Kritik zu Sophie Scholl – Die letzten Tage

© X-Verleih/Warner Bros.

Julia Jentsch als Widerstandskämpferin Sophie Scholl im Film von Marc Rothemund

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Wie ein allzu ernstes kleines Mädchen sieht die echte Sophie Scholl auf Fotos aus, die Haare mit einer Klammer gescheitelt, die Stirn gerunzelt. Im Abspann jedoch, nach ihrer Guillotinierung, werden Fotos einer lachenden Sophie gezeigt, die in sommerlicher Natur und im Kreis ihrer Clique als Inbegriff des blühenden Lebens erscheint - ein bewegender Moment. Scholl steht auch stellvertretend für das Opfer einer ganzen Generation, doch darüber hinaus scheint sie eine weit faszinierendere Person gewesen zu sein als etwa Michael Verhoevens Film Die weisse Rose aus dem Jahre 1982 andeutet. Diesen Schluss lassen zumindest die seit 1989 zugänglichen Verhörprotokolle zu, die zuvor im Archiv der SED lagerten.

Marc Rothemund, Schöpfer der Pubertätsklamotte Harte Jungs wie des mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten TV-Mobbingdramas Die Hoffnung stirbt zuletzt, setzt die Geschichte der studentischen Münchner Widerstandsgruppe "Weiße Rose" als bekannt voraus. Nach einer adrenalinhaltigen Skizze des Tathergangs - Sophie, die mit ihrem Bruder Hans in der Uni Flugblätter verteilt, wird umgehend verhaftet - steigt er gleich in das sechs Tage dauernde Psychoduell zwischen Sophie und ihrem Vernehmungsbeamten Robert Mohr ein. Sophie leugnet mit solch kalter Beherrschtheit, dass Mohr sich zunächst hinters Licht führen lässt. Oder führen lassen will? Basierend auf den authentischen Protokollen erreicht das minimalistische Kammerspiel eine verstörende Tiefenschärfe. Zumal Mohr von Alexander Held als nicht unsympathischer Karrierist dargestellt wird, der Sophie "eine goldene Brücke" baut: sie soll sich zur Mitläuferin erklären, um mit dem Leben davonzukommen. Sophie lehnt ab. Wie die unscheinbare Julia Jentsch umso charismatischer wirkt, je erbitterter Sophie, ihres Todes gewiss, um das Leben ihrer Freunde kämpft, ist nicht nur für Mohr insgeheim ergreifend und der Stoff, aus dem Heldinnen gemacht sind.

Hinterrücks wirft das Verhör aber auch unbequeme Fragen auf: Ist nur eine tote Heldin eine gute Heldin? Ähnlich wie in Napola wird durch Mohr, zuvor ein Pirmasenser Polizist, etwa das Motiv gesellschaftlichen Aufstiegs durch die Nazis angesprochen. Er spürt die Welten, die zwischen ihm und der freigeistigen Studentin, als Tochter des liberalen Ulmer Ex-Bürgermeisters Angehörige einer privilegierten Schicht, liegen. Wo er mauscheln will, um sie zu retten, da beharrt sie auf ihrer Überzeugung, bewahrt Haltung und bricht erst hinter geschlossenen Türen zusammen. Welchen Sinn aber macht es, ausgerechnet den Nazis durch den Tod moralische Überlegenheit zu beweisen - wo doch das Überleben auch hinsichtlich des Wiederaufbaus eines postnazistischen Deutschlands die "praktischere" Wahl wäre? Zumal Sophie und ihre Freunde schon in diesem Februar 1943 bewiesen, dass von den Nazi-Gräueln wissen konnte, wer es wissen wollte und die moralische wie die militärische Katastrophe vorhersehbar war.

So lässt sich dieser etwas naive Heldengesang nicht nur wegen Sophies Nähe zu ihrem Bruder auch als eine Wiederauflage des Antigone-Mythos lesen. Sophie ist mit ihrer absoluten Hingabe an Gott und Gewissen und ihrem Entschluss, eine Sache bis zum Ende durchzuziehen, auch eine sehr deutsche Heldin: eine tragische Idealistin, die den Tod über das Leben, die eine heroische Idee über das, von Jean Anouilhs Antigone abfällig "das kleine Glück" genannte Davonkommen setzt. Dabei fehlte es neben hochgemuten Geistern doch vor allem auch an klein-renitenten Alltagshelden, an Sand im Getriebe, um die tödliche Effizienz so vieler Eichmanns zu unterminieren.

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