Kritik zu Children of Men

englisch © Universal Pictures

Clive Owen in einer Endzeitvision von Alfonso Cuarón

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In einer kinderlosen Welt beschützt Theo, der Held des Films, die einzige schwangere Frau. Auf der Flucht vor Terroristen verschlägt es die beiden irgendwann in die Ruine eines Kindergartens. Ein verdächtiges Geräusch lässt Theo zusammenzucken – doch nur ein harmloses Reh zieht durch verlassene Gänge. In diesem surrealen Bild bringt »Harry Potter«-Regisseur Alfonso Cuarón die Idee seiner düsteren Anti-Utopie präzise auf den Punkt: Weil seit 18 Jahren weltweit kein Kind mehr geboren wurde, sind Kindergärten zu einem Anachronismus geworden. Doch die Natur in Gestalt des Rehs erobert sich Terrain zurück ...

Der visuelle Einfallsreichtum und das Produktionsdesign zählen zu den Stärken dieses postapokalyptischen Science-Fiction-Abenteuers, das wie eine Mischung aus Blade Runner und Die Klapperschlange anmutet. Die Beiläufigkeit des Erzählens zieht den Zuschauer schlagartig in den Bann. Theo, ein desillusionierter Trinker, der von Clive Owen mit sehenswertem Understatement gespielt wird, verlässt zu Beginn einen Coffeeshop, der Sekunden später durch einen Sprengstoffanschlag verwüstet wird. Von schreienden Verletzten und verstümmelten Leichen ungerührt, geht Theo weiter zur Arbeit. England im Jahr 2027, so erfahren wir blitzlichtartig, ist ein faschistoider Polizeistaat. Terror und Chaos bestimmen den Alltag. Paramilitärische Einheiten beschützen die dekadenten Wohlhabenden, die sich, wie Theos Cousin, mit erlesenen Kunstschätzen umgeben.

Doch kaum verlässt Theo die Metropole, wird die vergitterte S-Bahn von marodierenden Bürgern mit Steinen beworfen. Hungernde und Besitzlose drängen sich massenhaft an die Stacheldrahtzäune. Der ungeschminkte dokumentarische Realismus, mit dem der Film diese bewusst auf den Holocaust anspielende Vision erzeugt, geht zunächst unter die Haut. Theo besucht seinen Freund Jasper, der, zurückgezogen in einem Wäldchen, ein gut getarntes Kiffer-Biotop bewohnt. Michael Caines witziger Auftritt als benebelter Post-Hippie im John-Lennon-Look zählt zu den Glanzpunkten des Films.

Nicht überzeugend ist dagegen die Story, denn warum keine Kinder mehr geboren werden, bleibt rätselhaft. Theo, dem das alles zunächst egal ist, beschafft dank seiner Beziehungen Transitpapiere für eine gewisse Kee, eine junge Farbige, die außer Landes gebracht werden soll. Kee lebt bei einer Widerstandsgruppe, über die man gerne mehr erfahren hätte, als dass sie ihr Quartier in einer rustikalen Landkommune aufgeschlagen hat. Als Theo erfährt, dass Kee im achten Monat schwanger und er der einzige ist, dem sie vertraut, hat er plötzlich eine Mission.

Am Ende bringt Kee ihr Kind zur Welt in einem Ghetto, das an Polanskis »Der Pianist« erinnert. Warum aber die globale Unfruchtbarkeit einen Bürgerkrieg wie im Zombiefilm ausgelöst hat, bleibt ebenso fragwürdig wie die Idee, dass Flüchtlinge in einem Staat Zuflucht suchen, wo sie massenhaft exekutiert werden. Diese »gaps in logic«, so eine englische Kritikerin, werden nur teilweise mit britischem Humor übertüncht: »Wer ist eigentlich der Vater?« fragt der Mann mit den Jesus-Latschen die weltweit einzige Schwangere. »Ich bin eine Jungfrau«, entgegnet Kee und grinst. Das ist zwar eine ironische Anspielung, aber von seiner Grundidee her ist der Film trotzdem nur »ein bisschen schwanger«.

Meinung zum Thema

Kommentare

Nette Kritik, aber warum erwähnst du nur bei genau einer Person die Hautfarbe? Würdest du schreiben, sie hat keinen Pass oder eine andere Nationalität, hätte ich dafür Verständnis, denn das wäre für die Handlung relevant. Aber so? Ich hoffe jedenfalls, dass du das nicht mit dieser Beschreibung suggerieren wolltest. Und dann frage ich mich, was der Zusatz soll? Warum stellst du die Hautfarbe so heraus? Das ist doch ein vollkommen irrelevantes Detail und schafft nur einen Graben im Kopf, wo eigentlich keiner sein sollte....

Ich finde die Kritik verfehlt. Das Geschehen im Film ist ein Albtraum, den wir z.T. heute schon erleben. Menschen ertrinken ohne unsere Kenntnisnahme täglich im Mittelmeer, und was da im Film passiert ist, ist heute schon Realität, die nur noch nicht in unseren Wohnorten aufgeschlagen ist, weil die Menschen gar nicht mehr zu uns kommen, weil Europa sich gnadenlos abschottet.

Die Fiktion dieses Films ist gar nicht so fiktiv, wie man meinen könnte. Die Menschlichkeit an sich ist das große Thema dieses ausgezeichneten Films. Hautfarbe, Alter, Geschlecht, politische Ausrichtung, Widerstand, Aufgabe der politischen Einstellung, Trunksucht, Auseinanderleben in den zwischenmenschlichen Beziehungen, das Wiedererstarken faschistischer Tendenzen, Hinrichtungen, Wegsperrungen... - man könnte diese Liste endlos fortsetzen. Aus meiner Sicht ist es einer der gelungensten Filme aller Zeiten, weil er aus seiner Zeit heraus tatsächlich die heutigen Probleme in den Mittelpunkt stellt und uns vor den derzeit recht verborgen gehaltenen Extremitäten am Mittelmeer und den täglich uns unbekannten bösen Geschehen an den Grenzen Europas warnt.

Ich habe diesen Film nun schon mindestens 6 mal gesehen und es schaudert mich, welchen Bezug er zur derzeitigen Realität hat. Das ganze wird noch verstärkt durch den stattfindenden Brexit, der diesen Film und die Zukunft im Film noch drastisch befördert. Einzigartig, großartig, überzeugend und sehr realistisch dargestellt trotz der märchenhaften Sequenzen; aber davon lebt so ein Film mit seiner Gesellschaftskritik und zeigt uns recht ehrlich, was unsere beschissenen Zukunftsaussichten angeht, wenn wir so weitermachen.
Zu kritisieren wäre vielleicht mehr die umfassende Hoffnungslosigkeit unserer menschlichen Zukunft, aber das Ende des Films bringt es auf den Punkt:
Das Schiff mit dem Namen "Tomorrow" taucht auf, aber es wird nicht mehr gezeigt, ob es die junge Frau mit ihrem Kind an Bord nimmt. Wir müssen selbst an unserer Zukunft arbeiten und können nicht auf Befreiung von aussen und nicht vorhandenen Helden warten: Wir sind die Akteure der Zukunft unseres Planeten.

Was für ein toller Film! MfG: Günter Sievers.

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