Interview: Hafsia Herzi über »Die jüngste Tochter«

Hafsia Herzi am Set von »Die jüngste Tochter« (2025). © Chloe Carbonel / La Petite Derniere

Hafsia Herzi am Set von »Die jüngste Tochter« (2025). © Chloe Carbonel / La Petite Derniere

Frau Herzi, Ihr Film »Die jüngste Tochter« basiert auf dem gleichnamigen Roman von Fatima Daas. Was hat Sie dazu bewogen, diese Geschichte zu verfilmen?

Was mich beim Lesen sofort berührt hat, war die Geschichte – vor allem aber die Hauptfigur. Die 17-jährige Fatima ist ein Mensch, den ich aus dem Alltag kenne, aber im Kino noch nie gesehen hatte. Eine junge Muslima aus einer Einwandererfamilie, die am Stadtrand von Paris lebt, mit einer ganz eigenen Vorstellung davon, wer sie sein will. Als ich das Buch zugeklappt habe, dachte ich: Warum existiert diese Figur im Kino nicht? Warum stört sie vielleicht? Warum spricht man nicht über sie? Und warum gibt es für junge Frauen wie sie keine Rollenmodelle? Für mich fühlte sich das wie eine Aufgabe an, sie sichtbar zu machen.

Wie lässt sich der innere Monolog des Romans filmisch umsetzen?

Es war schwierig, weil der Text keine klassische Form hat. Ich habe mir erlaubt, Freiheiten zu nehmen, ohne die Geschichte zu verlieren. Viele Szenen im Film entsprechen denen im Buch. Ich habe versucht, den Text nicht zu illustrieren, sondern ihn in eine filmische Sprache zu übersetzen. Das Kino erlaubt eine gewisse Freiheit, und die war hier notwendig.

In Ihrem Film geht es um Religion, soziale Herkunft, Klasse, sexuelle Identität – Themen, die heute stark diskutiert werden. Wie gelingt es Ihnen, diese Ebenen miteinander zu verbinden, ohne dass eine davon die andere verdrängt?

Indem ich sie nicht zu erklärten »Themen« mache. Für mich stand immer die Figur im Mittelpunkt: eine junge, muslimische, lesbische Frau, die auf der Suche nach sich selbst und ihrem Platz in der Welt ist. Alles andere ergibt sich aus ihrem Alltag. Religion zum Beispiel ist in meinem Film kein theoretisches Feld, sondern ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens, wie nebenbei sichtbar in ihren Gesten – im Gebet, in den Waschungen, in ihrer Routine. Herkunft, Familie, Sexualität: Das alles wird gezeigt, nicht kommentiert. Beim Schreiben habe ich viel reduziert, gerade dort, wo sich etwas wiederholte. Sobald wir verstanden haben, wer sie ist, braucht es keine zusätzliche Betonung. Ich vertraue darauf, dass das Publikum die Feinheiten selbst wahrnimmt.

Sie haben einige Elemente verändert, etwa dass sie Fußball spielt. Warum?

Weil die Realität der Darstellerin mich inspiriert hat. Nadia Melliti spielt seit ihrer Kindheit Fußball, und sie tut es mit Leidenschaft. Ich fand das unglaublich positiv, besonders für diese Figur. Als ich sicher war, dass es nicht im Widerspruch mit der Religion steht, habe ich es ins Drehbuch übernommen. Es passte zu ihr. Ich wollte ihren Körper ernst nehmen: ein athletischer Körper, wie man ihn selten im Kino sieht. Körper erzählen, und ihrer erzählt etwas Starkes.

Die inzwischen 23-Jährige hatte nie zuvor vor der Kamera gestanden. Wie haben Sie mit ihr gearbeitet?

Vor allem mit Ruhe. Wir haben viel geprobt, viel geredet, uns Zeit genommen. Mir ist wichtig, dass am Set nicht zu viele Menschen sind. Eine kleine, ruhige Atmosphäre hilft besonders unerfahrenen Schauspielern. Während der Dreharbeiten waren meist nur die Kamera und die notwendigsten Personen im Raum. Der Kameramann hat alle Proben gefilmt, sodass sich zwischen ihm und Nadia ein Vertrauen entwickeln konnte. Das alles hat zu einer sehr familiären, entspannten Stimmung geführt.

Sie sind selbst Schauspielerin. Wie beeinflusst diese Erfahrung Ihre Arbeit als Regisseurin?

Beim Schreiben spiele ich alle Dialoge selbst durch, um zu sehen, ob es funktioniert. Ich kann mich in die Darstellerinnen hineinversetzen, kenne ihre Zweifel und Unsicherheiten. Am Set versuche ich, mit ihnen so zu sprechen, wie ich es mir selbst wünschen würde. Besonders wichtig sind mir die emotionalen Übergänge, weil man nicht chronologisch dreht. Man muss genau wissen, wo die Figur emotional steht.

Und wie verändert das die Art, wie Sie selbst vor der Kamera stehen?

Ich weiß, dass jede Einstellung wichtig sein kann. Und ich verstehe die technischen Abläufe besser. Man begreift, was am Set passiert, und man will helfen, nicht blockieren. Meine Konzentration als Schauspielerin ist stärker, seit ich Regie führe. Ich bin fokussierter und verständnisvoller für das gesamte Team.

Wie hat die Community Ihren Film in Frankreich aufgenommen?

Am meisten hat mich die Solidarität gerührt. Junge Menschen, ältere, Frauen im Kopftuch – viele kamen auf mich zu und sagten: »Bravo! Habt keine Angst, wir unterstützen euch.« Im Internet wurde der Film oft verteidigt, wenn er mit blöden Kommentaren angegriffen wurde. Das hat mich sehr berührt. Und der Erfolg war groß: fast 400.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Das zeigt: Es gibt nicht nur Ablehnung, sondern auch Offenheit und ein enormes Bedürfnis nach Anerkennung.

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