VoD: »Dunkle Enthüllung« (2023)
Atom Egoyans ambitioniertes Vexierspiel um eine Inszenierung der Oper »Salome« lief 2024 im Special der Berlinale und hat nun immerhin einen Video-on-Demand-Start bekommen
Bei einer Operninszenierung bleibt für die Zuschauer:innen vieles im Verborgenen. Das gilt für die Menschen, die hinter der Bühne arbeiten, aber auch für die persönlichen Intentionen, die in einer Inszenierung stecken. So auch bei der Oper »Salome«, die die Canadian Opera Company wiederaufführen möchte. Der mittlerweile verstorbene Regisseur Charles war einst der Mentor von Jeanine (Amanda Seyfried), und sein letzter Wille war es, dass sie die Inszenierung noch einmal auf die Bühne bringt. Was niemand weiß: Bei Jeanine triggert die Arbeit die Erinnerung an den Missbrauch, den sie durch ihren Vater erfahren hat – eine von mehreren Analogien zur Handlung der Oper.
Die Idee zum Film ist Regisseur Atom Egoyan im Zuge der Wiederaufführung einer eigenen »Salome«-Inszenierung gekommen, entsprechend viele Metaebenen gibt es. Die Dreharbeiten fanden während der tatsächlichen Proben im Setting von Egoyans Inszenierung statt, Sänger:innen wie die kanadische Sopranistin Ambur Braid spielen fiktive Versionen ihrer selbst und immer wieder sind Ausschnitte der Inszenierung zu sehen, die den Film visuell extrem reichhaltig machen. Seine Figuren lässt Egoyan über die Bedeutung der Oper philosophieren, deren Handlung ausgehend von einer biblischen Geschichte über eine Bearbeitung von Oscar Wilde unterschiedliche Entwicklungsschritte hinter sich hat. Außerdem entfaltet sich eine Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Betrieb. Jeanine will der Inszenierung mit kleinen Änderungen ihren persönlichen Stempel aufdrücken, wird von der Chefetage der Oper, die eher auf Marketing und Social-Media-Tauglichkeit aus ist, jedoch ausgebremst. Ein weiterer Plot dreht sich um Clea (Rebecca Liddiard), eine Requisiteurin, die Opfer eines sexuellen Übergriffs durch einen Sänger wird.
Hier und da wirkt der Film durch die Fülle an Themen und Plots überladen und in der Abhandlung seiner heiklen Themen holprig: Die Chefetage will den Übergriff etwas arg einfach unter den Teppich kehren; Jeanines Missbrauchsgeschichte wird durch Offkommentare von ihr überdeutlich angesprochen und zugleich durch Überblendungen mit der Inszenierung abstrakt kunstvoll verpackt, was dann doch nicht so raffiniert wirkt, wie es Egoyan vermutlich gehofft hat. Egoyan macht es dem Publikum zudem nicht leicht, da er sich klaren Auflösungen verweigert und im Grunde alle Figuren und ihre Handlungen mit Ambivalenzen ausstattet. Diese Ambivalenzen muss man aushalten, dann ergibt sich gerade für Opernfans eine spannende Reflexion rund um die Interpretationen und realen Entsprechungen einer Oper wie »Salome«, des künstlerischen Umgangs damit und des Umfelds, in dem solche Interpretationen und Bearbeitungen stattfinden und das nicht immer den Schutzraum bietet, den es eigentlich braucht. Wenn Jeanine sich in einer Szene über eine Intimitätskoordinatorin echauffiert, hätte man aber gern gewusst, was denn Egoyans Haltung dazu ist.




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