Nahaufnahme von Sally Hawkins

Vorwiegend heiter
Sally Hawkins in »Maudie« (2016) © NFP

Sally Hawkins in »Maudie« (2016) © NFP

Die Rolle der enervierend gut gelaunten Poppy in Mike Leighs »Happy-Go-Lucky« war ihr star turn. Seitdem hat sie immer ­wieder komische, exzentrische Parts gespielt. Aber die englische Schauspielerin Sally Hawkins kann auch ganz anders. Aktuell ist sie als eigensinnige Malerin in »Maudie« zu sehen, demnächst in der Horror-Hommage »The Shape of Water«

Poppy nimmt eine Fahrstunde und hat es mit einem ziemlich verklemmten Lehrer zu tun. Egal, was er sagt, ihr fallen dazu nur Albernheiten ein. Kein Wunder, dass er immer verdrießlicher wird, während sie zur komischen Höchstform findet. Die lustvoll chaotischen Fahrstunden in Mike Leighs »Happy-Go-Lucky« (2008) mit der anspielungsreichen Wortbildung »En-ra-ha« für das magische Dreieck von Innen- und Außenspiegeln sind wohl die Szenen, die man aus allen Filmen mit Sally Hawkins am besten in Erinnerung hat.

Der ganze Film ist um ihre Figur der stets gut gelaunten Grundschullehrerin Poppy gebaut, und einigen Zuschauern ging deren unverwüstliche Heiterkeit durchaus auf die Nerven. Aber mit ihrem verschmitzten Humor und enormen Charme macht Sally Hawkins diesen schrägen bunten Vogel doch zu einer Ikone der Lebensbejahung und Menschenfreundlichkeit. Die flippige Poppy wirkt so unangestrengt authentisch, dass die Versuchung groß ist, Sally Hawkins und ihre Rolle für identisch zu halten, was aber falsch wäre.

»Happy-Go-Lucky« (2008). © Tobis Film

Sicher gibt es bei Poppy nicht wenige Anteile der Schauspielerin, aber die Rolle ist nach der bei Mike Leigh üblichen Arbeitsweise das sorgfältig erarbeitete Ergebnis von wochenlangen Proben auf der Grundlage eines nur skizzierten Drehbuchs, bei dem die Schauspieler (hier besonders auch Eddie Marsan als Fahrlehrer Scott) ihre Figuren mit dem Regisseur entwickeln. Auch vor »Happy-Go-Lucky« hatte Hawkins schon mit Mike Leigh gearbeitet, allerdings nur in kleinen Rollen bei den Sozialdramen »All or Nothing« (2002) und »Vera Drake« (2004). Als Poppy wurde sie mit dem Silbernen Bären der Berlinale und dem Golden Globe ausgezeichnet.

Die 1976 in London geborene Sally Hawkins studierte bis 1998 Schauspiel an der Royal Academy of Dramatic Art und trat dann am Theater in einigen Shakespeare-Aufführungen auf. In einer kleinen Rolle tauchte sie als koksende Gangsterbraut in Matthew Vaughns »Layer Cake« (2004) neben Daniel Craig auf. Bald spielte sie aber auch Hauptrollen in zwei BBC-Produktionen: als listenreiche Taschendiebin in »Fingersmith« (2005) und in der Jane-Austen-Verfilmung »Persuasion« (2007). Gleich nach »Happy-Go-Lucky« war sie in Sherry Hormanns »Wüstenblume« (2009) wieder als ziemlich bunter Vogel zu sehen. In der Geschichte der realen Waris Dirie, die zum Supermodel wurde und sich dem Kampf gegen die Genitalverstümmelung verschrieb, spielte sie eine junge Frau, die sich widerwillig um das in London gestrandete Mädchen aus Somalia kümmert.

»Wüstenblume« (2009). © Majestic Filmverleih

Nach interessanten Nebenrollen in Lone Scherfigs »An Education« (2009) und Mark Romaneks »Alles, was wir geben mussten« (2010) war Hawkins wieder herausragend in einem anderen sozialrealistischen Film, Nigel Coles »We Want Sex« (2010). Da spielt sie viel ernsthafter als sonst die Arbeiterin Rita, die sich im Ford-Werk Dagenham für den Kampf der Frauen um Lohngleichstellung engagiert. Der im Jahr 1968 spielende Film nach tatsächlichen Ereignissen wird zu einem umfassenden Zeit- und Sittenbild, das die Benachteiligung der Frauen in vielen Aspekten aufzeigt. Anfangs ist Sally Hawkins noch zu gehemmt, um sich gegen einen brutalen Lehrer durchzusetzen, der ihren Sohn misshandelt. Aber durch den Rückhalt bei den anderen Arbeiterinnen wird sie trotz manchmal unsicherer Stimme zu einer überzeugenden Aktivistin. Am Ende steht ein Gesetz, das gleichen Lohn für Männer und Frauen vorschreibt, der reale »Equal Pay Act«. Der deutsche Titel des Films ist etwas irreführend; er geht auf eine Stelle zurück, bei der die Frauen ein Transparent mit der Forderung »We want sex equality« nicht vollständig ausrollen. Der Originaltitel ist sachlicher: »Made in Dagenham«.

»We Want Sex« (2010). © Tobis

In Woody Allens »Blue Jasmine« (2013) hat Sally Hawkins nur eine Nebenrolle, trotzdem macht sie daraus einen ihrer bemerkenswertesten Auftritte. Bei Woody Allen hatte sie – ausnahmsweise blond – schon kurz in »Cassandras Traum« (2007) gespielt. In »Blue Jasmine« ist sie die in bescheidenen Verhältnissen in San Francisco lebende Ginger, bei der ihre verwöhnte Schwester Jasmine aus New York nach Zusammenbruch und Pleite Zuflucht sucht. Als ­Jasmine, die immer die Augen davor verschlossen hat, dass ihr Luxusleben auf den Betrügereien ihres Mannes beruhte, zeigt Cate Blanchett höchste Schauspielkunst, doch Hawkins kann scheinbar mühelos neben ihr bestehen. Vielleicht kann man von ihr inzwischen einige Manierismen als immer leicht exzentrische Figur erwarten, aber hier sind sie sinnvoller Teil einer beeindruckenden Darstellung.

Auch wenn man Sally Hawkins wegen ihrer Spontaneität eher mit Gegenwarts­filmen verbindet, so hat sie doch nicht wenige Kostümrollen gespielt, wie in »Jane Eyre« (2011) und »Große Erwartungen« (2012). Nicht zu vergessen ein Auftritt im Remake von »Godzilla« (2014) und ihre liebenswerte Rolle in »Paddington« (2014), wo sie den Namen für den tapsigen Bären findet und sich immer gegen ihren strengen Ehemann für ihn einsetzt.

In »Maudie« ist sie nun eine krumme, von Krankheiten gebeugte naive Malerin in der kanadischen Provinz, die sich mit Eigensinn gegen ihren unverständigen Mann behaupten kann. Es fällt schwer, zu glauben, dass Sally Hawkins erst für die ursprünglich vorgesehene Rachel McAdams eingesprungen ist. Wieder neue Facetten kann man von ihr in Guillermo del Toros Horrorfilm-Hommage »The Shape of Water« erwarten, in dem sie eine stumme Putzfrau spielt, die in eine Geheimoperation um ein Amphibienwesen verwickelt wird. Der Film hat im September in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen.

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