Geld oder Leben

Über das Kino in Zeiten des Kulturkampfs

Überall, auch im alten Westen, sind autoritäre Regimes auf dem Vormarsch, werden Rechtsextremisten stärker und aggressiver. Spielt der Film in dieser politischen Lage eine Rolle? Ein Aufruf zum Widerstand

Das Kino, so wie wir es kannten, ist eine Kunstform des zwanzigsten Jahrhunderts und selbst noch an seinen lebendigsten Orten riecht es nach einer schönen Vergangenheit. Es war eine Wunschmaschine, und mittlerweile sind andere Wunschmaschinen wichtiger geworden. Es ist eine doppelte Luxus-Wunschmaschine, einmal eine, in der bemerkenswert viel Geld unterwegs ist, und einmal eine, die bemerkenswert viel intellektuelle und ästhetische Energie benötigt – und zum Teil auch wieder gibt. Das Kino für tot zu erklären, ist genauso modisch wie die trotzige Behauptung seiner Vitalität. 

Auf der anderen Seite ist das Audiovisuelle, das Bewegtbild das Bezugsmedium schlechthin geblieben, auch wenn die intellektuellen und ästhetischen Anforderungen sich entschieden geändert haben. Die Politik, die wir erleben, ist weitgehend aus den audiovisuellen Medien entstanden, von Berlusconi über Trump bis Markus Söder haben wir Charaktere, die partly truth und partly fiction sind; die Vulgarität ihrer Bild-Produktion ist nicht der geschmacklichen Unbildung geschuldet, sondern Teil des Programms. Das Kino war eine populäre Kunstform; eine populistische war sie eher selten, was sowohl organisatorische als auch technische Gründe hat. In den Zeiten des Kulturkampfes von rechts, der seine Verbündeten bis weit in die Mitte hinein findet, hat das Kino zwei entscheidende Aufgaben. Erstens muss das, was wir vom Kino gelernt haben, und das ist eine Menge, kritisch gegen die Inbesitznahme der Bildwelten durch die rechten »Metapolitiken« gewendet werden, in Form des Cineastischen selbst und in Form der kritischen Theorie. (Aber die Rechte hat die schnelleren und direkteren Medien. Die AfD ist die beliebteste Partei bei Jugendlichen auf TikTok, sie setzt hetzerische Wahlkampffilme auf YouTube ein. Hier ist eine Form der Bildkritik gefragt, die aus den akademischen Zirkeln in den Schmutz der digitalen Sümpfe aufbricht.) Zweitens muss das Kino zur Insel des Widerstands und der demokratischen Gegenkultur werden. In den USA zeigt sich, dass die Stimmen jener Schauspieler und Schauspielerinnen, Regisseure und Regisseurinnen und anderer in der Kino- oder Fernsehkultur Beschäftigter durchaus noch Gehör finden und – wie der Fall Jimmy Kimmel zeigt – sogar einen Riesen wie Disney dazu bewegen können, sich der trumpistischen Zensur nicht gänzlich zu unterwerfen. Die demokratische Zivilgesellschaft braucht den Film als Ausdrucksmittel; sie braucht aber auch Orte, an denen Diskurs und Debatte ebenso zu Hause sind wie das, was man pathetisch Schönheit nennen kann und was nicht minder in Gefahr ist als die Demokratie selbst. Noch nie war das Kino ein so politischer Ort wie in diesen Tagen. Ob das allen in den Überlebenskämpfen bewusst ist, das ist eine andere Frage. 

Gewiss, das Kino ist nicht mehr die treibende kulturelle Kraft, durch die sich noch vieles verändern lässt. Aber alles hat sich durch das Kino geändert. Das Kino spielte in allen Kulturkämpfen eine mitentscheidende Rolle. In den Jahren um 1910, als das Kino von der Jahrmarktsattraktion zur Kultur werden sollte und zugleich zu einer Industrie, ging es nicht zuletzt um die Welt-Bilder, die es vermittelte, und um die Macht über sie. Man wird sich fragen, derzeit: Wer hat die Macht über die kinematographischen Welt-Bilder des deutschen Films? Und wer verlangt danach? Gerade das dokumentarische Kino ist in diesen Tagen so bedeutend, da sich das Fernsehen hierzulande seiner Aufgabe als Wächter der Demokratie nur noch sehr bedingt gewachsen zeigt. Dieses Fernsehen, ein bislang notwendiger und manchmal fairer Produktionspartner des deutschen Films, ist dem Kulturkampf von rechts, den »Sparzwängen«, die Qualitätsverluste bedeuten, und dem digitalen Medienwechsel schon weiter ausgeliefert als das Kino zwischen Glamour und Nische. Eine Zukunft als demokratische Medien haben beide nur durch Crossover-Effekte. Es geht dabei nicht um ideologische Positionen, wohl aber darum, was demokratische Medienkultur bedeutet: unabhängig, herrschaftskritisch, wahrhaftig und verantwortlich zu produzieren. All das können die Produzenten aber nicht verwirklichen, wenn es keine Gesellschaft gibt, die es mitträgt. 

Der Kulturkampf, wie wir in den Ländern sehen, in denen antidemokratische Rechte an die Macht kommen, richtet sich nicht nur auf die Produktion der Gegenwart, sondern auch auf Übermalungen und Umwertungen der Vergangenheit. In den USA erleben wir die »Säuberung« der Bibliotheken, in Italien die Restaurierung faschistischer Denkmäler (und eine Usurpation von »Herr der Ringe« als rechten Pop-Mythos), in Ungarn ein Umschreiben der nationalen Geschichte. Immer spielen dabei auch Filme eine Rolle, ebenso wie die Nationalisierung der Produktion. Ein »positives Bild« der eigenen Nation verlangen die rechten Kulturkämpfer ebenso wie sie feministische oder queere Bilder bekämpfen; erst schleichend, dann aber immer rascher setzen sich informelle Codes durch. Wie in der Sprache und den Sprechweisen wird das von rechts Sagbare erweitert, die Sprache der Kritik dagegen unterdrückt; eine Fernsehwoche reicht, um zu zeigen, dass sich auch die Grenzen des Zeigbaren verschieben. Verteidigt werden also muss nicht nur das Kino als öffentlicher Raum, sondern auch der kritische Diskurs in einer Sprache der Bilder. Die steht in einer Geschichte, und die will immer wieder befragt werden. Der »blinde« Konsum von Bildern geht der Verblendung durch Bilder voraus. Auch die Filmkritik ist Teil des Kulturkampfes, ob sie will oder nicht.

Was im Dreieck zwischen Politik, Ökonomie und Kultur am und im Film geschah, war oft dramatisch genug, um gesellschaftliche Debatten und historische Analysen auszulösen. Die deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts lässt sich auch als Filmgeschichte 
schreiben. Das Kino jedenfalls, so viel ist sicher, spielte eine Rolle in den Kulturkämpfen dieses Landes, ob man sie nun so nannte oder nicht. Und also geht es nun nicht nur allein um die Schließung eines Kinos oder eine Kampagne gegen Filme, die nicht ins rechte Weltbild passen, sondern auch um das (Selbst-)Bewusstsein der deutschen Filmkultur, in der es nie ohne Kämpfe abging.  

Und nun ist ein neuer, sehr drastischer Kulturkampf ausgebrochen. Offenbar geht es um nichts anderes als darum, ob Demokratie und liberale Gesellschaft im einst goldenen Westen noch eine Zukunft haben. Spielt das Kino, spielt, andere Frage, die filmische Kunst in diesem Kulturkampf überhaupt noch eine Rolle? Wohlwollend kann man sagen, der Film hätte sich bisher in Europa, mit gewissen Unterschieden von Land zu Land, nicht von der Rechten vereinnahmen lassen, nicht einmal in Ländern wie Italien, in denen eine rechte Regierung ihren Kulturkampf von oben her führt und natürlich die großen Events wie Festivals und die großen Produktionen ins Visier nimmt. Und sogar Hollywood ist noch nicht wirklich trumpistisch geworden. Aber vielleicht ist dieses langsame und »alte« Medium den rechten Kulturkämpfern auch nicht wichtig genug, um eine zentrale Rolle einzunehmen. Kinos sind hier und da Orte des Rückzugs für die liberale Kultur, das Kino ist dort offen, wo die Politik die Grenzen schon geschlossen hat, für Empathie und Solidarität. Das Kino ist ein Rückzugsort der Mitmenschlichkeit, und selbst von den Serienkrimis, die ein Rückgrat der deutschen Fernsehunterhaltung sind, bemühen sich manche, Reste von sozialem Rechtsempfinden und von Abneigung gegen autokratische Impulse zu vermitteln. 

Das große und teure Kino ist im Grunde wieder zur Jahrmarkts­attraktion geworden, wenn auch auf eine ziemlich totale und technische Art, Mittelpunkt von gewaltigem Merchandising und von Medienmultiplikationen, Teil von multimedialen Parallelwelten, aber eben auch Gegenbild zur Intimisierung in den ­sozialen Medien. Wenn sich die Marvel-Helden (und ihre menschlichen Darsteller) gegen den Trumpismus stellen, dann will das etwas heißen. Unsere TV-Kommissarinnen und -Kommissare wären ein Pendant. Auch in einem Kulturkampf braucht man Vorbilder, die ihre Popularität für den demokratischen Widerstand einsetzen, selbst wenn es sie, wie Bruce Springsteen eingestehen muss, einen nicht unerheblichen Teil an Publikum kostet. Zu der dann doch durch Robert De Niro noch aufrechten Veranstaltung in Cannes und zu den amerikanischen Filmen dort schrieb der US-amerikanische Filmkritiker Daniel Kasman im Filmmagazin »The Notebook«: »Die diesjährigen Wettbewerbsteilnehmer – Wes Anderson, Ari Aster, Richard Linklater und Kelly Reichardt – vermitteln die Erfahrung einer kulturellen Dissoziation, die suggeriert, dass nicht nur unser Kino in bester Form ist, sondern unser Land es auch sein könnte.« 

Kulturelle Dissoziation ist vielleicht ein Stichwort für einen filmkritischen Diskurs. Allerdings sind die Bedingungen des realen Kulturkampfes auch sehr konkret. Was in Deutschland an Filmen für die Mehrheit sichtbar wird im Kino, im Fernsehen, in der Presse, orientiert sich an Publikumszuspruch, an internationalen Preisen, an Hypes und an Kulten. Viel zu viel bleibt unsichtbar und undiskutiert. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland, der so wichtige Produktionspartner, steht wegen der Sparzwänge und des rechten Dauerbeschusses so unter Druck, dass nur noch sehr selten riskantere Projekte gefördert werden: Wie überall in der Kultur macht sich hier Angst breit. Und die Erzeugung von Ängstlichkeit ist ein primäres Ziel des Kulturkampfes von rechts.

Eine Widerspiegelung der kulturellen Dissoziation ist gewiss eine ehrenvolle Aufgabe für ein Kino im Kulturkampf. Im Kino geht es schließlich nicht um wohlfeile Lösungsvorschläge oder um moralische Gewissheiten, sondern allenfalls um Schreie nach Gerechtigkeit und nach Freiheit. Auch wenn’s wehtut. Aber dass ein solches Kino nahelegt, dass unser Land in bester Form sein könnte, scheint ein gewagter Sprung. Wir haben es, was Kino- und Sozialgeschichte anbelangt, des Öfteren mit seltsamen Ungleichzeitigkeiten zu tun.

Dass das Kino im Kulturkampf in Deutschland eine so beklagenswert periphere Rolle spielt, liegt nicht allein an Autoren und Regisseurinnen, es ist, wie man so sagt, eine Frage des Systems. Das Netz der gegenseitigen Abhängigkeit in dieser kulturellen Produktionssphäre ist so dicht geworden, dass zu viel Last auf die Schultern von Einzelkämpfer*innen gelegt wird. Eine funktionierende Filmkultur aber ist mehr als die Summe mehr oder weniger gelungener und mutiger Filme. Sie lebt nur, solange sie einen guten Platz in der öffentlichen Wahrnehmung und im Verständnis der demokratischen Zivilgesellschaft hat. Was nutzt der beste Film, wenn er keine kritisch-solidarische Öffentlichkeit findet?

Es ist eine simple Frage: Gibt es in Deutschland eine Filmkultur, die es wert ist, gegen den rechten Kulturkampf verteidigt zu werden? Wenn man diese Frage mit Nein beantwortet, soll es recht sein; es gibt genügend andere Felder, auf denen gekämpft werden muss. Wenn man die Frage allerdings mit Ja beantwortet, muss einiges geschehen, auf vielen Ebenen von Produktion, Konsum und Vermittlung.

Und das gilt nicht zuletzt auch für unser Metier. Die Kritik. Ich bin es leid, über Film nur noch in Form verkappter Reklame und Tratsch-Blasen zu lesen, während die großen Zeitungen ihre Filmberichterstattungen eindampfen, das Radio und Fernsehen ihre Filmmagazine eingestellt haben und beim »Spiegel« das Kino hauptsächlich so vorkommt: »46 Takes für einen einzigen Satz: Wie Colin Farrell betrunken am Filmset auftauchte – und Tom Cruise nervte«. Ich bin es leid, dass Filmkritiker sich vom Marketing einen Schnelligkeitswettbewerb aufdrücken lassen, statt sich Zeit und Raum für Reflexion zu lassen, ich bin es leid, den Tricksereien der neoliberalen Kulturpolitik zuzusehen, die man als Kompromisse hinnimmt, um überhaupt zu überleben, ich bin es leid, zuzusehen, wie Leute über die Stöckchen springen, die ihnen die »Branche« hinhält, ich bin es leid, funktionierenden Kinos beim Sterben zuzusehen, weil es der Immobilienmarkt so will, ich bin es leid, Festivals nach gestiegenen Besucherzahlen statt nach der Energie der Diskurse bewertet zu sehen, ich bin es leid, in den Gremien immer mehr Menschen zu sehen, die unbehelligt ihre hidden agendas verfolgen, ich bin es leid, gegen die Windmühlen der Abwiegelung und der Delegitimierung anzugehen. Ich weiß nicht, ob wirklich jede gute Filmkritik zugleich auch Gesellschaftskritik sein muss, aber sicher bin ich mir, dass Filmkritik der Verteidigung von Freiheit, Solidarität und Mitmenschlichkeit dienen muss. Sicher bin ich mir, dass auch Filmkritik ein »Schlachtfeld« im Kulturkampf ist. 

Die Einschläge, wie man so sagt, kommen ja näher. Fast schon wieder vergessen der Fall eines Geschäftsführers der hessischen Filmförderung, der sich gern mal freundschaftlich mit dem AfD-Politiker Jörg Meuthen trifft und ein Gespräch in den sozialen Medien als »angeregten und konstruktiven politischen Gedankenaustausch« kommentieren lässt. Im Dezember 2020 verlangte die AfD-Fraktion mit einer kleinen Anfrage Auskunft über die Förderung des Films »Und morgen die ganze Welt« und wollte wissen, »ob die Bundesregierung Kenntnis davon hat, aus welchen Gründen der Film durch den Deutschen Filmförderfonds (DFFF) und die Filmförderanstalt (FFA) gefördert wurde, und ob die Bundesregierung diese Förderung für gerechtfertigt hält«. Der Film von Julia von Heinz, der übrigens bei den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt wurde, stellt (am Ende eher etwas ratlos) die Frage nach dem antifaschistischen Widerstand und seinen moralischen Widersprüchen. Die zwei Felder für den cineastischen Kulturkampf von rechts sind damit eröffnet: offene oder verdeckte Einflussnahme in Gremien und Institutionen, politisch öffentlichkeitswirksame Interventionen gegen unliebsame Projekte. Bleibt als Drittes die Stimmungsmache in den eigenen medialen Vernetzungen und die Organisation von Shitstorms gegen – nur zum Beispiel – einen »Panorama«-Filmbeitrag, der schildert, wie sich Vereine wie Eintracht Frankfurt gegen AfD-Infiltration wehren. Und schließlich geht der Kampf um Veranstaltungsorte wie das Multikulturelle Centrum in Templin, das gerade durch seine Filmarbeit in der Fläche bekannt ist und dem die AfD-Fraktion die Förderung abzudrehen versucht. 

Also noch mal: Machtspiele in kulturpolitischen Entscheidungsgremien, Attacken gegen unliebsame Filme, Kampf um Übernahme oder Schließung freier kultureller Einrichtungen, Organisation von völkischer Empörung gegen unliebsame Meinungen und Bilder. Und immer geht es dabei auch und vor allem: um Geld. Und das trifft eine schwache Stelle. Die demokratische Kultur ist chronisch unterfinanziert und basiert wesentlich auf dem Prinzip von Idealismus, um nicht von Selbstausbeutung zu sprechen. Oft genügt es, einem Projekt oder einer Institution einen Förderweg zu verbauen, um es zu Fall zu bringen. 

Wir werden in absehbarer Zeit »radikalisierten Konservativen« und Rechtsextremen an allen erdenklichen Stellschrauben der Kultur begegnen. Und zugleich fordert der Kulturstaatsminister die Filmbranche auf, sich stärker zu orientieren »an Publikumswünschen, am Markt, an Dingen, die wirklich funktionieren«. Wie soll sich die deutsche Filmkultur aus der Zwickmühle von neoliberalem Vermarktungszwang und rechtem Kulturkampf befreien, wenn niemand da ist, der genau dies verlangt: eine Filmkultur, die weder dem Markt noch der Politik unterworfen ist, sondern ihrem Wesen folgt: Freiheit in die Bilder, Bilder in Freiheit zu bringen.

Die freie Filmkultur kämpft um ihr Überleben. Sie kann es nicht anders, als durch innere Solidarität und durch Allianzen mit anderen demokratischen Kräften. Da ist vieles möglich. Nur eines nicht: die Augen schließen. 

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