San Sebastian: Lügen und Geheimnisse
»Los Domingos« (2025). © SSIFF
Beim Filmfestival von San Sebastián bestimmten leise Töne die Filme – und Gaza die politische Diskussion
Wieder einmal hat ein spanischer Film beim Festival in San Sebastián den Wettbewerb um die Goldene Muschel gewonnen, das dritte Mal in Folge. Und dieses Mal sogar einer, der in der Gastgeberregion, dem Baskenland, situiert ist. Man kann das als eine Tendenz zur Regionalisierung empfinden, und dennoch erweist sich »Los Domingos« (Sonntage) von Alauda Ruiz de Azúa als keine schlechte Wahl.
Der Entscheidungsprozess von Ainara, einer 17-jährigen jungen Frau (hervorragend verkörpert von Bianca Soro), ein weltabgewandtes Leben in einem Kloster zu führen, stürzt eine Familie in die Krise und zeigt ihre seit Längerem schon schwelenden Konflikte. Besonders Ainaras Tante treffen die Überlegungen ihrer Nichte schwer. Mit einem großen Respekt führt Alauda Ruiz de Azúa die Figuren ihres Films vor, der bei aller Dramatik durchaus auch komische Momente hat.
Die Familie war sicherlich eines der großen Themen im Wettbewerb in diesem Jahr, sei es der überdominante Vater (Peter Kurth) im eher experimentellen und mosaikartig zusammengesetzten »Franz K.« der Polin Agnieszka Holland, ihrer Annäherung an den deutsch-tschechischen Dichter Franz Kafka, oder der Vater mit seinen beiden Kindern in »Ungrateful Beings« (Undankbare Wesen) des Slowenen Olmo Omerzu, der vor allem die Lügen zwischen den Generationen dramatisch und gekonnt auf die Spitze treibt.
Aber die Bühne gehörte in der 73. Ausgabe des Festivals den spanischen Beiträgen, mehr als in vorausgegangenen Jahren. San Sebastián begreift sich als Schaufenster der spanischsprachigen Welt. Allein 38 Filme aus dem Baskenland liefen im Gesamtprogramm des Festivals.
Als eine Überraschung im Wettbewerb erwies sich auch »Maspalomas« von Aitor Arregi und José Mari Goenaga, eine Reflexion über Alter, Homosexualität – und Sex. Als der 76-jährige Vicente auf Gran Canaria nicht nur von seinem Partner verlassen wird, sondern auch noch einen Schlaganfall erleidet, ist er gezwungen, nach San Sebastián zurückzukehren und in einem Pflegeheim zu leben.
Für Vicente bedeutet das Leben im Heim einen Rückschlag in vielerlei Hinsicht, aber vor allem, weil er seine Homosexualität verschweigt – oder verschweigen muss. Als er mit der Psychologin des Hauses darüber spricht, bedeutet das für ihn so etwas wie ein zweites Coming-out. Die beiden Regisseure haben ihren Film sensibel inszeniert, und José Ramón Soroiz spielt Vicente furios als mürrischen alten Herrn, dem man seine Verzweiflung immer anmerkt. Soroiz hat dafür, zu Recht, den Darstellerpreis erhalten.
Sensibilität gehört sicherlich nicht zu den Stärken von »Nuremberg« von James Vanderbilt (USA), einer dick aufgetragenen Geschichtslektion über die Nürnberger Prozesse, die sich vor allem auf die seltsame, irgendwie freundschaftliche Beziehung zwischen dem Militärpsychologen Douglas Kelley (Rami Malek) und Hermann Göring (Russell Crowe) konzentriert. Vanderbilt hat das Drehbuch zum legendären »Zodiac« geschrieben, und die Intention des Films ist durchaus verdienstvoll. Aber der Nazikriegsverbrecher Göring erscheint hier allzu sehr »bigger than life«, manipulativ mit Charme und Grandezza.
Auch wenn sich die Politik in den Filmen nur selten zu Wort meldete (etwa im argentinischen »Belén« von Dolores Fonzi über eine zu Unrecht verurteilte junge Frau), so war sie doch in den Pressekonferenzen und im Umfeld des Festivals präsent. »Ich liebe mein Land, aber ich erkenne es nicht wieder«, sagte die amerikanische Schauspielerin Angelina Jolie, die in dem mehrschichtigen »Couture« der Französin Alice Winocour über die Pariser Fashion Week mitwirkte.
Doch mehr noch als die USA unter Trump war der Krieg in Gaza Thema. Schon vor Beginn hatte Festivaldirektor José Luis Rebordinos in einem Interview den »Genozid« in Gaza angeprangert, und am Ende legte die gesamte Festivalleitung mit einer Erklärung nach. Das Festival hatte den in Venedig prämierten »The Voice of Hind Rajab« im Programm (den manche auch für Propaganda halten), und nach dessen Vorführung am Festivalmittwoch zogen Tausende von Menschen vom Festivalkino durch die Stadt, um gegen den »Genozid« zu demonstrieren, darunter Spaniens Kulturminister Ernest Urtasun.







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