent Liebfried Cantor (Michael Kranz) von den Drehbuchautoren erfunden, um die vielfältigen Interessen des Gelehrten in immer neuen Konstellationen anzudeuten. Daneben rücken die Dialoge über Gott, die Welt und die Wahrheit in der Kunst in den Vordergrund. Die selbstbewusste Malerin setzt Leibniz' wortreichem Ringen mit dem Problem der Letztbegründung entgegen: »Der Grund der Kunst ist die Kunst selbst« – und verschlägt damit dem Hofrat erstmals die Sprache.

Vor allem aber ist Reitz' Leibniz-Kammerspiel ein Film der Bilder. Reitz verweist in einem Gespräch auf den Barockmaler Caravaggio, »der im Grunde das Filmlicht erfunden hat« (Presseheft). Mehr noch erinnern die sepiafarbenen Aufnahmen mit ihren subtil gesetzten Lichteffekten an die Chiaroscuro-Malerei des Jan Vermeer.

Reitz hofft, dass sich das Publikum »mit der Glückseligkeit anstecken lasse«, die Königin Sophie Charlotte im Umgang mit Leibniz empfindet, »und dass der Kinobesuch so etwas wird wie die Entdeckung des erotischen Denkvergnügens«. Dafür verlangt diese cineastisch-philosophische Lektion ihrem Publikum einiges an Aufmerksamkeit ab.

Meinung zum Thema

Kommentare

Selge und Eidinger. Köstlich. Mal schauen, ob sie eine neue Tür aufbekommen haben.

Ein lohnendes Kinoereignis, danke für diesen Film mit tollen Darstellern und guter Kameraführung, köstliche Dispute, leider kann ich sie nicht in meinem alten Hirn speichern, aber die Gesichter mit ihrer Mimik, einfach herrlich! Danke euch!

Ein großes Seh- und Denkvergnügen.

Die Altmeister Reitz und Heidenreich haben über 10 Jahre erbrütet, wie man die Genialität und Vielfältigkeit dieses einmaligen Philosophen und Universalgenies in einen 100 minütigen lebendigen Film kondensieren könnte. Das Ergebnis hätte nicht besser sein können, es hat alles gestimmt: Die minimalistische Kammerspiel-Inszenierung hat auf die wesentlichen philosophischen Dialoge fokussiert, aber auch die humorvollen Passagen haben gepasst. Die 6 Hauptdarsteller sind eine Paradebesetzung! auch wenn ein Edgar Selge - dank Hauptrolle - überragend ist. Aber alle Schauspieler können nur dann glänzen, wenn ihnen das Drehbuch Raum für ihre Darstellungskünste bieten. Und da haben die Drehbuchautoren ein meisterliches Forum geschaffen!
Diesen Film kann man mehrfach anschauen!
RS

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt