Remake – Frankfurter Frauen* Film Tage
»Heimkinder« (1985/86). © Gisela Tuchtenhagen
Heute werden die Frankfurter Frauen* Film Tage »Remake« eröffnet – zum 5. Mal, also ein kleines Jubiläum. Das alle zwei Jahre stattfindende Filmfest wird von der Kinothek Asta Nielsen veranstaltet und inzwischen von Gaby Babic geleitet. Unter dem Motto »Woher wir kommen, wohin wir gehen« werden in diesem Jahr Generationenverhältnisse »bearbeitet«. Und es wird nach feministischen »Ahnen« gesucht. Zu den Schwerpunkten gehören neben Filmen der Gogoberidze-Familie und dem Minsker »Studio Tatjana« das Werk von Gisela Tuchtenhagen. Die 1943 in Köslin geborene Kamerafrau, Editorin und Regisseurin ist eine Pionierin des Dokumentarfilms in Deutschland; zu ihrer »Personale« wird sie auf dem Festival erwartet. Nie gehört? Noch nichts gesehen? Dann wird's Zeit. Fiona Berg, eine der Remake-Kuratorinnen, führt auf dem »kurzen Weg« in Tuchtenhagens Werk ein
Welcher Film ist der beste Einstieg ins Werk?
Einen wunderbaren Einstieg in ihre Arbeitsweise liefert Gisela Tuchtenhagen mit ihren programmatischen »5 Bemerkungen zum Dokumentarfilm«. Sie bezieht sich darin auf die britische Dokumentarfilmbewegung der 1930er Jahre um John Grierson und zitiert Klaus Wildenhahn, mit dem sie das Direct Cinema nach Deutschland holte. Es geht um die Möglichkeiten und Konflikte im Arbeiten mit öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, um einen gewissen Gruppenzusammenhalt und ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein, das es braucht, um Wirklichkeit abzubilden und gemeinsam verändern zu können.
Was halten alle für ihr Meisterwerk?
Als Magnum Opus ließe sich der fünfteilige Dokumentarfilm »Heimkinder« beschreiben. Es ist eine Langzeitbeobachtung, wie sie im Werk von Tuchtenhagen oft vorkommt und von einer gewissen Unabhängigkeit vom Markt zeugt und von dem Bewusstsein, dass sich die dokumentierten Leben nicht einfach in einen kurzen Bericht pressen lassen. Die mit Repressalien gut vertrauten Heimkinder, die sie auf einer ungewöhnlichen Lernreise mit ihren Sozialarbeiter:innen begleitet, bekommen hier einen Raum, der ihnen in der Mehrheitsgesellschaft versperrt bleibt.
Welcher Film liegt mir am meisten am Herzen?
Sehr nah ist (und geht mir jedes Mal aufs Neue) der Film »Ekmek parasi – Geld für Brot«, der trotz der dargestellten harten Arbeit in einer Lübecker Fischfabrik und den prekären Lebensbedingungen der hauptsächlich türkischen Frauen eine Schönheit vermittelt, die aus dem Singen und Lachen der Arbeiterinnen tönt. Entfremdete Arbeit trifft auf Momente der Selbstversorgung im eigenen Garten. Das Blau der Fabrik wandelt sich in Grün und lässt die Trostlosigkeit und Schwere, die hier sanft von Tuchtenhagens Kamera eingefangen werden, kurz verschwinden.
Was macht sie anders als all die anderen?
Es sind die meist unsichtbar gemachten Orte der Filmgeschichte wie die Fabrik oder das Erziehungsheim, die Gisela Tuchtenhagen für ihre Filme aufsucht. Als Kamerafrau kommt sie ihren Protagonist:innen dabei ungewöhnlich nah, bleibt beweglich, schreibt sie nicht fest, wodurch diese auf die Filmemacherin selbst zugehen und sich öffnen. Wie im Film »Donnerstag Nachmittag – Treffpunkt Insel« über Mitglieder einer Initiative (in der die Filmemacherin selbst aktiv war), die Menschen mit Behinderung in ihrem Alltag unterstützt, um diesen selbstbestimmt gestalten zu können.
Welcher Film traf den Nerv seiner Zeit besonders? Welcher funktioniert heute noch besonders gut?
Der Film »Sing Iris sing. Frauen lernen Männerberufe« wurde in der feministischen Bewegung seiner Zeit viel rezipiert und ist in so gut wie allen Filmkompendien aufgeführt, die Filme von Frauen über Frauen und Arbeit versammeln – zwei Schwerpunkte ihres Werkes, die hier zusammenkommen. Als eine der ersten Kamerafrauen, die in der Bundesrepublik arbeiteten, begleitet sie in diesem Film Geschlechtsgenossinnen, die sich ebenfalls in sogenannten »Männerberufen« durchzusetzen suchen – Frust trifft auf Empowerment.





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