Kritik zu Wege des Lebens – The Roads Not Taken

© Universal Pictures

2020
Original-Titel: 
The Roads Not Taken
Filmstart in Deutschland: 
13.08.2020
L: 
85 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Die britische Regisseurin Sally Potter will in ihrem Film über Demenz einmal weniger vom Schmerz als von den Chancen des Leidens erzählen

Bewertung: 2
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Am Anfang dämmert der in New York lebende Schriftsteller Leo (Javier Bardem) kaum ansprechbar auf seinem Bett in einem kargen Zimmer, an dem ratternd die Züge vorbeirasen. Nahezu unerreichbar ist er für seine erwachsene Tochter Molly, die ihn an diesem einen Tag, von dem der Film erzählt, zum Augenoptiker, zum Zahnarzt und – nachdem er sich eingenässt hat – in ein Warenhaus begleitet. Immer wenn sein Blick besonders abwesend ist, taucht er wie Alice im Wunderland in alternative Wirklichkeiten ein, entschwindet in frühere Lebensphasen, spürt den Entscheidungen der Vergangenheit nach. In einer orangeroten Welt verbringt er den mexikanischen Tag der Toten mit seiner Jugendliebe Dolores (Salma Hayek), mit der ihn ein traumatisches Ereignis verbindet. In einer weiteren, blauen Lebensphase ist er als einsamer Schriftsteller in Griechenland auf der Suche nach dem Schluss für einen Roman und flirtet mit zwei jungen Touristinnen, die seine Töchter sein könnten.

Wo ist der geliebte Mensch, wenn er in der Realität so weit entfernt scheint? Diese Frage nimmt Sally Potter als Vorlage für eine assoziative Reise durch Zeit und Raum. Vergangenheit und Gegenwart durchdringen sich in verschiedenen Erzählebenen, wobei Leo als Schriftsteller in besonderer Weise dazu prädestiniert ist, mit verschiedenen Geschichtenläufen zu jonglieren. »Ein Schriftsteller arbeitet immer, hier drin«, sagt er einmal und deutet auf seinen Kopf. Die alternativen Lebenswege könnten also auch nur literarische Fantasien sein. 

Auch die Schwierigkeiten, die mit dem künstlerischen Ego einhergehen, klingen an, die Defizite in familiären Beziehungen. In weiten Strecken war der Vater in Mollys Leben abwesend, umso schwieriger ist die Annäherung unter den Bedingungen der Krankheit. »Warum spricht jeder über Dad, als wäre er nicht anwesend?«, fragt sie einmal, ihre Mutter erwidert nur: »Ist er es denn?«

So schön die Idee der multiplen Wirklichkeiten auch ist, das Konzept geht nicht so brillant auf wie in anderen Filmen von Sally Potter, in »Orlando«, in »Yes« oder zuletzt »The Party«. Hier kommt man den Figuren nie wirklich nah, ihre Gefühle sind nicht immer plausibel. Warum ist Molly dem Vater, der sie in der Kindheit für die Literatur verlassen hat, so bedingungslos ergeben? 

Javier Bardem, der in »Das Meer in mir« aus weniger Möglichkeiten sehr viel mehr gemacht hat, wirkt nicht nur auf der Demenz­ebene wie ein Schatten seiner selbst. Und Elle Fanning, die sonst viel weniger braucht, um innere Unruhezustände anklingen zu lassen, agiert hier immer wieder übertrieben expressiv, bisweilen fast hysterisch. So sprunghaft wie Leos Zeitreisen wirkt auch der Film.

Was wird mit dem geliebten Menschen, wenn ihn die Demenz der Gegenwart nach und nach entzieht? Sally Potters assoziative Reise durch Zeit und Raum, Vergangenheit und Erinnerung gibt keine Antwort darauf, beruht aber auf einer schönen Idee.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt